Wer nichts sucht, findet alles

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Peter Fahr, Philosophie, Poesie

Goethe wusste um die Flüchtigkeit irdischer Wonnen. Der verzweifelte Doktor Faust beschwört Mephisto: „Werd‘ ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn!“ – Die Befriedigung seelischer Bedürfnisse beschäftigt uns heute mehr denn je. Gedanken des Dichters und Aphoristikers Peter Fahr über das Verlangen, glücklich zu sein.

Ich erinnere mich an einen Augenblick meiner Kindheit, der mich mit Ruhe und Glück erfüllte. Ich saß auf der Schaukel im Garten des Elternhauses, es war Tag, der Himmel mit weißen und grauen Wolken gesprenkelt, es ging ein sanfter Wind, ich vermute mal, es war Frühling oder Herbst, jedenfalls war es eher kühl. Und es war still. Ich saß auf der Schaukel und schwang leicht vor und zurück, die Quartierstraße unterhalb des Hauses war menschenleer, vielleicht hatten wir Sonntag, eher Nachmittag, und ich fühlte mich eins mit der Welt. Verheißung lag in der Luft, zukünftige Abenteuer, große Entdeckungen, doch jetzt war es noch nicht so weit. Ich war die Ruhe selbst, war zufrieden, ja glücklich. Auf einmal ahnte ich, in diesem Augenblick bin ich aufgehoben, in diesem Gefühl der Erhabenheit bin ich geborgen. Und da war noch etwas anderes, das ich empfand: Langeweile. Eine lange Weile, die mich nicht anödete oder gar ärgerte, sondern beruhigte und entspannte. Diese gewisse Stimmung, dieses ferne Glück des Kindes vermisse ich heute sehr. Nur manchmal streift mich eine Ahnung davon – wenn ich einen sanften Frühlings- oder Herbstwind auf dem Gesicht spüre und die Wolken den Himmel weiß und grau sprenkeln …

Sehnsucht

Ist Glück das Bewusstsein von Glück? Ist Glück das fehlende Bewusstsein von Glück?

Für unser Glück wollen wir immer selbst verantwortlich sein, Pech und Unglück hingegen schieben wir dem Schicksal in die Schuhe.

Ist Glück das Ausbleiben von Unglück?

Glück und Unglück – das eine nicht ohne das andere.

Großes macht Geschichte, Kleines macht Freude.

Glück ist kein Zustand, sondern ein Umstand – und darum flüchtig wie ein Sonnenstrahl.

Der erfüllte Wunsch ist eine verlorene Illusion.

Glück betäubt, Sehnsucht beglückt.

Das Unmögliche ist das Mögliche, an das niemand glaubt.

Anleitung zum Glück: Steh aufrecht in der Gemeinschaft und beuge dich deiner Eigenart.

Du allein kennst den Weg, denn es ist der deine. Geh ihn aufrecht und furchtlos – auch wenn du nicht weißt und niemals wissen wirst, wohin er dich führt.

Zufriedenheit

Niemand kann sagen, was Glück ist, sondern nur, was es sein oder gewesen sein könnte, denn im Augenblick, in dem wir glücklich sind, schaltet sich das Bewusstsein ab. Erst in der Rückschau mag es dem einen oder anderen gelingen, sein Glück zu umschreiben. Glück wird immer individuell erfahren und sollte daher relativiert werden.

Objektivität macht klug, Subjektivität glücklich.

Das Glück lässt sich nicht zwingen. Doch wer aufhört, dem Glück hinterherzujagen, findet es in der Zufriedenheit.

Wer nichts sucht, findet alles.

Besuch eines buddhistischen Klosters. Kurzes Gespräch mit einem Lama über die Predigt des Buddha. Wichtig sei es zu begreifen, dass die gegenwärtige Situation die Folge früherer Handlungen sei. Wichtig sei es, seinen Geist zu kontrollieren. Wichtig sei das Mitgefühl für die anderen. Wichtig sei die Zufriedenheit, das Zufriedensein mit dem, was man sei und habe. Wir seien für uns selbst verantwortlich.

Nur was deiner ureigensten Quelle entspringt, trägt dich zum Meer.

Pflanze den Baum, doch ersehne nicht seine Früchte. Baue die Brücke, doch erhoffe nicht ihre Begehung. Zeuge das Kind, doch erwarte nicht seine Dankbarkeit.

Machst du glücklich, bist du glücklich. Bist du glücklich, machst du glücklich.

Wer sich verschenkt, findet sich im Glück der anderen wieder.

Weisheit

Diese Welt ist so beschaffen, dass in ihr nur heimisch wird, wer sich schuldig macht. Glück ist ein Kredit, den wir mit Zinseszinsen zurückzahlen müssen. Das Glück verdient man sich mit Schuld. Bis sich herausstellt, dass Schuld ein wuchernder Krebs ist, der die Befallenen jedes Heimatgefühls beraubt. Nicht wunschlos, sondern schuldlos glücklich will ich werden.

Die Einsicht ist notwendig: Es braucht den persönlichen Widerstand gegen die Unmenschlichkeit, um die eigene Menschwerdung zu ermöglichen. Wir werden uns nicht morgen bewähren müssen, wir bewähren uns heute – oder eben nicht. Das bequeme und leichtsinnige Geplapper von künftigen Bewährungsproben ist wie Gift, das den Willen lähmt. Wer sich nicht täglich mit Mut und Beharrlichkeit gegen die schleichende Verniemandung zur Wehr setzt, hat vorschnell kapituliert. Wer seine Selbstwerdung in die Zukunft projiziert, geht ihr verlustig. Hier und jetzt erfüllt sich das Ich.

Unverfälscht ist das Leben nur im Fluss der Gegenwart. Der Fluss ist breit und jeder Mensch treibt auf einer anderen Welle. Jede Welle beschreibt einen anderen Lauf, doch es gibt nur eine einzige Strömung.

Warumloses Glück.

Wer sich Glück erhofft, bleibt unglücklich. Das Glück ist ein Schmetterling.

Das Glück verbirgt sich im Augenblick, die Weisheit im Augenblick danach. Glück ist Hingabe und Vergessen, Weisheit ist Hinnahme und Erinnern. Ohne Selbstverlust und Selbstwahrnehmung gibt es keine Selbstverwirklichung. In Glück und Weisheit vollendet sich das Ich.

Ich lebe gelassen und wohl wissend, dass gefundene Antworten neue Fragen bergen. Es geht nicht mehr um die Erfüllung von Wünschen. Ich erwarte nichts mehr und bin empfänglich für alles. Im Sein liegt der Sinn. Glück ist nicht das Ziel, sondern der Weg. Gehend gestalte ich mein Schicksal.

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