Woran kann ich noch glauben?

 In FEATURED, Politik, Spiritualität, Wolf Schneider

Ein kurzer Artikel über alles – so könnte man Wolf Schneiders Texts auch betiteln. Wie definiert man “Esoterik”, wie “Verschwörungstheorien?” Und ist Wissenschaft grundsätzlich die überlegene Denkform? Welche Weltanschauung würde helfen, den Ökozid zu vermeiden? (Antwort in wenigen Worten: die Erkenntnis, dass alles mit allem verbunden ist.) Warum scheinen die Diskurse der Gegenwart eher auf den Slogan “Make war, not love” hinauszulaufen? Wie können wir zu einem lebendigen Leben beitragen? Kann “freie Liebe” dem Krieg und dem Faschismus wirksam vorbeugen? Es sind ziemlich viele Themen für einen Artikel. Aber jede dieser Fragen für sich genommen, ist enorm spannend. Wolf Schneider analyisiert sie wie immer auf mehreren Betrachtungsebenen: spirituell, psychologisch, politisch… Wolf Schneider, connection

 

Sogar GEO titelt in ihrer Novemberausgabe: “Glaub nicht alles, was du weißt.” Mit einem allerdings ziemlich seichten Leitartikel zum Thema.

Auch der Wissenschafts-Verlag spektrum.de bringt hierzu immer wieder mal was. Am 29.9. unter dem Titel: “In Krisenzeiten sind Menschen anfälliger für Esoterik”. Ist das wirklich so? Dazu gehört jedenfalls auch die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien, und – ja, auch das – die Anfälligkeit für massenhaft verbreitete Überzeugungen jedweder Art. Was ist überhaupt Esoterik, und was eine Verschwörungstheorie? Auf die zweite Frage antworte ich gerne: Die bisher reichweitenstärkste Verschwörungstheorie ist die, dass die Welt von einem allmächtigen alten Mann in sieben Tagen erschaffen wurde, der uns zum Glauben an ihn geködert hat, indem er uns seine Liebe versprach.

Auf die erste Frage antworte ich manchmal mit meinem Buch Kleines Lexikon esoterischer Irrtümer. Da betrachte ich Esoterik zwar mit Schmunzeln, stampfe sie aber nicht in Grund und Boden. Auch Spiritualität verorten viele irgendwo zwischen naiv und sympatisch. Die vom Mainstream propagierte Wissenschaft hingegen gilt als sakrosankt, obwohl ihre Studien für Geldgeber bestellbar sind und die Auswahlfilter der präsentierten Fakten für ihre Wirkung noch entscheidender sind als ihre Faktizität.

Wie ohnmächtig sind wir in alledem? Welchen Handlungsspielraum haben wir als Einzelne inmitten der allgemeinen Weltuntergangsstimmung? Hierbei macht mir nach wie vor Joanna Macys Ansatz Die Klimakrise als spiritueller Weg (10 min) Hoffnung und der Spielfilm “Das Leben ist schön” von Roberto Benigni.

Individuen gibt es nicht

Und auch Verwobenes Leben, das schon erwähnte Buch von Merlin Sheldrake. Für mich ist es die beste wissenschaftliche ‚Erklärung‘ des zentralen buddhistischen Begriffs Anatta, die ich je gelesen habe. Faszinierend, wie Sheldrake das ein paar hundert Seiten lang wissenschaftlich valide und auch für Laien kurzweilig erläutert.

Pilze sind in Wissenschaft und Kultur zur Zeit der große Hype, und Merlin Sheldrake ist inzwischen ein Weltstar. So präsentiert ihn auch das Schweizer TV. Noch schöner und wesentlicher finde ich ihn auf UnHerd, dort interviewt von Freddie Sayers: The Philosophy of Fungi (37 min). Hier spricht er ab min 11 auf faszinierende Weise über Individualität als ein wissenschaftlich nicht nachvollziehbares Konzept.

Wann kippt der Trend zum Ökozid?

Würden mehr Menschen so wie Merlin Sheldrake und Joanna Macy das Leben auf der Erde als etwas miteinander Verbundenes, Verwobenes begreifen, gäbe es keine Kriege mehr und Menschen wie Donald Trump und Jair Bolsonaro könnten nicht in immerhin nominell demokratischen Staaten mit Presse- und Meinungsfreiheit so viele Anhänger an sich binden und die Gesellschaft spalten. Noch viel weniger könnte dann jemand wie Putin 70% der Bevölkerung hinter sich vereinen. Mit der fortgesetzten Naturzerstörung, dem immer noch extremeren Auseinanderklaffen von Reichtum und Armut und dem Trend zum Rechtspopulismus in der Politik scheint die Menschheit geradewegs auf den Ökozid zuzusteuern.

Fossile Energien sind out, dennoch verkaufen sich PKWs in Europa besser denn je. Auch E-Bikes legen zu, es gibt mehr Radwege in den Städten, aber der Trend zu den PKWs ist noch nicht gekippt. Elektroautos sind ja auch nicht unbedingt die ökologisch bessere Alternative. E-Bikes und Lastenfahrräder schon eher.

Die Schäden, die wir Menschen in der globalen Biosphäre hinterlassen findet ihr hier in Zahlen, entnommen aus dem Buch “Adieu Wachstum” von Norbert Nicoll.

Wird in den USA der Trumpismus siegen? Der Krautreporter sieht in einem auch für Nicht-Abonnenten frei gegebenen Artikel sogar Das drohende Ende der US-Demokratie. Auch nach den Ergebnissen der Midterms, die inzwischen vorliegen, bleibt das aktuell.

… und der zum Krieg?

Nicht weniger ernüchtert verortet Eugen Drewermann in seiner flammenden Rede zur G 7 Außenministerkonferenz am 3.11. in Münster die Situation in den USA und unsere Abhängigkeit von diesem Land. Er erinnert dabei an die Friedensbotschaften von Tolstoi, Gandhi, Gorbatschow und Wolfgang Borchert.

Bei einem Blick auf die Welt von heute könnte sich einem Beobachter der Eindruck aufdrängen, dass “Make love, not war”, der Hippie-Slogan von einst, sich in ein Make war, not love verwandelt habe.

Antje Vollmer, Ur-Grüne und Bundestagsvizepräsidentin (von 1994 bis 2005) spricht auf heise.de über den Krieg in den Köpfen, die Wandlung der Grünen von einer Friedens- zur Kriegspartei und die vielen verspielten Chancen nach Gorbatschows Beendigung des Kalten Kriegs.

Poesie gegen Materialismus

Joachim Galuska ist der Gründer und ehemalige ärztliche Leiter der Heiligenfeld-Kliniken, die sich “Das Leben lieben” als Motto gegeben haben. 2021 und 2022 war er mit seiner Frau Uta Galuska im Poesie-Mobil unterwegs, einem umgebauten alten Feuerwehrauto. “Was kann es bedeuten, das Leben zu lieben und zu einem lebendigen Leben beizutragen” fragen sich die beiden, “in einer Welt, in der durch die Pandemie Krankheit, Tod und Einschränkungen von Grundrechten und Grundwerten zum Alltag geworden sind?”. Sie verweisen dabei auf Corona-Burnout-Prozesse und die Zunahme von Depressionen und stellen fest, dass “wir erleben, wie vorwiegend technische und digitale Lösungen für große Menschheitsprobleme wie Krankheiten, Klimawandel, Artensterben, Überbevölkerung usw. gesucht werden” und wir dabei “mit der Komplexität und Unüberschaubarkeit wirtschaftlicher Entwicklungen und Fehlentwicklungen, medialer Information und Desinformation” und politischen Polarisierungen konfrontiert werden.

Was tun? Utas und Joachims Antworten auf diese Probleme sind ihre Gedichte und Poesie-Touren, die für eine Welt werben, in der es nicht mehr hauptsächlich um materielle Werte und äußeren Erfolg geht.

Von Wilhelm Reich zu Otto Mühl

Der Film “Servus Papa, see you in Hell“, startet in den Kinos am 24. November. Er reinszeniert die Kommune am Friedrichshof bei Wien, wo der Aktionskünstler Otto Mühl, basierend auf den Schriften von Wilhelm Reich, von 1970 bis 1988 versuchte Kleinfamilie und Paarstrukturen aufzulösen. Durch eine freie Sexualität (meist “freie Liebe” genannt) sollte Faschismus und Krieg die charakterliche Grundlage entzogen werden. De facto agierte Mühl jedoch auf dem Friedrichshof als oft ziemlich grausamer Herrscher dieser Kommune, wo er ihm untergebene Mitglieder exponierte und beschämte. Dass er dort auch Minderjährige missbrauchte, führte schließlich 1991 zu seiner Verhaftung.

Um dieses Verunglücken der Reichschen Lehre in der patriarchalen Praxis des Otto Mühl zu zeigen, hatten sich die Produzenten dieses Films ausgerechnet den idyllischen gelegenen Kragenhof bei Kassel ausgesucht. Den Ort, wo nun zum zweiten Mal unser Winterretreat des Bachelor of Being stattfindet. Der Film zeigt recht gut das Verführerische an Otto Mühls Art der ‚Befreiung vom Spießbürgertum‘, die hier in Entwürdigung und Missbrauch abglitt. Trotz auch vieler sehr schöner Szenen in diesem Film gruselt es uns dabei, die (v.a.) psychische Gewalt der Friedrichshof-Kommune an dem Ort reinszeniert zu sehen, an dem auch wir als Gemeinschaft leben, aber mit einer ganz anderen Ethik: so gut es eben geht ohne Beschämung und respektvoll gegenüber den Privatsphären und der paarweisen Liebe.

Intimität mit der Natur

Trotz der vielen Katastrophen in den Nachrichten gibt es auch Positives und Schönheit zu zeigen. Zum Beispiel diesen Kurzfilm (6 min), gedreht in der Gemeinschaft Schloss Glarisegg am Bodensee: Wake up Child, a Short Film on Intimacy with Nature,

Wie schaffen wir eine transformative Kultur? Hier ist ein Film über Menschen, die das versuchen (35 min, auf Englisch). Und wie lernt man das? Zum Beispiel im Ecovillage Design Education Course auf Schloss Glarisegg.

Und auch diese wunderschöne Doku auf arte hat mich sehr bewegt und wieder hoffen lassen: Kampfgefährtinnen. 69 min über sechs junge Frauen, die sich in den Fußstapfen von Julia Butterfly Hill in Asien, Europa, Afrika und Amerika unerschütterlich der Naturzerstörung entgegen stemmen.

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen