Das ewige Leben

 In FEATURED, Philosophie, Politik, Roland Rottenfußer, Spiritualität

Evelyn Opela im Film “Das Blaue Palais: Unsterblichkeit”

Transhumanisten sehen den Tod des menschlichen Körpers als technisch lösbares Problem an — spirituelle Lehrer halten Unsterblichkeit schon lange für möglich. „Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe“, soll Jesus gesagt haben. Gemeint ist aber wohl ein Leben in einem neu erschaffenen Körper auf einer „neuen Erde“. Andere Religionen verkünden die „Seelenwanderung“, also die Unsterblichkeit unseres individuellen Bewusstseins, nicht des physischen Körpers. Was unsere reale physische Hülle betrifft, so sind deren Zukunftsaussichten durchweg düster — speziell, wenn man die Zeit erster jugendlicher Frische schon eine Zeit lang hinter sich hat. 80, 90 Jahre sind uns zugeteilt, wenn wir nicht gerade die Queen Mum oder Henry Kissinger sind. So manchem auch weniger. Die Folgen sind ein gewisser Zeitdruck, die Melancholie der Vergänglichkeit, hektische Betriebsamkeit zum Zweck der Verdrängung. Die Fantasie des Menschen hat viel geleistet beim Versuch, den Tod wenigstens in der Vorstellung auszutricksen. Vom Vampirroman bis zum Jenseits-Channeling gibt es genügend kurzweiligen Lesestoff. Hier sind wir assoziativ schon bei Ray Kurzweil und anderen Transhumanisten angelangt, die die Möglichkeit menschlicher Unsterblichkeit schon ab 2030 ansetzen. Da könnten die meisten von uns dem Tod noch mal von der Schippe springen. Aber wird dies eine Option für alle Menschen sein — oder doch nur wieder für die „Eliten“? Und ist es überhaupt wünschenswert, nicht zu sterben? So mancher Visionär scheint sich die Konsequenzen eines solchen Szenarios nicht sorgfältig überlegt zu haben. Roland Rottenfußer

 

„Ich lebe seit viereinhalb Jahrhunderten, und ich kann nicht sterben“, sagte Connor McLeod. „Naja, wir haben alle unsere Probleme“, erwiderte seine Gefährtin Brenda. Im Fantasy-Epos „Highlander“, einem Film von Russell Mulcahy aus dem Jahr 1986, kann der von Christopher Lambert dargestellte Protagonist nicht sterben. Nicht einmal, wenn er bei Schwertkämpfen auf eine Weise verwundet wird, die für jeden anderen tödlich wäre. Eine spannende und etwas rätselhafte Handlung. Was aber ist an diesem „Nicht-sterben-Können“ ein „Problem“? Wäre es nicht vielmehr eine Gnade — das, was sich alle Menschen wünschen: Unsterblichkeit? Ist nicht vielmehr unsere Sterblichkeit das Problem, der Terror des unausweichlichen Verfalls unseres Körpers, der Druck der begrenzten Zeit, die absehbaren, schmerzlichen Abschiede und die Ungewissheit des „Wohin”?

Lange bevor „Transhumanismus“ als Begriff bekannt geworden ist, beschäftigten sich Science-fiction-Autoren und Drehbuch-Schreiber visionär mit dem Thema. Den intelligentesten mir bekannten Beitrag zum Thema schrieb und inszenierte der deutsche Filmemacher Rainer Erler 1976 mit „Unsterblichkeit“ — einem Beitrag der Reihe „Das Blaue Palais“, in der ein Forscherteam an grenzwissenschaftlichen Themen arbeitet. Gut recherchierte wissenschaftliche Ansätze wurden visionär weitergedacht und mit einer Thrillerhandlung verknüpft. Man muss allerdings ein Alter erreicht haben, das der Unsterblichkeit schon ziemlich nahe kommt, um sich an die Erstausstrahlung dieser großartigen Sendereihe noch zu erinnern. Diese bestach nicht zuletzt auch durch ihre philosophische Tiefe. Im Anfangsmonolog skizziert der Leiter der Forschungseinrichtung die Ausgangslage:

Der vermeidbare Tod

„Uns Menschen erscheint der Tod unausweichlich. Schicksalhaft, aber auch unmenschlich. Denn jede Stunde, in der wir leben, bringt uns neue Erfahrungen und Erkenntnisse. Aber die letzte macht alles zunichte. Sterben ist etwas Absurdes. Altern und Sterben scheinen in unseren Lebensfaden einprogrammiert zu sein, um das Leben als Ganzes zu erhalten.

Die Lebensbedingungen auf unserem Planeten haben sich in Millionen Jahren laufend verändert. Nur durch eine rasche Folge von Generationen wird Anpassung und damit das Überleben einer Art gesichert. Es gibt jedoch keinen Grund mehr anzunehmen, dass der Begriff des Lebens zwangsläufig und untrennbar mit dem des Todes verknüpft sein muss, wenn es der Biochemie gelingt, das entsprechende Programm in uns zu entschlüsseln und zu verändern. Es scheint mir, als seien die Biochemiker nicht mehr allzu weit von diesem Ziel entfernt.“

Als Grund für die „eingebaute“ Sterblichkeit wird hier der Drang des Lebens nach Weiterentwicklung durch in schnellem Rhythmus aufeinander folgende Generationen genannt. Und es wird ein Ausweg angedeutet: die Möglichkeit, den Tod mithilfe der Biochemie auszuschalten. Zu diesem Zweck entdeckt das Forscherpaar Jeroen de Groot (Peter Fricke) und Sibilla Jacopescu (Evelyn Opela) eine Methode, um beliebig häufige Zellteilung bei Menschen möglich zu machen. Der Tod sei die Folge der ab einem bestimmten Alter aussetzenden Zellerneuerung.

Kann diese natürlicherweise „geplante Obsoleszenz“ des Körpers aufgehoben werden, kann der Mensch potenziell für immer leben – es sei denn, er wird durch äußere Gewalteinwirkung dahingerafft.

Zudem ist die Unsterblichkeit in diesem Szenario weitervererbbar.

Für dieses Forschungsvorhaben hat speziell Sibilla ihre persönlichen Gründe. Im Gespräch mit Jeroen beklagt sie den Zwang, sich auf in der Regel nur einen Lebensschauplatz und eine Lebensweise festlegen zu müssen, und malt sich aus, wie schön es sein müsse, unbegrenzt Zeit zu haben.

„Wenn das Leben nicht so begrenzt wäre … Wir wissen doch bei allem, was wir tun und planen, dass es nicht ewig dauert. Was würden wir anders machen, wenn es unendlich wäre?“

Sibilla ist schließlich die erste, die sich das Unsterblichkeitsserum spritzt. Ein Grund dafür ist Eitelkeit, denn ihre Mitarbeiterin verspricht ihr, wenn ihr Partner ein alter Mann geworden sei, werde sie selbst immer noch jung und schön sein.

Unbegrenzte Vermehrung

So weit zu den Verlockungen der Unsterblichkeit. Nun zu den möglichen Problemen. Das erste betrifft die Variante „Vererbliche Unsterblichkeit“. Das würde bedeuten, dass alle heute auf der Erde lebenden Menschen für immer am Leben blieben, während ständig neue, ebenfalls unsterbliche geboren würden.

Diese Schreckensvision verdeutlicht Rainer Erler drastisch am Beispiel unsterblicher Taufliegen, die sich im Laufe des Films in einem Glasbehälter immer stärker vermehren. Der Erfinder der Methode, Ian McKenzie, hat die Insektenart wegen ihrer raschen Generationenfolge als „Versuchskaninchen“ ausgewählt. Wegen des Ergebnisses im Versuch mit den Taufliegen stellt er alle weiteren Forschungen zum Thema aus Gewissensgründen ein. So erklärt es McKenzie im Dialog mit Sibilla und Jeroen:

„Und wenn sie immer genügend Futter haben und keiner Katastrophe zum Opfer fallen, dann werden sie ewig leben. Auch in der freien Natur. (…) Die Spuren menschlicher Zivilisation werden verschwinden, aber diese Fliegen hier werden immer noch leben. Und sie vermehren sich unaufhaltsam. Denn die Unsterblichkeit ist erblich. Mit einem Dutzend fing es an. Jetzt sind es Millionen. Und wenn sie entweichen — ein Pärchen genügt —, 50 Jahre von jetzt, und die Erde wird bedeckt von einer schwirrenden schwarzen Wolke, Taufliegen, unsterbliche, sich alle drei Wochen vervielfältigende Taufliegen. Eine Horrorvision, nicht wahr? (…) Aber setzen Sie jetzt für jede Fliegen einen Menschen. (…) Verstehen Sie jetzt, dass ich weitere Versuche eingestellt habe?“

Während Sibilla entschlossen ist, die Experimente an Menschen auf der Grundlage der Arbeit von McKenzie weiterzuführen, sieht Jeroen die möglichen Folgen:

„Ich bezweifle, dass wir ein Recht haben, es zu tun. (…) Die Ergebnisse sind nicht vorhersehbar. Vererbliche Unsterblichkeit. Dieser Planet erstickt doch bereits an Menschen. Hungerkatastrophen, Mord, Totschlag werden die Folgen einer Bevölkerungsexplosion sein.“

Sibilla argumentiert, man müsse ja nicht gleich allen Menschen die Spritze geben.

„Niemand von uns hat die Absicht, die Menschheit mit Unsterblichkeit zu beglücken.“

Hier aber kommt ein ethisches Problem ins Spiel, das Jeroen erkennt:

„Und wer trifft die Auswahl?“

Unsterblichkeit als Elitenprojekt

Wie in der Debatte um Bevölkerungsreduktion — und sei es auch „nur“ durch gezielt hervorgerufene Unfruchtbarkeit — sieht Jeroen das Problem, vor dem auch wir stehen würden: Es wäre eine ungeheure Anmaßung, entscheiden zu wollen, wer leben, sich vermehren oder gar „ewig leben“ dürfte, und wer nicht. Nehmen wir als Gedankenexperiment an, ein Unsterblichkeitsmedikament wäre verfügbar. Dann geschähe vermutlich folgendes: Sollte die „Therapie“ teuer sein, wäre Unsterblichkeit ein Privileg der Reichen, die wie Götter auf uns Normalsterbliche herabblicken würden. Sie würden uns kommen und gehen sehen, wie eine Vogelliebhaberin ihre Wellensittiche, von denen sie wegen der kurzen Lebensspanne eben alle sieben Jahre einen neuen in der Zoohandlung kaufen müsste. Die andere Variante: Wäre die Behandlung billig, gäbe es einen ungeheuren „Run“ auf die Injektion. Es gäbe quasi Unsterblichkeits-Impfdrängler. Und wer schon betagter ist, hätte es naturgemäß eilig.

Fragen wie die nach der Gefahr massiver Überbevölkerung sowie der Priorisierung unter den Unsterblichkeits-Aspiranten wären extrem schwer zu entscheiden, würden aber vermutlich dennoch entschieden werden: durch diejenigen, die die Macht besäßen. Unsterblichkeit wäre ein Elitenprojekt, das vielleicht sogar unter höchster Geheimhaltung vollzogen würde.

Steht uns möglicherweise ein unsterblicher Klaus Schwab, Bill Gates oder Robert Habeck ins Haus? Ist zu befürchten, dass uns ein Karl Lauterbach noch in 100 Jahren vor der 500sten Corona-Welle warnen wird?

In einem solchen Fall ist es ein Trost, dass wir zu diesem Zeitpunkt wohl nicht mehr leben werden, denn die biotechnische Elite der Welt wird kaum ausgerechnet uns zu jenen Auserwählten zählen, die die Menschheit für immer mit ihrer Anwesenheit beglücken werden.

Die Sterbensreifen

Das Beispiel mit den Taufliegen können wir erst mal getrost vergessen, denn welcher Politiker würde schon sehenden Auges die ihm Anvertrauten in die Katastrophe führen? Naja, mit Ausnahme vielleicht der Grünen. Aber in der Praxis hätten wir es zunächst mit wenigen Unsterblichen zu tun, die in einem Umfeld vieler Sterblicher lebten. Wie sich das anfühlen kann, wurde in nicht wenigen Hollywood-Filmen thematisiert. Es gibt da zum Beispiel die Figur des lebensmüden Vampirs, eines Décadents mit schwarzen Augenringen, der gern sterben würde, es aber nicht kann — ein Fluch. Eine positive Vision wären reichhaltige Lebenserfahrung und große Allgemeinbildung. Wie kämen die Betreffenden aber mit der unbegrenzten Fülle an belastenden und traumatisierenden Erfahrungen zurecht, die sich im Erinnerungsspeicher der Seele ansammeln?

Schicksal eines Unsterblichen wäre es, dass er immer wieder Menschen, die er liebt, verlieren müsste. In „Highlander“ wird dieses Szenario auf tragisch-romantische Weise durchgespielt, als Connor McLeod seine große Liebe Heather altern und sterben sieht, während er selbst immer der gleiche gut aussehende junge Mann bleibt. Heather hat das Geheimnis seiner ewigen Jugend nie verstanden, aber die Liebe der beiden bewährt sich unter solch absurden Umständen buchstäblich, bis der Tod sie scheidet.

Der Tod als technisches Problem

Noch spannender werden solche Fragen, wenn wir uns vor Augen führen, dass Wissenschaftler der „transhumanistischen“ Richtung die Unsterblichkeit mittlerweile für machbar halten. Für ein breites Publikum hat Yuval Noah Harari solche Forschungsergebnisse und Visionen in seinem Buch „Homo Deus“ dargestellt. In einem Kapitel, das „Die letzten Tage des Todes“ heißt. Darin sagt er in radikaler Sprache dem Tod den Kampf an:

„Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte (…) stellt kategorisch fest, grundlegendster Wert der Menschheit sei das ‚Recht auf Leben‘. Da der Tod eindeutig gegen dieses Recht verstößt, ist er ein Verbrechen gegen die Menschheit, und deshalb sollten wir den totalen Krieg gegen ihn führen.“

Häufig hat man ja bei Harari das Gefühl, so etwas könne er nicht ernst meinen; er sage es also quasi nur in Anführungszeichen, kritisiere damit diejenigen, die dergleichen glauben. Bei näherer Beschäftigung mit dem Autor und nach Recherche seines Umfelds kommt man aber zu dem Ergebnis: Der meint das wirklich so.

Die moderne Wissenschaft und die moderne Kultur, so Harari, „halten den Tod nicht für ein metaphysisches Mysterium, und sie betrachten ihn mit Sicherheit nicht als Quelle für den Sinn des Lebens. Für moderne Menschen ist der Tod vielmehr ein technisches Problem, das wir lösen können und lösen sollen.“ Hier hätte Harari auch schreiben können: „ein medizinisches“ oder „biologisches Problem“. Wenn er die Technik anführt, zeugt das von einer Ideologie, die den Menschen als reparable und potenziell unbegrenzt programmierbare Maschine betrachtet.

„Menschen sterben immer wegen irgendeiner technischen Störung (…) Und für jedes technische Problem gibt es eine technische Lösung. Wir müssen nicht auf das Jüngste Gericht warten, um den Tod zu überwinden. Dazu reichen ein paar Freaks in einem Labor.“

Die Nachfolge Gottes beziehungsweise Jesu, der dem jüngsten Gericht nach christlicher Lehre vorsitzen soll, ist demnach bereits geregelt: Wissenschaftler in ihren Laboren schaffen das.

„Who wants to live forever?“

In jüngerer Zeit wurden auch einige hoch interessante Artikel über eine globale Unsterblichkeitsbewegung veröffentlicht. So schreibt unter anderem die taz:

„Ihren Ursprung hat die Unsterblichkeitsbewegung im US-Bundesstaat Arizona, wo vor dreißig Jahren drei Amerikaner die Idee entwickelten, sich zur Erlangung ewigen Lebens nicht länger auf Äußerlichkeiten zu konzentrieren und den Jungbrunnen stattdessen im eigenen Kopf zu suchen. In Deutschland wollen bislang einige hundert Ehrgeizige dem Tod ein Schnippchen schlagen, doch weltweit sind es bereits an die 10.000 Todesmüde.“

„Who wants to live forever?“ sangen Queen im bombastischen Filmsong zu „Highlander“. „Ich!“, schreien offenbar immer mehr Menschen. In einem Artikel der Berliner Zeitung werden sie „Futuristen“ genannt.

„Sie fordern von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), nicht nur die Alterskrankheiten anzugehen, sondern das Altern selbst zur Krankheit zu erklären und mit massiven Anstrengungen den Tod zu bekämpfen.“

In ihrem Buch „Der Sieg über den Tod“ erklären die Autoren José Luis Cordeiro und David Wood „Wenn wir den Tod nicht töten, wird der Tod uns töten.“ Die Berliner Zeitung weiter:

„Genau dies wollen die Futuristen aber nicht akzeptieren. Zweiflern und Kritikern bescheinigen sie, technokonservativ zu sein, keine positiven Visionen zu haben und dem ‚Alterungs-Akzeptanz-Paradigma‘ anzuhängen. Sprich: Man sei nur zu uninformiert oder rückwärtsgewandt und erkenne nicht die gigantische Chance, das Altern und den Tod zu besiegen.“

Gottgleiche Wesen

Was aber würde das in der Praxis bedeuten? Die Berliner Zeitung stellt hier eine interessante Rechnung auf, die zeigt, dass kollektive Unsterblichkeit in die Katastrophe führt, selbst wenn sie nicht — wie in der Serie „Das Blaue Palais“ angedacht — vererbbar ist.

„Spielen wir das mal durch: Neun Milliarden Menschen auf der Erde. Möglichst jeder soll mindestens 500 Jahre alt werden. Wenn nur ein Zehntel (!) davon mit etwa 30 Jahren zwei Kinder bekommt und diese jeweils wieder zwei Kinder und so weiter, dann passiert folgendes: Nach 360 Jahren — also zwölf Generationen — wäre die Weltbevölkerung auf 1,8 Billionen angewachsen.“

Die Folgen kann man versuchen, sich auszumalen.

Die Wiener Zeitung wandte sich mehr dem praktischen Verfahren des Unsterblich-Werdens zu. Demnach ist die Wissenschaft inzwischen weiter als zu Rainer Erlers Zeiten.

„Der Körper wird trainiert, modelliert, optimiert, Defizite und Verschleißerscheinungen werden mit Implantaten und Prothesen korrigiert; das Gehirn wird mit leistungssteigernden Substanzen gedopt und mit Nanobots, also autonomen Maschinen im Miniaturformat, verdrahtet. Irgendwann wird das Gehirn in die Cloud hochgeladen. Am Ende dieses Optimierungsprozesses steht die Vision eines perfekten, gottgleichen Wesens, das sich als Mensch-Maschinen-Hybrid reibungslos in die Roboterwelt einpasst.“

Karsten Weber und Thomas Zoglauer entwerfen in ihrem Buch „Verbesserte Menschen“ eine zugleich faszinierende wie etwas unheimliche Vision:

„Der Mensch könne seine körperlichen Fesseln überwinden, gleichsam entmaterialisieren und als virtuelles Wesen im Cyberspace auferstehen. Der Geist könnte im Datenkörper weiterleben.“

Auch dazu gibt es — wie in vielen solchen Fällen — bereits einen Hollywood-Film: „Transcendence“ aus dem Jahr 2014 von Wally Pfister, mit Johnny Depp in der Hauptrolle. Darin gelingt es dem todkranken Will Caster, sein Bewusstsein in einen hoch entwickelten Computer hochzuladen. Als es diesem gelingt, sich ins Internet einzuloggen, besteht die Gefahr, dass Caster alle vernetzten elektronischen Geräte der Welt kontrollieren und nach der Weltherrschaft greifen könnte. Speziell unter dem Aspekt möglicher Unsterblichkeit ist diese Vision berückend, denn mitunter kann man so eine Maschine über lange Zeit problemloser am Laufen halten als den menschlichen Körper. Was bei Stromausfall passiert, bleibt allerdings unklar.

Leben ohne Tod — schon 2050?

Zu den Vordenkern von Harari und anderen Unsterblichkeitsvisionären gehört der mittlerweile 75-jährige Ray Kurzweil, der behauptete, „jeder, der 2050 über einen gesunden Körper und ein gut gefülltes Bankkonto verfüge, habe eine ernsthafte Chance auf Unsterblichkeit und könne dem Tod ein Jahrzehnt nach dem anderen abluchsen.“ Dazu müsste man in gewissen Abständen nur eine gewisse körperliche „Generalüberholung vornehmen.“

Hier sollten vor allem unsere jugendlichen Leser aufmerken. Für mich könnte es ein wenig knapp werden. 2012, so schildert es Harari, „wurde Kurzweil zum Leiter der technischen Entwicklung bei Google ernannte, und ein Jahr später gründete Google ein Subunternehmen namens Calico, dessen erklärtes Ziel darin besteht, den Tod zu beseitigen.“ Erst im März 2023 verkündete Kurzweil, die Unsterblichkeit sei sogar schon 2030 möglich. Na, mal abwarten.

Ein weiteres Problem beschreibt Yuval Noah Harari in „Homo Deus“. Es handelt sich um die Gefahr verstärkter Todesangst bei Unsterblichen: „Tatsächlich aber werden sie eher amortal als unsterblich ein“, schreibt Harari.

„Anders als Gott können künftige Übermenschen noch immer im Krieg oder bei einem Unfall sterben, und nichts kann sie aus dem Jenseits zurückbringen (…) Was sie möglicherweise zu den ängstlichsten Menschen macht, die es je gab.“

Denn „wenn man glaubt, man könnte ewig leben, dann wird man einen Teufel tun und diese Unendlichkeit einfach auf Spiel setzen.“

Die Todesangst der Unsterblichen

Diese Vorhersage stimmt verblüffend mit einem Szenario überein, das Rainer Erler 1976 für „Das Blaue Palais“ entwarf. Darin wird das Unsterblichkeitsserum einer Gruppe von Versuchspersonen gespritzt. Daraufhin traut sich keiner von ihnen mehr, sein Zimmer im Forschungszentrum zu verlassen.

„Die steile Treppe … und wenn ich mir was tue? Wenn das alles so funktioniert, wie Sie sagen, dann steht doch da sehr viel auf den Spiel“, jammert eine ältere Dame. Die Betreuerin versucht, sie zu beruhigen: „Aber Sie können doch nicht aus Angst, dass etwas passieren könnte, immer auf Ihrem Zimmer bleiben.“ „Doch ich kann. Mir macht das nichts aus. Ich finde es sehr hübsch hier. Der Straßenverkehr und das alles, das ist mir in Zukunft zu gefährlich.“ Ein anderer Unsterblicher bekommt es mit der Angst zu tun, weil ein Mann im Nachbarzimmer hustet.

Nach einiger Zeit machen sich die Wissenschaftler Sorgen wegen der gespenstischen Stille in der Anlage. „Wo sind sie die Gäste, die Versuchspersonen? Man sieht nichts, hört nichts …“ Jeroen, der mittlerweile zum Gegner der Unsterblichkeitsforschung geworden ist, stellt bitter fest:

„Nichts. Ein Totenhaus. Das Glück eurer Unsterblichkeit. Da hocken sie alle in ihren Käfigen und hoffen, dass die Zeit stillsteht, dass sie nicht älter werden. Haben Angst vor Bakterien, vor den Nachbarn, wagen sich nicht aus dem Haus, aus Furcht, ein herunterstürzender Ast, ein Ziegel, ein kalter Hauch könnte ihrem nun ewig währenden Leben nun doch ein gewaltsames Ende setzen. Es ist merkwürdig aber 10, 20, 50 Jahre, den unbekannten Rest unseres Lebens, den setzen wir unter Umständen stündlich, täglich aufs Spiel. Aber die Illusion einer Ewigkeit (…) Wir sind nicht nur vom Körper her, auch psychisch auf Sterblichkeit programmiert. Wie soll dieses Programm plötzlich gelöscht werden?“

„Bis dass der Tod uns scheide“

Das erscheint plausibel: Das Bewusstsein der Menschen ist auf Unsterblichkeit einfach noch nicht eingestellt. Harari hat diesbezüglich besonders zwei Befürchtungen: Die eine ist, mit einem Chef konfrontiert zu sein, der „von vorgestern“ ist, dessen Wertvorstellungen also noch aus einem anderen Jahrhundert stammen. Die zweite Befürchtung ist, dass Lebensbeziehungen im Fall von Unsterblichkeit eine nicht zu unterschätzende Geduldsprobe darstellen könnten. Nun, ich kenne Hararis Ehemann nicht. (…)Tristan und Isolde sehnten sich ja geradezu nach der Unauflösbarkeit ihrer Verbindung. „Ewig einig ohne End‘, ohn‘ Erwachen, ohn‘ Erbangen, namenlos in Lieb‘ umfangen, ganz uns selbst gegeben der Liebe nur zu leben“, sang das Paar in Richard Wagners Musikdrama.

Vielleicht sollte sich der Mensch zuerst weiterentwickeln, bevor er noch mehr Macht und gottähnliche Fähigkeiten erlangt. Er sollte mit der Verantwortung umgehen können, die ihm mit der Unsterblichkeit zuwachsen würde. Rainer Erlers Wissenschaftler Ian KcKenzie weiß das, Harari und Kurzweil wissen es offenbar nicht. Sie wollen alles sofort! Eben darin liegt der Unterschied zwischen einem weisen Menschen und einem Transhumanisten.

Vielleicht ist Unsterblichkeit auch einfach zu viel für die Seele — wegen der unzähligen Eindrücke, die im Laufe von Jahrhunderten, ja Jahrtausenden auf einen einprasseln. In diesem Fall wäre absolute Abgeschiedenheit das Mittel der Wahl, um sie erträglich zu machen. Diese Entscheidung traf — wenn man der Legende glauben kann — der indische Weise Babaji. Hier verlassen wir den Bereich der Literatur und des Films und kommen zu einem Fall von Unsterblichkeit, den viele für real halten.

Babaji — gibt es schon einen Unsterblichen?

Bekannt wurde Babaji durch das Buch „Autobiografie eines Yogi”, das Paramahansa Yogananda 1947 verfasste und das bis heute zu den unsterblichen spirituellen Klassikern gehört. Laut Yogananda lebt Babaji seit vielen Jahrhunderten im Himalaja im Körper eines 16-jährigen und verströmt gleich einer Sendestation unablässig seinen immateriellen Segen in die Welt. Sein Titel ist der eines „Mahavatars“, eines großen Avatars. Assoziationen an eine bekannte Kinofilmreihe sind nicht ganz falsch. Ein Avatar ist ein göttliches Wesen, das, obwohl dem Kreislauf der Inkarnationen entronnen, freiwillig in einen Menschenkörper eintaucht, um der Erde bei ihrer spirituellen Entwicklung beizustehen.

Babaji vermag Gedanken in die Köpfe auserwählter Menschen zu pflanzen und so die Weltgeschichte zu beeinflussen. Er kann mit Gedankengeschwindigkeit reisen und sich materialisieren oder entmaterialisieren, wie es ihm gefällt. „Dann sahen wir ein plötzliches Aufleuchten und erlebten die augenblickliche Entstofflichung seines Körpers, dessen Elementarteilchen sich in einem nebelhaften Licht auflösten“, heißt es in der „Autobiografie“. Babaji arbeitet über einen längeren Zeitraum, jedoch verborgen, im Hintergrund. „Solche Meister entziehen sich stets den neugierigen Blicken der Menge und haben die Macht, sich jederzeit unsichtbar zu machen.“

Babajis Sangha (spirituelle Gemeinschaft) im Himalaya, ist durch einen magischen Bann vor den Blicken neugieriger Wanderer abgeschirmt. Babaji kann nur von demjenigen gesehen werden, den er selbst dazu auserwählt hat.

Eine Liebeserklärung an das Leben

So geschah es dem Postbeamten und Familienvater Lahiri Mahasaya. Babaji weihte ihn unter wahrhaft fantastischen Umständen in die Technik des Kriya-Yoga ein — mit dem Auftrag, diese überall in der Welt zu verbreiten. Beim Kriya-Yoga handelt es sich um eine Atemtechnik — Pranayama. Yogananda nennt den Kriya-Yoga „Ein Werkzeug, durch das die menschliche Evolution beschleunigt werden kann“. Es stellt quasi die Überholspur zur Erleuchtung dar. Carter Phipps schreibt in der Zeitschrift Was ist Erleuchtung? hierzu:

„Manch einer sagte, Babajis Erleuchtung überträfe selbst die des Buddha, sie wäre eine vollkommene Transformation des Bewusstseins, deren machtvolle Kraft radikale Veränderungen bis in die Zellen des physischen Körpers hinein bewirken würde.“

Ist die Wirklichkeit vielleicht nicht so fest gefügt, wie wir glauben? Ist sie vielmehr gummiartig verformbar durch den Geist, wenn dieser mittels geheimer Techniken trainiert wurde?

Vereinfacht gesagt, hatte Babaji Übungstechniken erlernt, die es erlaubten, den Körper ganz mit Göttlichkeit zu durchdringen. Unsterblichkeit gehört zu den „Tools“, die mit diesen Methoden einhergehen.

Folgt man diesem Gedankengang, kann der Mythos Babajis auch als eine Liebeserklärung an das Leben und den Körper verstanden werden. Einem Körper, der nicht verachtet, nicht gezüchtigt, sondern nur veredelt werden will. Einem Körper auch, den man nicht abstreifen muss, um Erlösung und das ewige Leben zu erlangen.

Anders als bei Harari wäre der Tod somit kein „technisches Problem“, sondern eine Frage der richtigen Meditationsmethode. Der spirituell herbeigeführten Unsterblichkeit haftet zumindest nicht die nekrophile Idee einer technisch manipulierbaren Mensch-Maschine an. Unsterblichkeit ist etwas, das der Seele nach Ansicht der meisten religiösen Menschen ja ohnehin zukommt. Nur wenige — wie Paramahansa Yogananda — würden es allerdings wagen, zu behaupten, sie könne durch gezieltes Atmen auf die Erde hinab und in den Körper geholt werden.

Neuen Räumen entgegen

Letztlich braucht es kein Psychologiestudium, um auf die Idee zu kommen, dass Unsterblichkeitsfantasien das Ergebnis von Wunschdenken sein könnten — ausgelöst durch das offenbar unerträgliche Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit. In einer zunehmend areligiösen, materialistischen Gesellschaft ist es klar, dass diesbezüglich Träume, aber auch konkrete wissenschaftliche Projekte sprießen.

„Corona“ hat ja schon gezeigt, dass die Angst vor dem Tod so groß sein kann, dass sich viele Menschen — analog zu den Versuchspersonen im „Blauen Palais“ — lieber quasi lebendig begraben lassen, als das Ende ihrer dann kaum mehr lebenswerten physischen Existenz zu riskieren. Im Transhumanismus werden spirituelle Ideen immer in eine kalte technische Sprache übersetzt. Menschliches Einfühlungsvermögen übernimmt der Algorithmus von ChatGPT. Die Einheit von allem, was existiert, wird zur allumfassenden Vernetzung von Cyborg-Menschen. Das ewige Leben wird durch Bewusstseins-Download auf eine Festplatte erreicht. Alles ist möglich — außer ein wenig Demut, sich mit der Conditio humana, mit den natürlichen Bedingungen unseres Nur-Mensch-Seins“, zufrieden zu geben.

Für religiöse Menschen ist Unsterblichkeit im Grunde nichts Besonderes. Sie würden argumentieren: Wir leben ohnehin ewig. Die Seele jedenfalls. Der Körper kann abgeworfen oder gewechselt werden wie ein Kleid. Ob uns diese Vorstellung gefällt, hängt auch davon ab, ob wir so aussehen wie Johnny Depp oder in welchem Gesundheitszustand unser Körper ist.

„Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegensenden“, heißt es in Hermann Hesses berühmtestem Gedicht: „Stufen“. Und auch wer von keiner Kontinuität der Seele über den Tod hinaus ausgeht, für den gibt es einen Trost. Nicht „ich“ überlebe, aber das große Ganze, aus dem ich hervorgegangen bin und in das ich wieder eingehen werde wie die Welle ins Meer. Mal sehen, was so auf uns zukommt. Hermann Hesse war jedenfalls klug genug, seinen Vorhersagen ein Wörtchen hinzuzufügen: „vielleicht“.

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