Sisyphos in Uniform
„Der Krieg ist der Vater aller Dinge.“ Die Behauptung des griechischen Philosophen Heraklit wurde jahrtausendelang nicht widerlegt. Das Rad der Geschichte rollt über Leichenberge. Die Ächtung des Krieges blieb weitgehend wirkungslos und konnte das uniformierte Töten auf Befehl bis heute nicht stoppen. Der Poet und Schriftsteller Peter Fahr wünscht sich eine vereinigte Welt ohne Grenzen und Armeen. Anmerkung der Redaktion: Peter Fahrs neueste Veröffentlichung ist die Essay-Sammlung „Der Atem der Worte“, Edition Königstuhl – mit vielen auch aus „Hinter den Schlagzeilen“ bekannten Aufsätzen, unter anderem diesem.
Morgen schon können sie über unseren Köpfen explodieren, die atomaren Langstreckenraketen der Amerikaner, Russen oder Chinesen. Morgen schon kann unser Leben nichts mehr wert sein. Die Angst hockt wie eine schwarze Spinne auf jedem von uns. Sie lähmt Gedanken und Hände. Die Furcht vor dem Tod hindert uns am Leben. Die Aggression gegen unsere potentiellen Mörder macht uns zu Zynikern. Die Sinnlosigkeit des Daseins stellt alles in Frage.
Wir nennen uns Realisten und legen allen, die auf eine bessere Zeit hoffen, die Sehnsucht als naiven Selbstbetrug aus. Die Katastrophe scheint unabwendbar. Wir schreien es uns von der Seele: Sie ist unabwendbar! Und was dann kommt, könnte nicht verhängnisvoller sein. Man legt die Hände in den Schoß, denn das Unglück ist ja doch nicht abzuwenden. Aus Bequemlichkeit, aus Furcht vor Verantwortung, aus Unwillen vor aktiver Mitarbeit an einer menschlicheren Zukunft flüchtet man sich vor den vielfältigen Problemen dieser Epoche in die seligmachende Privatsphäre der Bürgerlichkeit oder in den digitalen Sinnesrausch, wo man sich endlich gehen lassen und vollends aufgeben kann. Man leugnet sowohl die positiven Kräfte im Menschen als auch ihren konkreten Einfluss auf den Lauf der Geschichte. Man degradiert die Idee einer besseren Zeit zur utopischen Vorstellung und übersieht dabei, dass der Kampf ums Überleben nur mit der Waffe der bejahenden Hoffnung geführt werden kann, einer Haltung, die nicht präkatastrophale Selbstbefriedigung fordert, sondern aufbauende humanistische Taten.
Der griechische Philosoph Heraklit behauptete: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge.“ Und der indische Unabhängigkeitskämpfer Mahatma Gandhi sagte: „Die Lüge ist die Mutter der Gewalt.“ Viele Menschen sind, bewusst oder unbewusst, die Kinder dieser Eltern. Zu ihnen zähle ich auch die Soldaten sämtlicher Armeen. Diese Leute wollen dem Krieg entgegenwirken, indem sie ihn vorbereiten, und belügen damit sich selbst. Die Ursachen der Kriegsbedrohung werden nicht bekämpft, sondern durch die propagierte Verteidigung gerechtfertigt. Diese Leute beruhigen sich mit der Illusion, Angriff sei die beste Verteidigung. Diese Leute sind die verblendeten Kinder von Vater Krieg und Mutter Lüge. Zu ihnen zu gehören, verbietet mir meine Sehnsucht nach einem friedlichen Zusammenleben.
Verteidigung heißt Krieg
Verdun, August 1916. Drei französische Soldaten im Schützengraben. Dem einen wird befohlen, eine Gasflasche zum bereitstehenden Lastwagen zu tragen. Die Kameraden warnen ihn vor herumfliegenden „Meteoriten“. Lachend verlässt er den Unterstand. Im Freien trifft ihn eine feindliche Granate, die Flasche explodiert, der Soldat hat sich aufgelöst in nichts.
Im 2. Weltkrieg besetzen die Deutschen auch weite Gebiete Westfrankreichs, wo ihnen Widerstandskämpfer kleinere Gefechte liefern. Zur Brechung des Widerstands lassen die Besatzer eines Tages ein Dorffest veranstalten – mit gedeckten Tischen, Blumen und Musik, laden die Leute der Umgebung ein und nageln während dem Anlass alle anwesenden Kinder vor den Augen ihrer Eltern mit den Händen an die Tische.
Dezember 1944. Die Russen fallen in ein deutsches Dorf ein. Im Wirtshaus wird die Kellnerin entkleidet und gefesselt. Zehn, zwanzig verbitterte Soldaten vergewaltigen sie. Nach dem Abzug der Truppen wird sie von ihrem Mann entdeckt. Sie bittet: „Erschieße mich, töte mich … hörst du nicht? Bring mich um!“
Hanna zeigt mir eine vergilbte Postkarte. Auf der Briefmarke Hitlers Portrait. Neben der Adresse steht dick in roter Schrift „BETRIFFT TERROR“, was damals so viel hieß wie Eilpost. Die Karte ist kurz nach dem Dresdener Angriff aufgegeben worden. Auf der Rückseite die Worte: „Alles verloren, wir leben! Friedrich.“
1945 explodierten in Japan die ersten amerikanischen Atombomben. Die Städte Hiroshima und Nagasaki wurden dem Erdboden gleichgemacht, 200 000 Menschen, meist Zivilisten, kamen dabei ums Leben. Sie wurden auf äußerst grausame Weise getötet. Die Zahl derer, die überlebt haben, wird auf über 400 000 geschätzt. Diese Menschen litten jahrzehntelang an den verschiedenen Folgeschäden wie zum Beispiel an Keloiden, am grauen Star, an Krebs.
Heute fasst der weltweite Bestand von Atomwaffen ungefähr 13 900 Sprengköpfe. Ihr Nuklearpotential ist gigantisch. Käme es zu einer nuklearen Konfrontation zwischen den USA und Russland, würde sie wahrscheinlich in Europa ausgetragen. Es erginge uns weit schrecklicher als den Bewohnern von Hiroshima und Nagasaki.
Befehl heißt Mord
Jeder Schweizer Mann ist wehrpflichtig und nur wer Dienst tut, ist ein rechter Mann und senkrechter Schweizer. Wer keinen Dienst tun kann oder ihn verweigert, gehört zur Randgruppe der Krüppel, Psychopathen, Simulanten, Träumer, Arbeitsscheuen, Verantwortungslosen, Asozialen, Pazifisten, Religionsfanatiker, Querulanten und Staatsfeinde.
Eine Schweiz ohne Armee wäre ein Land ohne den wesentlichsten Bestandteil seines Brauchtums. Sie verlöre neben dem gemütlichen Beisammensein verschiedenster Menschen im Wiederholungskurs folkloristische Traditionen wie Militärparaden und Schützenfeste, Flug-Meetings und Fahnenumzüge, Blaskapellen und Marschmusik, Rütli-Gedenkfeiern und patriotische 1. August-Reden.
Die Schweizer Armee dient dem Schutz der Herrschenden, die in Finanz, Wirtschaft und Politik an den Schalthebeln sitzen. Sie ist, wie die Schule, ein Abbild der neoliberalen Wirtschaft, wo nur Leistung etwas zählt, der Ranghöhere den Rangniedrigeren bedroht und schikaniert, der Stärkere den Schwächeren besiegt und nichts als der Wille zur Macht das persönliche Vorgehen bestimmt. Da werden moralische Bedenken als mangelndes Durchsetzungsvermögen ausgelegt, Rücksichtnahme wird zur Charakterschwäche, soziales Engagement entlarvt Naivität.
Wie im Turbokapitalismus wird in der Armee bezwungen, erobert, zerstört. Gewalt wird verherrlicht und Geist unterdrückt. Die Offiziere sind in der Regel Finanziers, Unternehmer, Manager und Politiker; sie machen sich ein Heer von Statisten dienstbar, eine Herde von Schafen, meinungslose Soldaten, die Männer des Volkes eben. Die Masse wird zur Marionette für die lohnenden Geschäfte inner- und außerhalb der Armee, denn gute Soldaten sind gute Bürger. Duckmäusertum ist gefragt und wer aufbegehrt, landet auf der Couch des Psychiaters, wird entlassen, kriminalisiert, fällt ins soziale Netz oder durch dessen Maschen ins Leere.
Gehorsam heißt Tod
In der Rekrutenschule, der Krönung der bürgerlichen Erziehung, wird die Initiation des Mannes vollzogen. Der Einzelmensch wird gleichgeschaltet und kriegt ein neues Ich verpasst, dasjenige des Anpassers. Auf Kosten der menschlichen Werte und der individuellen Verantwortung wird der Rekrut eingegliedert in die pyramidenförmige Rangordnung, hat Gehorsam zu üben und sein persönliches Gewissen gegen die Verpflichtung gegenüber dem Offiziersstab einzutauschen. Er lernt, vor dem Vorgesetzten zu Kreuze zu kriechen und die angestaute Aggression nach unten abzulassen. Die Initiationsriten führen über Gebrüll und Angebrülltwerden, sinnlose Befehle und das ewige Zusammenschlagen der Hacken zum Höhepunkt der Speichelleckerei – je hündischer das Verhalten, desto grösser das Lob von oben. So wird der Dressierte zum nützlichen Mitglied der Gesellschaft, die auf dem Fundament des Gewaltprinzips aufgebaut ist.
Ohne Diener kein Herr, und ohne Soldat keine Armee. Bürgerlicher Gehorsam und Zahnrädchen-Existenz der Untertanen ermöglichen den Herrschenden riesige Geschäfte. Vor allem aber Rüstung und Krieg versprechen Reichtum und Ansehen. Die Waffenfabrikanten tun ihre auch in bürgerlichen Kreisen umstrittene Arbeit natürlich nur für die Sicherheit der Gemeinschaft, und die Politiker opfern sich auf fürs Vaterland.
Abschreckung und Waffengewalt scheinen die einzigen bewährten Mittel zu sein, um die Schweiz vor Eindringlingen zu schützen. Unser Wehrwille, die Bereitschaft, als Soldat selbst zu morden, soll uns vor Mord und Totschlag bewahren. Die Armee ist im Grunde ein Werkzeug zur Überlistung des Todes. Wie der hochmütige König von Korinth bezahlen wir für diesen „Frevel“ einen Preis: Der Dienst in der Schweizer Armee ist eine Sisyphosarbeit, die finanziellen Aufwendungen für Rüstung und Zivilschutz sind eine Verschwendung.
Ein toter Soldat kennt weder Heimat noch Freiheit, für die er gestorben ist; und nur ein toter Soldat ist ein guter Soldat. Der Schaden bei heutigen Kriegen ist grösser als die Werte, die man zu wahren sucht. Auch in konventionellen Kriegen würden zerstörte Atomkraftwerke das eigene und das eroberte Territorium verseuchen und für Jahrzehnte unbewohnbar machen. Kriege können bloß noch unentschieden enden – mit zwei Verlierern, was die bewaffneten Auseinandersetzungen der letzten Jahre bewiesen haben. Krieg ist sinnloser denn je, weil militärische Verteidigung zur Illusion geworden ist.
Doch Sisyphos steht weiterhin in Reih und Glied, Gewehr bei Fuß, in Uniform. Er ist bereit, zu gehorchen. Auf Befehl wird er brandschatzen, vergewaltigen, foltern und töten.
Vereinigung heißt Leben
Größer als die unbestimmte Angst der Massen vor einem 3. Weltkrieg ist heute die begründete Furcht vor der klimatischen Katastrophe. Wer den Teufel an die Wand malen will, zitiert nicht den alten Brecht, sondern die junge Thunberg.
So wünsche ich mir eine vereinigte Menschheit unter einer Weltregierung. Die Führungsspitzen sämtlicher Nationen sind abgetreten. Alle Flaggen wurden eingeholt, die Staatsgrenzen aufgehoben und die Armeen aufgelöst. Jährlich können Hunderte von Milliarden Dollar der überflüssigen Militärausgaben eingesetzt werden für die Umgestaltung von Politik, Finanz und Wirtschaft – mit dem Ziel einer Gesellschaft vor Augen, die mit der Natur im Einklang lebt und in der alle dieselben sozialen Chancen und genug zu essen haben. Vorurteile und Feindbilder haben für immer ausgedient, denn jeder Mensch ist Weltbürger und Teil desselben Ganzen.
Das Herrschaftssystem gibt seine allumfassende Macht über die Bevölkerung nicht mehr her, baut diese zukzessive aus, der Terror der Wirtschaftsmacht wird mit allen Mitteln geschützt, auch das ist Krieg.
Ehemals geltende Freiheitsrechte, damit auch einer Bürgerschaft per Gesetz zugestandene Verteidigung der Freiheit – sind defacto nicht mehr gegeben. Die Gewalt- und Machtteilung ist den Bürgern komplett entzogen – es herrscht das Gewalt- und Machtmonopol des Herrschaftssystems ( = Kapitalmacht ), auch das ist Krieg.
Der Krieg Reich gegen Arm – Besitzende gegen Besitzlose, zur Erhaltung und zum Ausbau des Reichtums und des Besitzes, der Macht also.
Wieviel ‚Recht‘ der Bürger noch hat, das wird uns nun aktuell drastisch vor Augen geführt, kein einziges nämlich, wenn das System es eben so will. Staatsterrorkrieg gegen die Bevölkerung.
Wollte ich nun ‚meine Freiheitsrechte‘, wie sie per Verfassung ja garantiert wären, tatsächlich verteidigen – müsste ich es inzwischen mit Waffengewalt tun und das in Notwehr sogar.
In den USA ist man da seitens der Herrschenden äusserst vorsichtig – bei ca. 300 Millionen Waffen in Privatbesitz, es wäre dann ein historischer Bürgerkrieg. Auf sarkastische Art könnte man da noch von ‚Gewaltenteilung‘ sprechen.
Es ist ein Krieg gegen die Freiheit auch, das Recht auf Freiheit – die Freiheit ist der schlimmste Feind der Herrscher, schon freiheitliches Denken wird radikal unterdrückt.
All das ist auch hier in dieser ‚BRD‘ gegeben, man muss nur die Augen aufmachen.
Die Angst hockt wie eine schwarze Spinne auf jedem von uns.
Bin kein Arachnophobiker, mag sogar Spinnen 🙂 Aber das der Krieg der Stiefvater aller Undinge ist, wissen nicht erst wir modernen Menschen. Und das er ohne Waffen besser und verheerender geführt werden kann, erfahren wir am eigenen Leib und Menschen in anderen Staaten noch will bitterer und lebensbedrohlicher (etwa unter den Auswirkungen von Wirtschaftsembargos).
…will bitte gegen viel austauschen, dann macht´s Sinn 🙂
Klimaschonendes Leben wagen und den drohen Klimakollaps vor Augen haben und Konsum vereigern ist in dem Land, in dem ich lebe, höchst verdächtig und ich habe mit vielerlei Problemen zu „kämpfen“, ich werde massiv daran gehindert, günstig und klimaschonend zu leben.
Hartz 4 ist für die Menschen darin ein ständiger Kampf! Ich begleite Leute ins Jobcenter, sie werden versucht in die Rente gedrängelt oder massiv bedroht mit: denken Sie an ihre Rente, Sie müssen so und soviel arbeiten um damit auszukommen. Da nicht mal nach vielen Jahren in Leitungsfunktion eines Kindergartens eine Rente über Armutsniveau möglich ist, ist das Lüge und Gängelung.
Ebenso die Zwangsabgabe GEZ, seit neuestem gedeckt durch EU- Rechtssprechung. Wir als Hausgemeinschaft haben seit zwei Jahren Krieg mit der GEZ und Creditreform, wir haben nichts falsch gemacht, werden bedroht und zu unrechtmässigen Zahlungen mit Vollstreckungen gezwungen (Stadtkasse sieht das Unrecht, hat aber keine Handhabe!!) Wo ist eine Rechtsstaatlichkeit in Deutschland zu sehen? Ich sehe sie nicht.
Nun ist uns durch das Corona- Virus die (blutige, auf Ausbeutung ausgerichtete) Weltwirtschaft um die Ohren geflogen, viel früher und ganz anders, als gedacht. Die drohende Klimakatastrophe ist kaum mehr Thema und die Flugzeuge fliegen wieder innerdeutsche Ziele an (Flughafen Bremen nach München, seit Jahren unrentabel, Steuergelder vwerden versenkt- läuft fast noch vor Bundesliga wieder).
Wir stehen am Abgrund und sehen kaum hin! Die drohende Gefahr durch die Atomwaffen und heute eine Meldung über noch fiesere Biowaffen ist fast nur noch eine kleine weitere Bedrohung! Ach ja, das 6. Massenaussterben….
Ich bin Konsumverweigerin seit 10 Jahren, im zivilen Ungehorsam gegen Ausbeutung und Unterdrückung von Natur, Tier und Mensch! Wie halten wir das nur aus??
Wer noch nicht verrückt ist, hat nicht hingesehen!
Immer wieder schön zu sehen, dass dieser Aufkleber nach wie vor dort hängt, wo ich sie alle hingeklebt habe 🙂 🙂
🙂
🙂
Was ich nebenbei bemerkt auch ganz lustig finde:
aus der Zeit, als Klopapier knapp war, gab es in einem der Geschäfte hier polnisches “ Papier Toaletowy“ namens Puffi
der Titel Ihres Artikels ließ mich aufhorchen: „Sisyphos in Uniform“. Sisyphos ist für mich ein glücklicher Mensch. „Sisyphos“ und „Uniform“ bringe ich nicht miteinander in Einklang.
Zur kurzen Erläuterung ein kleiner Exkurs zu Sisyphos:
Für ein Vergehen erhielt Sisyphos von den altgriechischen Gottheiten eine Strafe, die darin bestand, unablässig einen Felsblock einen Berg hinaufzuwälzen. Immer, wenn Sisyphos oben auf dem Berg ankam, rollte der Stein vom Gipfel des Berges wieder hinab, woraufhin Sisyphos erneut zum Fuße des Berges hinab stieg, um den Felsen wieder aufzunehmen. Sisyphos verweigerte sich nicht seiner scheinbar unnützen und aussichtslosen Aufgabe, sondern nahm dieser an.
Ist Sisyphos demnach als eine jämmerliche Figur zu deuten, als ein feiger und unterwürfiger Mensch, der es nicht wagt, gegen seine sinnentleerte Aufgabe aufzubegehren, und darum den Felsen immer wieder hinaufrollt? Dann würde die Titelzeile „Sisyphos in Uniform“ einen Sinn ergeben, und der Zusammenhang von Uniform, Soldaten, bedingungslosem Gehorsam und Sisyphos würde sich schnell erschließen.
Doch schauen wir mal auf die Interpretation von Camus zum Mythos von Sisyphos. Eine gelungene Interpretation fand ich im Artikel des Wormser Stadtmagazins vom 04. Mai 2017 unter dem Titel:
Der Unterschied zwischen Sisyphos und jeglicher Form von Uniform besteht demnach in der Befreiung vom Schicksal zum selbstbestimmten Handeln.
Ich gebe zu, lieber Herr Fahr, dass meine These etwas gewagt ist, doch ich gebe nicht auf, Sisyphos zu verteidigen- das ist meine „Sisyphos-Aufgabe“. 🙂
Herzliche Grüße,
Bettina
Kein in Uniform und zur Befehlsgewalt gepresster Soldat würde, sofern er seine Aufgabe gut reflektieren würde, je freiwillig, aus eigener Entscheidung heraus zur Waffe greifen. Würde er sich dem eigentlichen Sinn seines Dienstes an der Waffe, die darin besteht, Menschen zu töten, bewusst werden, würde er die Sinnlosigkeit seines Tuns erkennen, und augenblicklich seine Waffe fallen lassen. Das entspräche einer „Befreiung zum selbstbestimmten Handeln“.
Schließe mich Bettina an – Sisyphos (er)trug die Folgen seines irdischen Lebenswandels. Hamster in Uniform wäre m.E. zutreffender – denn so verhält es sich doch: aus dem Hamsterrad der Produktion und der Lebensunterhaltserwirtschaftung ins Hamsterrad des Kasernendrills und der Lebensvernichtung im Akkordtempo. Zivil am Fließband, militärisch am MG.
Zu Feudalzeiten mit ihrer Agrarwirtschaft hätte man es auch so formulieren können: Erst schicken uns die Herrschaften aufs , dann ins Feld …
Du hast Deinen Camus studiert. Er ist auch mir nah. Mein uniformierter Sisyphos hat im Gegensatz zu jenem glücklichen von Camus leider eine tragische Dimension: Er steigt immer wieder in seine Uniform – wider besseres Wissen sozusagen. Hier schlage ich eine pessimistische Note an. Mein Sisyphos ist keineswegs Herr seines Schicksals, sondern sein Knecht.
Ich lass mich durch die Zukunft gerne widerlegen.
Herzlichen Gruss
Peter Fahr
So gesehen gebe ich Ihnen Recht. Der uniformierte Sisyphos ist eher als Knecht des Gehorsams zu bewerten, denn als Held der freien Selbstbestimmung.
Erfreulich wäre es natürlich, wenn sich der uniformierte Sisyphos der Absurditt seines Dienstes an der Waffe bewusst werden wrde und sich aus freien Stücken heraus seiner Uniform entledigen würden.
Ich verspüre kein Bedürfnis,den unbekannten Großvater als Märtyrer, Held oder Opfer einzuordnen. Zu der damaligen Zeit war er sicher von allem etwas. Später eindeutig Täter. Ich hätte ihn gern kennengelernt.
Wenn ich sehe mit welcher Hingabe das Kriegerdenkmal (1.WK) hergerichtet wurde, am Gedenktag mit Kranz und Blumen bedacht wird…naja, hier ist das Militär eben eine lukrative sichere Einsatztquelle…
Beispiel: ich muss mir ein neues Auto kaufen und nach vielen Vergleichen habe ich zwei Marken in der Auswahl, von denen beide über gleich viele Vorteile und Nachteile verfügen.
Ich entscheide mich für die Marke „A“ und verwerfe die Marke „B“.
Nun entdecke ich bei der Marke „A“ etwas, was mich stört. Ich hätte mich also doch besser für Marke „B“ entschieden. Das erzeugt Dissonanz.
Für eine Dissonanzreduktion kann ich entweder
– weitere Vorteile bei „A“ finden, die „B“ nicht hat, also Addition neuer konsonanter Kognitionen
– Kognitionen ersetzen: weitere gewichtigere Nachteile bei „B“ finden bei gleichzeitiger Addition konsonanter bei „A“
– Scheinlösungen bevorzugen wie: ich fand immer schon „A“ ganz toll
– oder Abwerten von Informationen: der Verkäufer hat schlecht beraten
– usw.
Camus‘ Sicht auf Sisyphos war eine philosophische und übereinstimmend mit dem Existentialismus. (ich habe Sartre und Beauvoir früher gelesen und wahrscheinlich nicht mehr als 10 % davon verstanden)
Sisyphos hat sich – so die eigentliche Mythologie – mit List und Tücke einem mächtigen, nämlich dem Gott des Übergangs von der Welt in die Unterwelt, Thanatos, entzogen. Nicht zu verwechseln mit Hades, dem Gott der Unterwelt.
Wie eng wir bis heute mit der griechischen Mythologie verbunden sind, zeigt auf perfide Art, welche Namen sich der Grenzschutz rund um Frontex gibt:
Operation Triton ein Meeresgott, der gestrandete Schiffe rettet, indem er sie vom Ufer zurückzieht ins Meer
Operation Sophia: die Göttin der Weisheit
Operation Themis: die Tochter von Himmel (Uranos) und Erde (Gaia), Göttin der Gerechtigkeit und Ordnung
Ekelhaft dieser Mißbrauch, nicht wahr?
Zurück zu Sisyphos:
Das kennt jeder: Dominosteine, Skifahren (ohne Sessellifte), Kinder auf der Rutsche, Sprünge vom 4-Meter-Brett … 🙂
🙁 Hausfrauenarbeit