Xavier Naidoo: der strauchelnde Himmelsbote

 In Kultur, Roland Rottenfußer
Xavier Naidoo

Xavier Naidoo

Xavier Naidoo, Deutschlands Soul-Sunnyboy, ist angeschlagen. Im Oktober 2015 wurde der Mannheimer zuerst zum alleinigen Kandidaten für die deutsche Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest erkoren, dann wenige Wochen später quasi unehrenhaft entlassen. Krude Verschwörungstheorien und rechtes Gedankengut wurden ihm vorgeworfen. Zwar hat Naidoo noch bis vor kurzem seine Show „Sing my Song“ moderiert, und auch seine neue CD „Nicht von dieser Welt 2“ ist erfolgreich; aber kaum eine Artikel über ihn erscheint heute mehr ohne den Hinweis auf seinen dubiosen Auftritt bei den „Reichsbürgern“. Hat der Publikumsliebling eine in Deutschland noch immer unantastbare Grenze überschritten? In einem Nebel aus Gerüchten und Interpretationen hilft nur eins: genauer hinsehen! (Roland Rottenfußer)

Xavier Naidoo hatte uns gewarnt: „Du willst es also wissen, was sich auf der dunklen Seite verbirgt? Hm – bist du sicher?“ Diese für Popmusik ungewöhnlichen Worte leiten die dritte CD von Naidoos Album „Alles kann besser werden“ ein. Finster wirkt dann vor allem das Lied „Raus aus dem Reichstag“, in dem der Sänger und Texter die etablierte Politik rüde angreift. Unfreiwillige Berühmtheit erlangte später vor allem diese Passage: „Baron Totschild gibt den Ton an. Und er scheißt auf euch Gockel. Der Schmock is’n Fux und ihr seid nur Trottel.“ Der Begriff „Schmock“ stammt aus dem Jiddischen und bezeichnet einen unsympathischen Aufschneider.

Die Zeile gehört zum wichtigsten belastenden Material, das von der Presse gegen Xavier Naidoo herbeizitiert wurde, als dieser für kurze Zeit als Deutschlands ESC-Hoffnung galt. Nicht nur erhob sich im Netz ein „Shitstorm“ gegen den Unliebsamen; auch Redakteure des NDR, der die Veranstaltung organisierte, beschwerten sich in einem Brief beim Programmleiter: Sie fürchteten um ihr Ansehen angesichts eines Kandidaten, der „mit Antisemitismus, Homophobie und Verschwörungstheorien in Verbindung gebracht wird.“ Nachträglich, anlässlich des deutschen Desasters beim „Grand Prix 2016“, fragt man sich unwillkürlich, ob der stimmgewaltige Vollprofi nicht mehr erreicht hätte. Aber hätte man die Bedenken ignorieren sollen?

Belastende Indizien

Die Vorwürfe „Antisemitismus“ und „Homophobie“ beziehen sich auf fragwürdige Äußerungen Naidoos in Liedtexten, die man aber auch anders als auf die schlimmste mögliche Weise deuten kann. So bezog sich der Satz „Warum liebst du keine Mösen?“ aus einem Lied, dass der Sänger zusammen mit Cool Savas aufgenommen hatte, eher auf Pädophile, nicht auf alle Schwulen. “Verschwörungstheorien“? Xavier hatte alternative Deutungen der „Nine Eleven“-Anschläge in Erwägung gezogen. Selbstverständlich bleiben solche Theorien Hypothesen, über die man streiten kann. Die Tatsache, dass man heutzutage jemanden mit dem Hinweis, er werde „mit Verschwörungstheorien in Verbindung gebracht“ diffamieren kann, ohne begründen zu müssen, warum man die betreffende Theorie für falsch hält, ist jedoch höchst bedenklich. Und: Wie soll man sich dagegen wehren, mit etwas „in Verbindung gebracht“ zu werden? Es ist wichtig anzumerken, dass Antisemitismus und Homophobie wirklich schlimme und gefährliche Weltanschauungen sind. Fraglich ist nur, ob sich Naidoo dessen wirklich schuldig gemacht hat.

Es gibt noch einen vierten Vorwurf: Verbrüderung mit den „Reichsbürgern“. Xavier Naidoo trat am 3. Oktober 2014 bei einer Demonstration der als rechtsextrem geltenden Gruppierung auf. Sie stellt u.a. die Behauptung auf, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 bestehe bis heute fort, die BRD sei somit völkerrechtlich illegal. In seiner kurzen Rede vor den Reichsbürgern ging Naidoo jedoch auf die scheinjuristischen Konstruktionen der Gruppe nicht ein. Stattdessen kritisierte er die Politik der USA. Diesem Land sei zu verdanken, „dass aus Rammstein Drohnen geflogen werden, die dann tatsächlich Menschen töten.“ Zum 11. September 2001 sagte Naidoo: „Wer das als Wahrheit hinnimmt, was da präsentiert wird, der hat einen Schleier vor den Augen.“ Mit seinem Auftritt verlor Naidoo seinen Status als auch von den Stadtoberen hoch geschätzter Botschafter Mannheims.

Ein Fehler war der Auftritt ohne Zweifel, hatte sich die „Reichsbürger“ doch in jüngerer Zeit tatsächlich von „wirr“ zu „klar rechts“ gewandelt. Die Schlussfolgerung, Naidoo vertrete ein geschlossenes „rechtes“ Weltbild, wäre aber verfehlt. Ohnehin liegt dem farbigen Sänger Rassismus fern. „Meine Eltern haben sich aus dem Apartheidssystem in Afrika losgekämpft“, erzählte er den „Reichsbürgern.“ Naidoo engagierte sich für Amnesty, trat bei „Rock gegen Rechts“ auf und praktizierte schon durch die Wahl seiner Duettpartner aktive Völkerverbrüderung. Tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass Xavier aus einer Mischung von Eifer und Ahnungslosigkeit heraus ins Reichsbürger-Fettnäpfchen stolperte. „Ich hab keine Ahnung, wer hier steht, ich repräsentiere die Liebe“, meinte er. Ahnung zu haben, wäre aber keine schlechte Voraussetzung gewesen, wenn man sich öffentlich politisch äußern will.

Von Außenseiter zum Liebling Fußballdeutschlands

Xavier als Outcast – eigentlich liegt ihm die Rolle nicht. Er sehnt sich nach Harmonie. Neun Jahre vor dem Eklat war der Mannheimer noch Everybody’s darling gewesen. Das war anlässlich der als „Sommermärchen“ bekannt gewordenen WM 2006 in Deutschland. Auf allen Kanälen war Naidoo damals mit schwarz-rot-gold bemalter Backe als First Fußballfan der Nation unterwegs. Ausgelöst hatte den Boom Nationalspieler Gerald Asamoah, der seiner Mannschaft eines Tages in der Kabine ein Lied vorspielte: „Dieser Weg wird kein leichter sein.“ Das Lied, frisch veröffentlicht auf Xaviers CD „Telegram for X“, wurde zur Hymne der Mannschaft und ganz „Fußballdeutschlands“. Er sang es vor Millionen bei der WM-Abschlussfeier am Brandenburger Tor. Damals, für kurze Zeit, war Xavier Naidoo Helene Fischer: Deutschlands Vorzeigestar.

Keine schlechte Karriere für jemanden, dessen Eltern von Südafrika nach Mannheim gezogen waren. Einen „bunten Hund“ mit afrikanischen, indischen und irischen Wurzeln. Es war auch in den 70gern und 80gern noch nicht selbstverständlich, in Deutschland als Farbiger aufzuwachsen. Naidoo gibt an, oft in der Schule gehänselt worden zu sein. Vielleicht erklärt das teilweise seine betonte Heimattreue, was Mannheim und Deutschland betrifft. Er will dazugehören. Xavier Naidoo entdeckte in Schul- und Kirchenchören das Singen, wurde Musicalstar, Backgroundsänger und schließlich aufgrund seiner überragenden Soulstimme auch als Solist entdeckt. Sein erster großer Erfolg war die Single „Frei sein“ (1997) zusammen mit der Rapperin Sabrina Setlur. Seine erste CD „Nicht von dieser Welt“, ein Jahr später, wurde 1 Million Mal verkauft – der Durchbruch.

Armageddon kommt

Stilistisch setzte Naidoo wie Michael Jackson auf ausgeprägte Beats und technisch perfekte Produktion zu eingängigen Refrains. Ein Stilmix aus Rock, Soul, Gospel und Rap, angereichert durch Passagen in englischer Sprache, will eine Art Weltmusik erschaffen, universell verständlich und menschheitsverbrüdernd. In diesem Geist gründete Xavier Naidoo 2000 auch die Gruppe „Söhne Mannheims“, die ebenfalls sehr erfolgreich war. Interessanter in unserem Zusammenhang sind Naidoos Texte. Er ist bekennender Christ und neigt gleichzeitig politisch zu radikalen Ansichten, was dazu führt, dass er an vielen Fronten kämpfen muss. Naidoo zeigt sich in seinen Texten als spiritueller Anarchist, erfüllt von tiefem Misstrauen gegen staatliche Institutionen. Der politisch-ökonomisch-militärische Komplex ist für ihn – in biblischer Analogie – das „Babylon-System.“ Diesem sagt der Sänger den Kampf an: „Denn jeder Staat, außer dem Ameisenstaat, ist mein Feind.“ Auch offene Gewaltdrohungen gegen Machthaber gehören zum Repertoire: „Wenn ich schon Kinder hätte, dann müsste ich euch bedrohen (…) und falls ihr nichts ändert, spende ich euer Blut.“

Die politische Anklage ist aber bei Xavier Naidoo stets mit religiösen Metaphern aufgeladen. Die Verfehlungen der Menschheit sind Sünde, der drohende Welt-Kollaps somit eine gerechte Strafe Gottes: „Diese Welt war nie rein. Sie liegt am Boden, um zu sterben, und ich lass sie sterben, denn ich weiß, so soll es sein.“ Nicht ohne Befriedigung konstatiert der Sänger: „Denn die Tage sind gezählt, dann stirbt das Babylon System.“ Manche haben Naidoo deshalb auch einen christlichen Fundamentalisten genannt. Vieles an seinen Texten wie „Armageddon“ klingt verdächtig nach Treppengesprächen mit Vertretern der Zeugen Jehovas: „Nur für Einhundertvierundvierzigtausend wird es Rettung geben.“ Zur christlich inspirierten Privatmythologie das Mannheimers gehört – neben Verderbnis und Apokalypse – auch noch ein drittes Element: die Erlöserfunktion einer auserwählten Avantgarde.

Er ist nicht von dieser Welt

Wer von Xavier Naidoo nur ein paar der radiogängigen Soul-Balladen kennt, etwa „Ich kenne nichts, das so schön ist wie du“, mag über dessen radikale Seite staunen. Öffentlich tritt er ja vor allem als der Sänger der Liebe in Erscheinung. Seinen Einstieg in die Charts schaffte Naidoo mit der Zeile „Sie ist nicht von dieser Welt, die Liebe, die mich am Leben hält.“ Liebe, Selbstfindung und Ermutigung dienen bei Xavier Naidoo auch der Vorbereitung auf das kommende Reich Gottes. Der Hörer wird in seinen Texten direkt angesprochen und in die suggerierte Aufbruchsstimmung miteinbezogen. Er wird ermutigt, eine umfassende Bewusstseinsveränderung zu vollziehen, um reif für den großen Umbruch zu werden. So schaffte es Naidoo, auf ein- und derselben CD folgende Titel unterzubringen: „Bitte hör nicht auf zu träumen“, „Gib dich nicht auf“ und „Halte durch“.

Hört man Xavier Naidoo in Interviews, gewinnt man – im Gegensatz zu manch revolutionären Tönen in seinen Liedern – den Eindruck, es mit einem netten Kerl zu tun zu haben: Vegetarier, Idealist, Menschenfreund, Versöhner. Es scheint, als würde der spirituelle Anarchist in seinen Texten mehr bellen als er persönlich beißt. Dennoch sind seine Ansichten vielen wohl schon zu gefährlich. Das „Naidootum“ als alttestamentarisch inspiriertes, die Moderne frontal angreifendes Mythengemisch schafft ein hochemotionales Gegengewicht zur säkularen Gesellschaftskritik der Linken. Es gibt nicht nur dem Verstand, sondern auch dem Unbewussten reichlich „Futter“. Ein mit spirituellem Heroismus getränkter Aufruf zur Revolte, transportiert durch gut gemachte Popmusik – eine solche Mischung polarisiert. Sie droht gar den resignativen Pragmatismus eines sicherheitsbedürftigen Wahlvolks aufzubrechen. Ist „Babylon“ gerade dabei, gegen den Umstürzler zurückzuschlagen?

Opfer einer Kampagne?

So fragwürdig einige Ansichten Naidoos auch sein mögen – in der öffentlichen Kampagne gegen ihn ist der Versuch zu erkennen, Personen zu diffamieren, die sich „kreativ antikapitalistisch“ äußern. Der Vorwurf gegen eine Person, „rechts“ zu sein, taugt dazu, den kapitalismusfrommen Mainstream und die Linke zu einer Entrüstungsgemeinschaft zusammenzuschweißen und damit verhaltensauffällige Zielpersonen abzuschießen. Bei vielen Kritikern ist der Affekt gegen „rechts“ ehrlich gemeint. Ja Wachsamkeit erscheint vor dem Hintergrund einer neuen Welle von Fremdenfeindlichkeit sogar besonders geboten. Im Ergebnis werden durch solche Kampagnen aber oft Transatlantischer Netzwerke, Geheimdienste, Kriegs- und Finanzindustrie gegen berechtigte Kritik abgeschirmt. Xavier Naidoo hat sich wie sonst kaum ein bekannter Künstler gegen Kriegstreiberei und versteckte Formen der Ausbeutung in Stellung gebracht: „Zins und Zinseszins haben ausgedient“, sang er. Wurde ihm (auch) dies zum Verhängnis?

Jedenfalls scheint Naidoo jetzt zurück zu rudern und hat mit „Nicht von dieser Welt 2“ ein politikfreies Album fast ohne Provokationen abgeliefert. Eigentlich handelt es sich dabei um eine wie immer perfekt produzierte Werbe-CD für Gott, der eine „Renaissance der Liebe“ einleitet, den Menschen „frei“ macht und für ihn der „Fels“ in der Brandung ist. Das Reich Gottes, wie in der Bibel prophezeit, steht demnach unmittelbar bevor. „Wir kommen dem Himmel noch näher“. Daneben gibt es sehr bedenkenswerte Texte über Gewalt in der Ehe und die Grausamkeit von Tiertransporten. Allerdings wäre es eher mangelnder Werkkenntnis geschuldet, würde man den gütigen Tonfall des Albums nun zu einer großen Überraschung hochstilisieren. Man muss die Dinge in der richtigen Relation sehen. Alles, was ich im Zusammenhang mit dem „Reichsbürgerskandal“ und anderen Fehltritten angesprochen habe, berührt eher einen Randbereich im Werk Xavier Naidoos. Dem standen schon immer unzählige Äußerungen sehr menschenfreundlicher und toleranter Art gegenüber.

Ja der „Saviour Naidoo“ scheint seine Wurzeln eher im Himmel zu haben, was dazu führt, dass er auf Erden manchmal ins Stolpern gerät. Aber seine zentrale Botschaft an die Hörer verbindet beide miteinander: „Du wurdest darauf angesetzt, den Himmel um die Erde zu erweitern“.

Anzeigen von 3 Kommentaren
  • Walter Schmidt
    Antworten
    Der Inhalt seiner Musik wirkt bemerkenswert belesen, biblische Allgemeinbildung ist ihm dabei erfreulich hilfreich à la Offenbarung 16:16, er ist damit aber noch lange kein Zeuge Jehovas. Es ist aber immer wieder erheiternd, dass wir mit Leuten, die sich bibelafin artikulieren, in Verbindung gebracht werden, das ist für uns Anspruch und Verpflichtung zugleich, Danke dafür, fühle mich damit geehrt!

    P.S.: Vergesst, was die Presse über irgendeine Person, Religion und Institution schreibt und leistet Euch den Luxus einer persönlich erarbeiteten Meinung. Alles Andere ist für denkende und selbstentscheidende Leute definitiv keine Option und menschenunwürdig! Weniger sollte sich niemand wert sein und bitte niemals minderreflektiert defizitäre Volksmundergüsse nachplappern. Man muss nicht alles toll finden, aber dann bitte auch selbst genau wissen, warum nicht.

    • Maddalena Cavalieri
      Antworten
      Bin ganz deiner Meinung, Bruder 😉
  • Frank Reich
    Antworten
    Warum verheimlicht X. Naidoo dann seine Glaubensrichtung? PR oder weiß er es selber nicht?

    Ich wünsche trotz aller Unsicherheit Gottes Segen und hoffe, dass er sich entscheiden kann.

    F.R.

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