Fröhlichkeit gibt’s nicht per App

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Kultur, Politik (Inland)

“There will be an answer…” Paul McCartneys Lieder klingen oft aufmunternd.

“Freude oder Sozialismus” könnte man in Anlehnung an einen alten Wahlslogan der CDU formulieren. Gerade politisch engagierte Menschen – und Linke speziell – sind oft an ihrem verhärmten Gesichtsausdruck zu erkennen, verbittert vom vergeblichen antikapitalistischen Kampf. Gute Laune käme da einer Verhöhnung der Opfer gleich. Derart missgestimmt, kann “unsere” politische Richtung jedoch nicht gewinnen, weil die Menschen, die sie vertreten, nichts Gewinnendes an sich haben. Optimismus garantiert nicht, dass wir am Ziel ankommen; ohne Optimismus wagen wir es jedoch nicht einmal, uns auf den Weg zu machen. Beatlesfan Ludwig Schumann erzählt hier u.a. von ermutigenden Kindheitserinnerungen und empfiehlt uns allen, mal wieder zu lächeln. (Ludwig Schumann)

Paul McCartney erzählte die schöne Geschichte einer alten Dame, einer Pianistin, die im Altersheim mit ihrer Musik die dortigen Heimbewohner unterhielt. Sie erzählte McCartney, dass sie auch sein „When I´m sixty four“ spielte. Ein Song, den er mit 16 Jahren schrieb, der aber Jahre später erst für das Epoche machende „Stg. Pepper’s“-Album aufgenommen wurde. „Aber“, gestand sie, „ich habe mir eine kleine textliche Änderung erlaubt. Für die Heimbewohner ist Ihre Altersangabe zu jung. Ich singe jetzt: ‚When I´m eighty four’“, „Wenn ich 84 bin“. „Solche Geschichten gefallen mir“, kommentiert McCartney die Erzählung der alten Dame.

In einem Film über amerikanische Künstler im Widerstand gegen Trump weist Robert Redford darauf hin, dass der amerikanische Optimismus letztlich immer die Oberhand behält. Redford bleibt optimistisch. Ein Trump spielt Amerika nicht kaputt. Wo für uns der Weltuntergang zum Greifen nah ist, regen solche Geschichten an, sich mal wieder ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Nein, dann ist nicht alles gleich viel besser. Aber mitten in der Scheiße geht es einem selber besser. Gleich, ob gegenüber dem Tod, der einem ja auf alle Fälle sicher ist, oder gegenüber der Weltpolitik, die momentan eher zum Fürchten aussieht. Vielleicht aber kann ich das so erworbene Lächeln zum Fenster tragen und da sieht es jemand, der eher zufällig am Haus vorbeigeht. Der wird es aufnehmen und weiter tragen. So findet mein Lächeln Platz in der Welt. Ein schöner Gedanke.

Ein Taxifahrer erzählte mir kürzlich, dass er nie zum Lesen gefunden hätte, weil er in der DDR aufgewachsen sei. Die Bücher bei den Kommunisten hätte man nicht lesen können, da überall „Brigade“ darin gestanden hätte. Er erzählte von der Qual des Russischunterrichts. Die Besatzersprache hätte man sich hereinquälen müssen, weil die Kommunisten das verlangt hätten. Und diese furchtbare russische Literatur, der verstaubte, unlesbare Tolstoi …

Ich erzählte ihm von meiner Bibliothek, in der große Teile auch der Westliteratur – Heinrich Böll, Siegfried Lenz, Martin Walser beispielsweise – DDR-Ausgaben seien. Ich erzählte ihm, dass die Übersetzungen der Werke von Tschingis Aitmatow von Ralf Schröder, die in der DDR erschienen, sorgsamer und sprachlich besser waren als die jetzt auf dem Markt befindlichen West-Ausgaben. Ich erzählte ihm auch, dass ich Russisch gern gelernt hätte. Schließlich war zu Zeiten des Siebenjährigen Krieges, also in Friedrichs II. Zeiten, ein russischer Kosak an einer Thüringer Bauersfrau kleben geblieben, hat sich aus dem Krieg verabschiedet und brav deutsche Kinder gezeugt, deren Linie bis zu mir führt.

Mir war meine Lebenszeit immer viel zu schade für diese erdrückenden miesen Gedanken, die einem lediglich am Leben hindern. Und Freiheit, die fing für mich immer im Kopf an. Dadurch konnte sie nicht an der Mauer enden. Nein, ich habe schon auch die negativen Seiten der DDR erlebt und gesehen. Ich will und kann das vergangene Land nicht schöner reden als es war. Aber es hat mich in seinem Elend nicht beeindruckt. Ich habe nicht zugelassen, dass es mich niederdrückt. So gesehen, kann ich sagen, dass es natürlich auch die Zeit meiner Kindheit war, einer behüteteten, aber gleichzeitig sehr freien Kindheit. Einer heilen Zeit.

Ja, ich sah auch jenen merkwürdigen, sehr stillen Mann, der im Obergeschoss meiner Großmutter wohnte und den man selten sah. „Der war in Bautzen“, raunte meine Großmutter, wenn ich fragte. „Seither spricht er nicht.“ Bautzen war das Gefängnis für die politischen Gefangenen in der DDR. Aber wenn ich ihm wirklich einmal auf der Treppe begegnete und ihn freundlich grüßte, blieb er wie überrascht stehen. Mein Gruß schien ihm nicht unangenehm und in seltenen Fällen erwiderte er ihn.

Glückskindern wird oft etwas geschenkt. Mir die Anfänge der Beatmusik. Mit dem ersten Beatlestitel, den ich hörte, „Komm gibt mir deine Hand“, begann die Phase meines Erwachsenwerdens. Ich wuchs parallel zu dieser Musik auf. Das war meine Droge, die mir meine Bewusstseinserweiterungen ermöglichte. Mehr brauchte ich nicht. Das war die Zeit, in der man bestimmte Musiken überhaupt das erste Mal hörte, nach den Beatles und Stones war das natürlich Jimi Hendrix, war es Janis Joplin. Klänge, die man vorher nicht für möglich gehalten hat. Und ich habe das immer als ein sehr persönliches Geschenk erachtet, dass ich mit dieser Musik (Led Zeppelin, The Who) aufwachsen, erwachsen werden durfte. Später wurde das die Musik von Peter Kowald, Conny Bauer, Joachim Kühn, Baby Sommer, Gumpert, Kropinski, Miles Davis und und und. Mit all dieser Musik in mir und um mich war ich mir immer bewusst, dass ich zu den Beschenkten gehöre. Was nun nicht heißt, dass man das Leben immer nur von der Sonntagsseite her zu sehen bekommt.

Für solche Zeiten schenkte mir meine Mutter ein Rüstzeug, für das ich ihr als Kind wenig dankbar war: Klavierstunden bei Frau Pohl. Was ich dort lernte, war dass ich unbegabt war, Musik zu machen. Das traf mich sehr. Nichtsdestotrotz bestand meine Mutter auf dem Unterricht. Sie hatte kein Einsehen. Gott sei Dank. Auch wenn ich mich hüten werde, öffentlich meine Künste am Instrument zu offenbaren, hat sie mich damit doch in die Lage versetzt, meine Misslaunen dem Klavier anzuvertrauen. Komme ich zornig nach Hause, spiele ich eine Viertelstunde Klavier oder eben ein anderes Instrument, und ich bin wieder der Mensch, der als Möglichkeit in mir steckt. Ich bedaure heute noch Kinder, die ihre Unlust, ein Instrument zu beherrschen, gegen ihre Eltern durchsetzen. Ich jedenfalls bin meiner Mutter ausgesprochen dankbar, dass sie nicht an meiner erkennbaren Unlust scheiterte und es auch nicht zuließ, dass ich daran scheiterte.

Ich glaube, wir sollten uns wieder auf die Suche machen nach den Dingen und Begegnungen, die unser Leben fröhlich machen. In einem fröhlichen Leben empfinde ich die Freiheit, die uns eigentlich doch auch geschenkt ist. Fröhliche Menschen sind solche, die nicht das Gefühl haben, im Leben zu kurz gekommen zu sein. Dieses Gefühl werden wir in Zukunft brauchen, wir werden mehr werden – und die neu zu uns kommen, denen täte ein Lächeln auch gut. Wir werden uns daran gewöhnen müssen – oder wir müssen, was vernünftig wäre, ganz erhebliche Einschnitte in unseren Lebensstandard hinnehmen. Besser wäre darum, die Einschnitte aktiv zu gestalten. Auch dafür brauchen wir die Fröhlichkeit der Herzen. Das ständige Gefühl, im Leben zu kurz gekommen zu sein, ist da kontraproduktiv. Aber man kann diese Fröhlichkeit miteinander lernen. Geht aber nicht per App!

Im übrigens meine ich, dass die demokratische Wahl einer Partei kein Siegel dafür ist, dass diese auch demokratiefähig ist. Wie die Geschichte gezeigt hat.

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