Ein Lob der Beharrlichkeit

 In FEATURED, Roland Rottenfußer, Über diese Seite

Holdger Platta

„Sich dem Dunklen permanent auszusetzen, um vielleicht wenigstens kleine Aufhellungen im Leben einiger Menschen zu bewirken – diese Fähigkeit macht die spezifische, alltägliche Tapferkeit im Fall Holdgers aus.“ Roland Rottenfußer berichtet, wie er fünf Jahre GriechInnenhilfe auf HdS erlebt hat. Er hebt dabei vor allem die Pionierleistung und den fortdauernden Einsatz Holdger Plattas hervor.

Lieber HdS-Leserinnen und HdS-Leser,

als mir Holdger Platta vor gut fünf Jahren zum ersten Mal das Projekt einer Griechenland-Spendenaktion vorschlug, zögerte ich nicht mit meiner Zusage, hier redaktionell alle nötige Unterstützung zu geben. Damals stand die Negativberichterstattung über Griechenland in den deutschen Medien auf einem Höhepunkt – nicht etwa die Armutsentwicklung im Land, deren vorläufiger Höhepunkt leider jetzt erreicht ist. Von „faulen“ Griechen, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hätten, von Misswirtschaft und säumiger Schulden-„Rückzahlung“ war die Rede. Im Januar hatte eine formell linke Kraft, die SYRIZA und Ministerpräsident Tsipras, die Wahl gewonnen. Dies wurde bei humanistischen und sozial eingestellten Europäern wie auch in der HdS-Redaktion durchaus als Hoffnungszeichen gewertet. Im Sommer 2015 zeigte sich aber deutlich, dass sich die gewählte griechische Regierung gegen die geballte menschenfeindliche Ignoranz der „befreundeten“ europäischen Länder – damals noch angeführt von Wolfgang Schäuble – nicht würde durchsetzen können.

„Griechenland“ war andauernd in den deutschen Medien präsent, nicht aber die Griechinnen und Griechen – eine absurde Schieflage. Die große Politik mit ihren Königsdramen – Schäuble hier, Varoufakis dort – beherrschte die Schlagzeilen. Die eskalierende Armut von immer mehr Menschen im Land blieb unterbelichtet. Ja sie wurde von vielen Kommentatoren wie eine verdiente Strafe für ein Volk von ökonomischen Minderleistern fast hämisch begleitet. Sofern Armut und der Zusammenbruch des griechischen Sozialsystems überhaupt ein Thema waren. Natürlich konnten sich wirklich interessierte Menschen trotzdem Informationen über diese furchtbaren Missstände besorgen, die linke und „alternative“ Presse berichtete vielfach darüber.

Holdger gingen die Berichte offenbar besonders nahe. Er bekam auch Informationen aus erster Hand von einem befreundeten griechisch-österreichischen Ehepaar, Tassos und Evi Chatzatoglou, die bei Reisen nach Griechenland immer wieder von furchtbaren Einzelschicksalen erfuhren. Auf einmal war es ihm nicht mehr möglich, nur zuzuschauen und die unhaltbaren Zustände nur verbal zu beklagen – wie es Konstantin Wecker in einem alten Lied sehr treffend beschrieb: „Zwar ich kleide meine Zweifel in Gedichte ab und zu. Das verschafft paar ruhige Stunden – eigentlich ist nichts geschehen.“

Das Dilemma des professionell Nörgelnden, des Journalisten, dessen Tun zwar nicht gänzlich wirkungslos ist, jedoch die beklagten Zustände nicht zu ändern vermag – schon gar nicht im Ausland –, machte diesem sensiblen Menschen offenbar sehr zu schaffen. Durch hundert Berichte über den Hunger wird noch kein einziges Stück Brot gebacken oder zu den bedürftigen Menschen transportiert. „Fremde“ Schicksale berühren uns, wenn wir es zulassen, berührt zu werden. Wie es Hugo von Hofmannsthal in einem berühmten Gedicht dargestellt hat:

Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
In die anderen Leben hinüber,
Und die leichten sind an die schweren
Wie an Luft und Erde gebunden.

Das Besondere an Holdgers Situation war nun, dass sein Leben schon damals kein „leichtes“ war. Schon gar nicht war er der Musterrepräsentant des „reichen Nordens“, der den Armen aus seinem eigenen Überfluss Almosen in die Bettelschale werfen konnte. Holdger war und ist mit seiner Frau vom deutschen Menschenverelendungsprogramm Hartz IV betroffen. Es hätte Gründe genug gegeben, zu argumentieren: „An mir ist es nun wirklich nicht, der Armut Anderer abzuhelfen. Ich bin selbst Opfer und brauche selbst Hilfe.“ Die GriechInnen-Hilfe, die in den Monaten nach dem Juli 2015 an Fahrt gewann, wurde durch Holdgers Intitiative und Betreuung nicht nur ein Erfolg, sie war auch eine besonders ehrenhafte Form, das eigenen Schicksal zu bewältigen. So schlecht es auch vielen Deutschen mittlerweile in diesem sozial erkaltenden Land geht – Holder merkte: es gibt immer noch Steigerungsmöglichkeiten in puncto erlebte Not. Und die Schicksale aus Griechenland, die er in mittlerweile 249 Berichten zusammengetragen hat, erschütterten mich – und sicher auch viele Leserinnen und Leser tief.

Holdger Platta hat in seinem Artikel von heute selbst über die Anfänge der GriechInnenhilfe, wie er sie erlebt hat, berichtet. Ich halte es dennoch für notwendig, dass ich hier einiges aus meiner Perspektive hinzufüge, schon weil Holdger für seinen beharrlichen und kräftezehrenden Einsatz großes Lob verdient hat, jedoch schlecht als sein eigener Laudator fungieren kann. Als ich spontan und wie nebenbei mein „Jawort“ zur Gründung der GriechInnenhilfe gab – wie auch wenig später Konstantin Wecker – hatte ich wahrscheinlich nur eine unklare Vorstellung davon, was mich da erwartete. Nicht dass mich mein eigener Beitrag zu der Spendenaktion sehr belastet hätte – meine Aufgabe liegt nur darin, wöchentlich den Griechenlandbericht zu korrigieren, online zu stellen und mit einem Bild zu versehen –, nein das wirkliche Phänomen ist die Beharrlichkeit von Holdgers Einsatz.

Ich hatte mir wohl vorgestellt, nach den ersten Spendenberichten und den ersten vielversprechenden Spendenzahlen würde sein Enthusiasmus abflauen, würden die Berichte seltener oder kürzer, würde vielleicht auch die Spendenfreude der HdS-Leserinnen und -Leser nachlassen. Die „Methode Holdger“ besteht aber gerade darin, solche Dinge nicht dem Zufall zu überlassen. Mit unglaublichem Durchhaltevermögen schaffte er es, über fünf Jahre jede Woche immer neue Fakten über Griechenland zu präsentieren, die an- oder abschwellenden Spendenzahlen zu dokumentieren, die Leser und Spender zu motivieren, „Spendendellen“ auszugleichen und so einen kontinuierlichen Spendenstrom hin zu den Armen und Ausgegrenzten Griechenlands zu lenken. Dies hat manchem Einzelschicksal in diesem geplagten Land eine positive Wendung gegeben, war Lichtblick und Silberstreif für dutzende Menschen, die vom Versagen des griechischen Sozialsystems betroffen waren. Bis hin zur Finanzierung lebensrettender Operationen, deren Finanzierung die griechischen Gesundheitskassen verweigerten.

Dabei ist bemerkenswert, dass Holdgers Griechenland-Berichte immer wieder interessant zu lesen sind – wenn auch naturgemäß nicht unbedingt stimmungsaufhellend. Erstaunlich, wie viele neue Facetten dem vermeintlich überstrapazierten Thema Griechenland immer wieder abgewonnen werden konnten. Holdgers Engagement, sein Einfallsreichtum endeten so wenig wie die Not in Griechenland leider endete. Und niemandem ist bewusster als ihm, dass eine Aktion wie diese niemals das „große Ganze“ reparieren kann, dass ein Magazin mit begrenzter Leserzahl keine unbegrenzte soziale Aufgabe zu stemmen vermag. In diesem schmerzhaften Bewusstsein mussten oft schwere Entscheidungen getroffen werden: wem können wir helfen, wem leider nicht mehr? Zudem vermittelten die fast immer negativen Nachrichten über die griechische Politik den Aktivisten das Gefühl, kaum wirklich Besserung, sondern immer die Abmilderung einer fortschreitenden Verschlechterung bewirken zu können.

Es ist schon eine enorme mentale Leistung für sich, diese Anspannung über Jahre auszuhalten und die unzähligen höchst belastenden Nachrichten über Einzelschicksale auf seine Seele zu nehmen. Und natürlich kümmerte sich Holdger als HdS-Redakteur, Autor und Herausgeber „nebenbei“ auch um andere schwere politische Themen wie Hartz IV, die Flüchtlingsfrage, den wachsenden Rechtsruck der Jahre 2015 bis 2020 und das Schicksal der Palästinenser – um nur einige zu nennen. Sich dem Dunklen permanent auszusetzen, um vielleicht wenigstens kleine Aufhellungen im Leben einiger Menschen zu bewirken – diese Fähigkeit macht die spezifische, alltägliche Tapferkeit im Fall Holdgers aus. Es betrifft natürlich auch alle Journalisten und Aktivisten, die sich aus Gewissensgründen mit den problematischen Aspekten unserer Weltgesellschaft auseinandersetzen – ihn jedoch im Besonderen.

Und ich wiederhole gern, was ich vor einiger Zeit hier über Holdger Platte gesagt habe: Wer ihn kennt, weiß, dass der Begriff „unermüdlich“ ihn nicht wirklich zutreffend beschreibt. Es ist lediglich so, dass er aus Verantwortungsgefühl immer wieder über seine Müdigkeiten hinweggeht, an die Leistungsgrenze und darüber hinaus.

Dafür möchte ich ihm im Namen des HdS-Teams, sicher auch im Namen des Teams der GriechInnenhilfe und der durch seine Arbeit begünstigten Menschen in Not herzlich danken. Ich hoffe sehr, dass die GriechInnenhilfe noch Jahre in dieser Form weiterbestehen kann und dass noch vielen Menschen in Griechenland so geholfen werden. Es hängt auch von uns ab.

Anzeigen von 2 Kommentaren
  • Peter Boettel
    Antworten
    Ich schließe mich dem Lob und dem Dank von Roland Rottenfußer für Holdger Platta vollinhaltlich an und hoffe ebenfalls, dass die GriechInnenhilfe noch Jahre in dieser Form weiterbestehen kann, und dass noch vielen Menschen in Griechenland so geholfen werden.

    Natürlich werde ich auch weiter meinen Beitrag dazu leisten.

  • Bettina
    Antworten
    Lieber Holdger, ein großes DANKE und LOB für deinen unermüdlichen EINSATZ für die IHW GriechInnenhilfe. Auch allen Außendienstlern, Helfern und Helfershelfern möchte ich meinen Dank aussprechen. Möge die gute Spendenorganisation lange Bestand haben und weiterhin eine gute Unterstützung für hilfebedürftige Menschen in Griechenland haben.

    Herzliche Grüße,

    Bettina

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