Hannes Wader: „Um ruhelos zu suchen bis zum Schluss“ 2/2

 In Buchtipp, FEATURED, Kultur, Roland Rottenfußer

Fotograf: Christof Sonderegger, Comet Photo AG (Zürich), unter Lizenz Creative Commons. 

Der große Liedermacher gibt in seiner Autobiografie Einblicke in sein Leben und in seine Wesensart: auf nüchterne Art bewegend und oft schonungslos selbstkritisch. Bei Hannes Wader ist die Frage nicht, ob er generell eine interessante und glaubwürdige Person ist; vielmehr fragt sich, ob seine vor Weihnachten erschienene Autobiografie „Trotz alledem. Mein Leben“ die Erwartungen, die Fans an so ein Werk haben, erfüllen kann. Dies kann mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden. Wader, der nach eigenem Bekunden nicht gern schreibt, schreibt großartig – so wie der von Natur aus eher scheue Mann „eigentlich“ nicht gern in der Öffentlichkeit steht und dennoch auf fünf Jahrzehnte voll begeisternder Auftritte zurückblickt. Mit dieser Biografie kann man den Künstler und Menschen wirklich kennen lernen. Wader wühlt tief und oft schonungslos selbstkritisch in seiner eigenen Seele und bietet dabei eine Fülle farbiger Details – einschließlich des „Zeitkolorits“. Selbst wer ihn nicht so gut kennt, wird in „Trotz alledem“ einen lesenswerten Überblick über ein bewegtes Dreiviertel-Jahrhundert deutscher Geschichte finden – und einen intimen Einblick in die Liedermacherszene, die er in den späten 60ern und 70ern zur Blüte zu führen half. Erster Teil des Artikels hier. Das Buch ist erhältlich im Sturm-und-Klang-ShopRoland Rottenfußer

Wie Hannes Wader als Liedermacher zu seinem Stil fand, beschreibt er in seiner unnachahmlich unprätentiösen Art: Er singt eine Weile als Straßenmusiker in englischer Sprache fremde Titel. Dabei fühlt er sich irgendwann nicht mehr ganz wohl. „Ich bin Deutscher. Ich singe Lieder in fremden Sprachen, von denen ich keine auch nur ansatzweise beherrsche. Das heißt, ich bin, der Begriff ‚Authentizität‘ ist damals damals noch ungebräuchlich, nicht ‚echt‘“. Er will es also auf Deutsch versuchen. Aber dem steht ein schlagendes Argument entgegen: „Immer noch betrachtet der kritischere Teil der jüngeren Deutschen, zu dem auch ich mich zähle, seitdem ich keine Schlager mehr höre, das traditionelle deutsche Liedgut als naziverseucht und daher nicht singbar.“ Und nun die Lösung des Dilemmas: „Doch wenn ich nur dann authentisch bin (und das möchte ich unbedingt sein), wenn ich in deutscher Sprache singe, die alten Lieder aber besser nicht bringen sollte, bleibt mir nur eins: ich muss selbst welche schreiben.“

Schreiben als „Schinderei“

Wir können also zusammenfassen: Wader fing nicht an zu schreiben, weil ihn Inspirationsdurchbrüche unversehens heimsuchten – Konstantin Wecker sagt hierüber immer, dass ihm Lieder „passieren“ –, er hatte auch nicht von Kindesbeinen an irgendwie schon immer Melodien im Kopf, wie viele Komponisten angeben – er beschloss irgendwann: ich schreibe jetzt ein Lied. Dazu entwickelte er zuerst, bevor er richtig mit der Arbeit anfing, ein paar Regeln. Dazu gehörte: „Der Text kommt zuerst, dann die Vertonung“. Der Liedinhalt müsse sich „unmittelbar auf das beziehen, was ich erlebe und kenne“. Der Stil solle „möglichst alltags- und umgangssprachlich“ sein. Endreime sind zu bevorzugen. Der Liedtext sollte gesungen „nicht elegant, aber flüssig klingen“ usw.  Erstaunlicherweise hat sich Wader, soweit ich das mitverfolgen konnte, sein Leben lang an diese Grundsätze gehalten.

Dann setzte er sich hin und schrieb sein erstes Lied: „Das Loch unterm Dach“. Er gibt zu: „Ich habe es mir nicht so schwer vorgestellt, den Wust an Einfällen und Bildern, an denen es mir ja nicht fehlt, zu bündeln, zu strukturieren und mit möglichst sauberen Endreimen in eine strenge Metrik zu quetschen. Eine Schinderei – so mühselig und profan wie absolut notwendig.“ Fazit: Wader ist kein künstlerisches „Kraftgenie“, eher ein Handwerker mit einem eisernen Willen, Werke gegen alle inneren Widerstände der Vollendung zuzuführen. Inspiration braucht es für derart gute Lieder natürlich auch. Aber der Prozess der Fertigstellung kann sechs bis acht Wochen in Anspruch nehmen – bei täglichem Einsatz. „Abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen, stellt von nun an jedes neue Lied das Ergebnis manchmal monatelanger, fast masochistischer Quälerei dar.“ Dies, so gibt Wader an, setzte sich mit wenigen Ausnahmen bis in die Spätphase seines Schaffens fort. Zu den relativ schnell hingeworfenen Liedern gehörte übrigens sein bekanntestes: „Heute hier, morgen dort“.

Interessanterweise fühlte sich Hannes Wader in seinem Selbstschöpfungsprozess völlig isoliert, obwohl er es nicht war. Franz Josef Degenhardt und Reinhard Mey hatten schon mit dem Liederschreiben angefangen. Nur: Hannes Waders wusste nichts davon. Er empfand es „als bedrückend, der Einzige zu sein, der auf deutschem Boden in Personalunion Lieder dichtet, komponiert, singt und sich dazu auf der Gitarre begleitet: also etwas zu tun, für das es keinen Ausdruck gibt; der Begriff ‚Liedermacher‘ ist noch nicht erfunden.“ Wader erfindet das Liedermachergenre. Unabhängig davon – gleichzeitig oder kurze Zeit früher – tun dies aber auch noch andere. Die Stilrichtung lag also quasi in der Luft, der Zeitgeist ging mit der Liedermacherkunst schwanger, die Geburt erfolgte dann schnell, explosionsartig. Wader hörte eine Radiosendung, in der er – jeweils zum ersten Mal in seinem Leben – Werke von Degenhardt und Mey hörte. Er wusste seither: „Ich bin Teil einer neuen kulturellen Bewegung, liege womöglich im Trend. Ein Befreiendes Gefühl.“

Burg Waldeck: der Durchbruch

Er hört von den jetzt jährlich stattfindenden Burg-Waldeck-Festivals im Hunsrück. Er schickt den Veranstaltern ein Band mit seinen Liedern – es sind bisher nicht mehr als sechs. Zum dritten Festival dieser Art wird er dann eingeladen. Man darf die Größe und Bedeutung dieser Festivals nicht unterschätzen. „Tausende von Menschen“, schreibt Wader, lagerten auf dem Gelände auf Decken und Schlafsäcken. Und es ist Waders allererster Soloauftritt als Liedermacher. Er hat Erfolg und muss Zugaben geben. Mangels eines siebten und achten Liedes, wiederholt er einfach die ersten. Auf diesem Festival hört er (als Zuschauer) zum ersten Mal Künstler, mit denen ihn später eine lebenslange Freundschaft verbinden wird: neben Mey und Degenhardt u.a. Dieter Süverkrüp. Zu Degenhardt hält er anfangs eher bewundernde Distanz, Mey wird gleich etwas wie ein Bruder, den er als ihm „verwandt und ähnlich“ empfindet.

Hannes Waders lebt in der Folgezeit in Berlin relativ haltlos im Milieu studentischer Kommunen. Die Zeitstimmung charakterisiert er so (das Zitat ist eine Stilblüte sondergleichen): „Bald begegne ich in Berlin nicht wenigen jungen Angestellten, oft Akademikern, die sich schuldig fühlen, weil sie gut verdienen. Und die deshalb wahllos ihre Wohnungen und Gehälter Typen überlassen, von denen sie zudem noch als ‚Kapitalistenknechte‘ beschimpft und verachtet werden. Meist von Leuten, die mit ihrem mutigen Studienabbruch – neuerdings ‚Drop out‘ genannt – den Forderungen des Establishments trotzen, um es bewusst revolutionär (sprich parasitär) auszusaugen und zu schwächen.“

Wader rezipiert, erst nach seinem ersten Burg-Waldeck-Auftritt, massiv die großen US-Amerikanischen Songwriter: Bob Dylan, Joan Baez, Pete Seeger, Woody Guthry, Tom Paxton und andere. Das vierte Burg-Waldeck-Festival (sein zweites) wird für den aufstrebenden Künstler zu einer unvergesslichen Erfahrung. „Ich habe danach, allein bedingt durch mein Leben on the road, mit alten und neuen Freunden noch unzählige und schöne Nächte durchgesungen, erzählt, gelacht und getrunken. Aber keines dieser oft spontanen Treffen reicht in seiner Intensität, seiner einigenden und beglückenden Dynamik, diesen good vibrations an die Waldecker Nächte des zweiten Festivals heran.“ Zur Clique gehörten seither neben den genannten u.a. Hanns Dieter Hüsch, Schobert & Black und – was zunächst überrascht – Katja Ebstein.

Reinhard Mey hat die Idee, dass beide mit seinem grauen Käfer durch die Lande ziehen und in einschlägigen Kneipen gemeinsam auftreten könnten. Reinhard hat bisher genau 12 Lieder geschrieben, Hannes auch. Das reicht für jeden Einzelnen nicht, um einen Abend zu gestalten. Aber zu zweit geht es: 24 Lieder. Mey übernimmt bei dieser Unternehmung Führung und Organisation, er sitzt buchstäblich und im übertragenen Sinn am Steuer. Ein wenig leidet Hannes darunter, dass Reinhard ein sonnigeres Gemüt zu haben scheint und bei allen ausnehmend gut ankommt. Auch bei Mutter Wader, die ihren Buben mahnt, „ich sollte mich mal was schämen und mir an meinem Freund ein Beispiel nehmen, an der Art, wie der seine Verse setzt, so sensibel und fein, dass es niemand verletzt.“

Nun aber ist alle Unsicherheit über den künftigen Lebensweg ausgeräumt. Eines Morgens schaut Hannes nach dem Aufwachen in den Spiegel und deklamiert laut: „Ich werde von nun an nur noch singen und davon leben – oder ich verrecke“. Er preist das „Gefühl von Erleichterung und Glück, eine unumstößliche Entscheidung bewusst getroffen zu haben.“

Zwiespältiges Verhältnis zu „den 68ern“

Hannes Wader ist anfangs kein so typischer 68er, wie man vermuten würde. Er ist nicht in erster Linie ein politischer „Kopf“. Eher nimmt er die Zeitstimmung atmosphärisch in sich auf, fühlt sich einer dem Establishment trotzenden Lebensart verbunden, verkörpert das, was man im Rückblick als „typisch“ bezeichnen würde, instinktiv und aus eigenem Antrieb. „Meine Haltung zur 68er-Bewegung bleibt passiv-zwiespältig. Vieles verstehe ich nicht, sehr gut wiederum den Protest gegen den verbrecherischen Krieg der Amerikaner in Vietnam. Und ich teile die Empörung gegen die postfaschistische Durchseuchung des Justizapparats von Nazi-Blutrichtern der höchsten Ränge, von der Studentenbewegung ans Licht gebracht.“

Einmal – keineswegs immer – ist Wader im Brennpunkt des Geschehens. Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke 1968 marschierte er mit empörten Demonstranten zum Springer-Haus in Berlin. Polizisten prügeln mit Gummiknüppeln auf die Protestierenden ein. Hannes spuckt Blut, am Ende fehlen ihm zwei Schneidezähne. Das Dutschke-Attentat und die erlebte Polizeigewalt haben seinen Politisierungsprozess sicher vorangetrieben.

In dieser Phase zeigen sich jedoch auch die Schattenseite des „68er-Geistes“ ganz deutlich. Ein lautstarker Teil der Aktivisten gefällt sich in besonderer ideologischer Strenge und Unduldsamkeit. Alles „Weiche“, Hippiehafte, das bisher die Szene geprägt hatte, soll ausgetrieben und dem revolutionären Kampf untergeordnet werden. Dies zeigt sich brennpunktartig beim fünften Burg-Waldeck-Festival 1968: „Angeheizt durch die von überallher angereisten, im SDS organisierten und revolutionär politisierten Studenten, zwingen Teile des Publikums einige Sänger mit Störmanövern und der Parole ‚Stellt die Gitarren in die Ecke und diskutiert‘ dazu, ihren Bühnenvortrag abzubrechen. Ich selbst bleibe dabei von Störungen weitgehend unbehelligt, aber Hanns Dieter Hüsch erwischt es voll.“

Bald darauf erhält Hannes Wader seinen ersten Plattenvertrag, die Scheibe heißt schlicht „Hannes Wader singt…“ und zeigt den Shooting-Star im Musketier-Outfit. Schon greifen die Seelenverkäufer einer kommerzialisierten Musikindustrie nach ihm, wollen sein Oeuvre auf Radiotauglichkeit trimmen. Doch Wader verweigert sich: „Ich beschließe – und werde mich von nun an immer dran halten –, beim Liederschreiben niemals kaufmännische Aspekte zu berücksichtigen. Scheiß auf Kommerzialität. Scheiß auf Sendbarkeit.“ Das ist deutlich. Überhaupt ist das typisch für Hannes Wader: er beschließt einmal etwas und bleibt dann stur dabei – teilweise ein halbes Jahrhundert lang.

Verhaftet, verleumdet, schikaniert

Hannes Waders Autobiografie folgt einer ähnlichen Zeitstruktur wie Thomas Manns „Zauberberg“. Der Zeitfluss scheint sich mit Fortschreiten des Werkes zu beschleunigen. Kriecht die Beschreibung der Kinderjahre eher zäh dahin – nicht ohne jedoch spannende Einblicke zu gewähren –, so werden die mittleren Lebensjahre, jene des musikalischen Durchbruchs, relativ schnell, die späten Jahrzehnte sehr schnell überflogen. Ich folge mit meinem Artikel im Wesentlichen dieser Struktur, zumal mich die „Selbstanalysen“ in den Anfangskapiteln sowie die Schilderungen der Anfangszeit von Waders Liedermacherkarriere besonders fasziniert haben.

Im Oktober 1971 wird Hannes Wader nach einem Konzert in Essen verhaftet: „Plötzlich reißt mir jemand von hinten meine Jacke über beide Arme, sodass ich mich nicht rühren kann. Von vorne kommt ein Mann im dunklen Anzug und drückt mir die Mündung einer Handfeuerwaffe in den Bauch. Ein Dritter tastet mich nach Waffen ab, findet keine und verzichtet darauf, mir Handschellen anzulegen. Gleichzeitig treten mehrere uniformierte Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag, von mindestens einem Dutzend Fotoreportern begleitet, hinter den umliegenden Büschen hervor. Blitzlichtgewitter. Ich bin verhaftet.“ Wader wird in eine Zelle gesperrt, immer wieder verhört. Er fühlt sich unschuldig, ist es auch. Sein einziges Vergehen: Er hatte einer charmanten jungen Frau namens Hella  Utesch in Karlsruhe seinen Wohnungsschlüssel für die Hamburger Bleibe überlassen. Er selbst war gar nicht mit ihr dort hingefahren. „Hella Utesch“ war aber nur ein Deckname. Der wirkliche Name der Dame war Gudrun Ensslin. Wader stand nun unter dem Verdacht, der RAF aktiv anzugehören. Die Behörden in der damaligen Ära, die von einer alles durchdringenden Terrorismus-Hysterie erfasst war, verstanden keinen Spaß.

Wader wird wieder freigelassen, jedoch bespitzelt und immer wieder vorgeladen. Dies zieht sich über Jahre hin, obwohl dem Sänger nie wirklich eine Nähe zur RAF nachgewiesen werden kann. „Eigentlich bin ich gut im Verdrängen. Aber dann zeigt der unverhältnismäßige, eher einem Serienkiller gebührende Aufwand, die offensichtlich gezielte Zermürbungstaktik der Ermittler über all die Monate und Jahre hinweg schließlich Wirkung. Dieser unaufgelöste Widerspruch – einerseits wachsender Zuspruch seitens der Öffentlichkeit und mich andererseits pausenlos heimlich belauert zu wissen, verdächtig zu sein – halte ich nicht gut aus.“ Wader bekommt teilweise Auftrittsverbot und wird von Radiosendern gemieden – nicht jedoch so flächendeckend, wie einige vereinfachende Zusammenfassungen seines Lebenswegs behaupten. Er kann sich über Wasser halten. Der Verdacht liegt nahe, dass der „unverhältnismäßige Aufwand“ seitens der Staatsautorität dazu diente, einen erklärten Kritiker sozialer und politischer Strukturen zu zermürben und auszuschalten. Ebenso übrigens wie beim über die Maßen „ausführlichen“ und schikanösen Drogenprozess gegen Konstantin Wecker 1995-2000.

Wader ergreift Partei

Ein weiteres wichtiges Ereignis ist Waders Eintritt in die DKP 1977. Diesen begründet er im Rückblick so: „Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen quält mich mein Defizit an politischem Durchblick mehr als zuvor. Ich bin unsicher in meiner von mir selbst so empfundenen ‚schwammigen linken‘ Gesinnung. Ich frage mich, ob meine Lieder im Sinne einer ‚soziokulturellen Fortschrittlichkeit (was immer das auch sein mag) von Belang sind. Ich möchte mich nicht mehr isolieren, abheben, sondern mich einbringen, Teil einer Bewegung sein.“ Sein bewunderter Freund „Karratsch“ (Degenhardt) war ihm auf diesem Weg vorangegangen. „Zwischentöne sind bloß Krampf im Klassenkampf“ hatte der schon 1968 gesungen. Wader kommentiert sein Kommunist-Werden mit dem Satz „Ich habe jetzt eine Weltanschauung“.

Wader ist nun eine Zeit lang ein recht strammer Genosse, tritt in Ostberlin und Moskau auf, singt auf einer Platte Arbeiterlieder ein, auch die „Internationale“. Allerdings fallen auch seine Auftritte bei „Künstler für den Frieden“ (u.a. mit Harry Belafonte, André Heller, Klaus Hoffmann) in den frühen 80ern in diese Epoche. 1980 schrieb der Liedermacher eines seiner wichtigsten Werke, das Antikriegslied „Es ist an der Zeit“ nach einer englischsprachigen Vorlage von Eric Bogle. Für die Friedensbewegung wurde das zeitlose Meisterwerk sehr wichtig. Parallel dazu schloss sich der Sänger auch der wachsenden Anti-Atomkraftbewegung an – jedoch „unter Vorbehalt“, wie er schreibt. „Ich verkünde lauthals: ‚Sozialistische Kernkraftwerke dienen den Menschen, kapitalistische werden für den Profit gebaut‘“. 1978 explodierte ein sozialistisches: in Tschernobyl. Dieses Ereignis wie auch der Einmarsch der Sowjets in Afghanistan ließen Zweifel an seiner Parteimitgliedschaft keimen. 1991 sollte Wader die DKP verlassen, was vorübergehend zu einem Zerwürfnis mit Franz Josef Degenhardt führte.

Hannes Wader wohnte von 1973 bis 1998 in einer restaurierten alten Mühle in Nordfriesland. Er war von 1974-1980 mit Susanne Tremper verheiratet. 1986 ehelichte er Cordula Finck, mit der er einen Sohn und eine Tochter hat. Über diese privaten Dinge berichtet er relativ wenig in seiner Autobiografie. Hannes verlegt sich aufs Gärtnern. Er beschreibt sich selbst teilweise als „fernsehsüchtig“. Aber er führt seit den frühen 70ern – außer auf Tournee – nicht mehr das Leben eines „Vagabunden“, er hat Wurzeln geschlagen. Beruflich verspürt er in den späten 80ern „die reine Lustlosigkeit“. Das Publikum nimmt diese Ausstrahlung wahr und verlässt ihn teilweise. Auch dies besserte sich jedoch später wieder.

Typisch für Hannes Waders künstlerische Produktion war in der mittleren Schaffensperiode die abwechselnde Veröffentlichung von „normalen“ und dann wieder ganz besonderen Alben. Auf die „Plattdeutschen Lieder“ (1974) und den „Volkssänger“ (1975) – eine Aufnahme, die den nicht-patriotischen Wader in Erklärungsnot brachte – folgten 1977 die „Arbeiterlieder“ und 1978 die „Shanties“. Später 1990 wiederum „Volkslieder“, 1996 „Liebe, Schnaps und Tod“ (Lieder von Bellmann, eingesungen zusammen mit Reinhard Mey und Klaus Hoffmann), 1997 „An dich hab ich gedach – Wader singt Schubert“. Hinzu kamen neben regulären neuen LP- bzw. CD-Aufnahmen etliche Sampler und Live-Alben.

Wecker/Wader: spannungsreiche Freundschaft

Nun noch zum Schluss ein Thema, das viele Leserinnen und Leser hier sicher interessiert: das Verhältnis zwischen Hannes Wader und Konstantin Wecker. Wie wir aus Schilderungen Weckers wissen, war dieser in der Beziehung zwischen den beiden Liedermachern zunächst eher der Umwerbende, Wader der Sich-spröde-Entziehende. Wader beschreibt seine diesbezüglichen anfänglichen Gefühle in „Trotz alledem. Mein Leben“ jedoch nicht ausführlich. 2001 gingen beide Künstler gemeinsam auf ein größere Tournee mit 15 Konzerten, die Wader nicht durchweg gut in Erinnerung hatte: „Im Unterschied zu Konstantin, der das Zusammenwirken mit anderen Künstlern sucht, liebt und geradezu darin aufgeht, sehe ich meine Fähigkeit zu der hier geforderten Reziprozität auf der Bühne als etwas eingerostet an – ich habe wohl zu lange für mich allein ‚rumgekrebst‘.“ Allerdings beschreibt Hannes Wader damit nur einen Mentalitätsunterschied, seine Haltung gegenüber Wecker wie auch anderen Kollegen ist stets respektvoll.

Es folgte ein berühmter Auftritt: „Mey Wader Wecker 2003“, der mit einer grandiosen CD dokumentiert wurde. 2011 dann Rudi Gauls Dokumentarfilm „Wader Wecker Vater Land“. Der enthielt auch Filmaufnahmen der der zweiten großen Wader-Wecker-Tournee 2010. Initiator und „Führungskraft“ in diesem Duo: eher Wecker. „Das heißt, hauptsächlich plant der vor Ideen nur so sprühende Konstantin, und kann seinem Vorschlag nur zustimmen.“ Eine Krise erfasst den mittlerweile ja als „Liedermacher-Urgestein“ weithin respektierten Künstler. Man muss bei Hannes Wader generell eine Depressionsneigung voraussetzen, die periodisch durchbricht. Wader „sprüht“ und „strotzt“ seit einiger Zeit schon nicht mehr, obwohl seine späten CDs wie „Nah dran“ (2012) noch immer höchsten Ansprüchen genügen. Vor allem der Tourneetrubel, eingebettet immer in einen ganzen Pulk von überwiegend von Konstantin Wecker dirigierten Musikern und Hilfskräften, macht ihm zu schaffen.

Er lobt die hervorragenden Musiker im Umfeld von Konstantin, merkt aber selbstkritisch an: „Klar können die sich problemlos auf mich einstellen, aber ich mich nicht auf sie. Wenn ich es je konnte, habe ich es in den letzten Jahren verlernt. Hinzu kommt, dass Konstantin – und das muss sein, das sehe ich auch ein – die Show minutiös choreografiert. Mit Auftritten und Abgängen bei abgezählter Schrittlänge auf Stichwort oder Lichtsignal und festgelegten Ansagen und Kurzdialogen zwischen uns beiden. Ich fühle mich total überfordert. (…) Konstantin dagegen ist voll in seinem Element“. Auf diese Unterschiede des Naturells hinzuweisen, stellt keine Wertung da. Die „Zeugenaussage“ Waders wirft jedoch ein Licht auf die sehr unterschiedlichen „Typen“, die die Geschichte der neueren deutschsprachigen Liedermacherkunst prägten.

Hannes Wader plante für 2017 bis 2018 noch einmal eine große Abschiedstournee. Allerdings mit erheblichen Bauchschmerzen. „Noch ein ganzes Jahr bis zum April 2018, in dem ich in den großen Hallen meine allerletzten Konzerte geben soll. Wenn ich daran denke, was da auf mich zukommt, wird mir jetzt schon schlecht. Ich habe nachts Albträume, bekomme Magenkrämpfe. Auch manchmal während meiner Konzerte.“ Wader sagt die letzten zehn Konzerte ab. Am 30. November 2017 tritt er in Berlin zu allerletzten Mal auf. Traurig, aber „Es ist an der Zeit“.

Diese aufrichtige, wortmächtige und überaus gelungene Autobiografie ist ein Abschiedsgeschenk, das die wenigsten wohl noch von Hannes Wader erwartet hätten. Wader ist jedoch nicht der Typ, der sich weiterschleppt, bis er tot von der Bühne fällt. Gut möglich also, dass ihm noch viele geruhsame Rentnerjahre beschieden sind. Ganz zum Schluss im Buch heißt es: „Und ich denke beim Schreiben die ganze Zeit, ich habe mein gelebtes Leben vor Augen – dabei ist es immer nur der Tod. Was bleibt mir da anderes übrig, als einfach weiterzumachen? Ich beende das letzte Kapitel – man sehen, was dann passiert.“

 

Ja vielleicht, sind wir Menschen
nur dazu geboren,
um ruhelos zu suchen bis zum Schluss.
Auch ich habe
irgendwann einmal etwas verloren,
was mir fehlt und was ich wiederfinden muss.

(Refrain von Hannes Waders Lied “Erinnerung”)

 

 

Hannes Wader:

Trotz alledem. Mein Leben.

Penguin Verlag

592 Seiten, € 38,-

 

Das Buch ist erhältlich im Sturm-und-Klang-Shop.

 

 

 

Anzeigen von 2 Kommentaren
  • ClaudiaBerlin
    Antworten
    Danke für die ausführliche Rezension, die mich darüber hinweg tröstet, dass ich mir Bücher zu diesem stolzen Preis nicht leiste!

     

  • Ruth
    Antworten
    Lieber Hannes Wader,

    Du bist keine Maschine, lebe so, wie Du es wünschst!

    Ein Zitat, das nachdenklich macht:

    Der Mut ist so müde geworden und die Hoffnung so groß!

    R.M. Rilke

     

    Alles Gute!

     

     

     

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