Zäune in meinem Herzen
Drei Gedichte über Ignoranz, Ausgrenzung und die Sprache der Angst. Gibt es sie eigentlich noch – die Flüchtlingskrise? Durch ein bestimmtes anderes Thema wurde sie aus dem Fokus auch derer gedrängt, die normalerweise diesbezüglich wachsam sind. Zum Glück hat sich der Schweizer Dichter Peter Fahr des Themas angenommen. Denn die Unmenschlichkeit ist keineswegs verschwunden, es wird nur (noch) weniger hingeschaut. Feinfühlig beschreibt Fahr, wie wir Leid von uns fernhalten, das eigentlich ganz nah ist, und wie wir mit Sprache die vermeintlichen Unterschiede zwischen „uns“ und „den anderen“ modellieren. Gedichte, die anspruchsvoll sind und die doch jeder verstehen kann, der verstehen will. Peter Fahr
wir sind touristen
sie flüchten mit booten aufs offene meer
und viele ertrinken vor diesen küsten.
wir stürzen uns in die erfrischende flut,
als ob wir nichts von den flüchtlingen wüssten.
wir liegen am strand und träumen die tage.
wir leben gern. was gehen uns tote an?
mietwagen und hotelsuite klimatisiert.
pizza und pasta. und ein bier dann und wann.
wir erholen uns hier, wir sind touristen.
wir cremen uns mit schutzfaktor 50 ein.
im windschatten wachsender leichenberge
bräunt uns der lampedusische sonnenschein.
aus fremder angst
europa baut zäune aus stacheldraht
rasierklingenscharf
an seinen grenzen
gegen männer frauen kinder
die ihre heimat verlassen
und schuldlos schutz suchen
vor bomben
wir bauen zäune aus stacheldraht
rasierklingenscharf
in unseren seelen
gegen gestrandete gedemütigte gefolterte
die alles verloren haben
und verzweifelt
um aufnahme bitten
ich baue zäune aus stacheldraht
rasierklingenscharf
in meinem herzen
gegen zuneigung freundschaft liebe
stacheldraht
aus fremder angst
vor mir selbst
rassismus
mein name ist gewöhnlich
deiner unaussprechlich
meine rede ist langweilig
deine unverständlich
mein wesen ist ängstlich
deines hinterhältig
mein charakter ist unpersönlich
deiner unausstehlich
mein gesicht ist traurig
deines hässlich
mein auftritt ist genierlich
deiner peinlich
meine frau ist zickig
deine niederträchtig
mein kind ist lästig
deines überflüssig
mein hund ist reinrassig
deiner räudig
mein wagen ist ansehnlich
deiner rostig
mein haus ist geräumig
deines dreckig
meine bank ist zuverlässig
deine bestechlich
mein gott ist unerschütterlich
deiner unversöhnlich
meine kultur ist vorzüglich
deine kränklich
mein volk ist grossartig
deines minderwertig
meine politik ist redlich
deine gefährlich
meine armee ist nötig
deine feindlich
mein land ist mächtig
deines verächtlich
Deine Gedichte sind erschütternd und großartig!
Ich hoffe, daß viele sie hier lesen werden!!!!!!!
Dein Holdger
Ich habe nachgedacht über den Titel „Zäune in unseren Herzen“.
Wie kommen diese Zäune dorthin und was bewirken sie?
Ein Gartenzaun grenzt das eigene Grundstück ab. Man weiß, dass man verantwortlich ist für das, was innerhalb des Zaunes geschieht und hat oft auch die Freiheit, dieses Innere entsprechend den eigenen Möglichkeiten zu gestalten.
Zäune im Herzen scheinen mir willkürlich festgelegte Beschränkungen für das Gewähren von Zuneigung, Verständnis und Mitgefühl anderen Menschen oder Menschengruppen gegenüber zu sein.
Wer errichtet diese Zäune und zu welchem Zweck? Zum einen werden solche Zäune von „Gruppen“ errichtet, mit dem Ziel die eigene Gruppe zu stärken. Die Energie soll sozusagen innerhalb der Gruppe bleiben. Das sichert das Überleben der Gruppe.
Jetzt kann man natürlich auf Menschen außerhalb dieser Herzenszäune mit Hass, Verachtung, Missgunst oder Neid blicken, oder man verhält sich einfach neutral.
So ein Zaun markiert also den Bereich der persönlichen Verantwortung.
Der Mensch, oder genauer: recht viele Menschen scheinen so strukturiert zu sein, dass sie immer jemanden brauchen, auf den die hinuntersehen können, den sie die Schuld für Ihre Misere geben können oder den sie innerlich herabsetzen können, was sie selbst gleichzeitig erhöht. Mangelndes Selbstwertgefühl und ein Mangel von Liebe und Angenommensein der eigenen Person führen dazu, dass Menschen das tun, um wieder einigetmaßen zufrieden mit sich selbst leben zu können.
Ausgleichen lässt sich dieser Missstand eigentlich nur, wenn man sich bemüht, die Liebe zu vermehren. Je nach Pegelstand der Energie, die Liebe zu sich selbst und dann die Liebe ausdehnend auf andere. Manchmal ist es auch einfacher, andere zu lieben, aber irgendwann wird man wieder bei sich selbst „landen“.
Ich habe erst begriffen, was mit dieser Selbstliebe eigentlich gemeint ist, nachdem ich einen großen Liebesschwall an Zuneigung von einem anderen Menschen erhalten habe, der mein Herz berührt hat. Berührt und umsorgt, nicht missbraucht, ausgenutzt, benutzt und verletzt.
Zu den Flüchtlingen wurde auf HDS schon viel geschrieben. Mir persönlich geht es so, dass ich Ausländer in der Regel mit Wohlwollen sehe, ich empfinde sie oft als sehr vertraut. Anderen Menschen geht es anders, die fühlen sich von Ausländern gestört, verächtlich angeschaut oder sogar verachtet. Was da in den Herzen und Hirnen abläuft, ist wohl eine Sichtbarmachung des eigenen Gedanken- und Gefühlsgeflechtes: Hege ich gegenüber anderen diese bestimmte Gefühle, dann spiegeln die anderen mir diese Gefühle zurück und ich selbst muss oder darf sie empfinden.