Wolf Schneider: Schönheit

 In Politik (Inland), Spiritualität, Wolf Schneider

Alltag im Meditationsraum des connection-Hauses

Über Flüchtlinge darf und sollte man reden. Aber Schönheit – ist das nicht in diesem ernsten Zusammenhang ein völlig irrelevantes Thema? Und Liebe? Ist das nicht zu dick aufgetragen? Reicht es nicht, pflichtschuldig ein bisschen tolerant zu sein? Oder will der Autor, einst einer der versiertesten Tantra-Journalisten des Landes, damit nur verklausulieren, dass ihm die “orientalischen” Frauen, die seit einiger Zeit im connection-Haus wohnen, gut gefallen? Wolf Schneider geht subtiler vor und sieht die Schönheit überwiegend woanders – auch bei Männern. Ihm macht der Kontakt mit Flüchtlingen Freude, und das ist nicht wenig. Denn “Die Globalisierung draußen vor der Tür lassen, das geht nicht.”

Das Zusammenleben mit den Flüchtlingen verschafft mir einen neuen Zugang zum Verständnis von Schönheit, und weil Schönheit Herz und Sinne für die Liebe öffnet, wächst so bei mir auch die Menschenliebe. 

Ich finde diese Menschen schön. Warum das? Weil sie fremd sind, weil sie im Durchschnitt jünger sind und junge Menschen eben schön sind? Mag sein. Vielleicht auch, weil sie einen offeneren Blick auf die Welt haben und weniger festgefahren sind als die alteingesessenen Deutschen. Sie schauen mich an mit ihren dunklen Augen und wollen wissen, was für ein Mensch ich bin. Ich schaue in ihre offenen, neugierigen, wissbegierigen Gesichter und möchte wissen, wie dieser Mensch da tickt. Was sind hinter diesen Augen für Gefühle und Gedanken, wie werden wir uns verstehen? Sie haben ihre Heimat verloren und sind nun auf uns angewiesen. Sie sind mit fast leeren Händen gekommen. Nur ein bisschen Reisegepäck haben sie bei sich und das, was sie über das Leben und die Welt gelernt haben, ihre Erinnerungen und Erwartungen. Manche sind allein gekommen, andere mit ihren nächsten Verwandten.

Radebrechen

Gerade saß ich für eine halbe Stunde mit einer syrischen Familie im Zug. Am Einsteige-Bahnhof dachte ich, sie seien Türken, weil die Frau und das 14-jährige Mädchen Kopftuch trugen, so wie viele Türken es bei uns tragen und sprach den Vater an. »Nein, wir sind Araber, aus Syrien«, antwortete er. Die Familie war vor sechs Monaten aus Idlb geflohen, einer heftig umkämpften Stadt nahe Aleppo. Der Vater ist Arabisch-Lehrer, er ist mit seiner Frau und seinen vier Kindern hier. Mit ihm radebreche ich in einer Mischung aus Deutsch, Arabisch und Englisch. Die Kinder mischen sich ein, sie verstehen schon recht viel Deutsch und helfen ihrem Vater. Jedes einzelne arabische Wort, das ich weiß, erfreut sie, und sie üben ihr Deutsch mit mir.

Eskalierende Freude

Diese Gesichter! Ich verliere mich so leicht in diesen dunklen Augen, in der körperlichen Schönheit dieser Menschen, im Klang ihrer Sprache, und wenn ich sie auf dem Handy Buchstaben eintippen sehe, sind das diese schönen arabischen Buchstaben, die zu lesen mir noch schwer fällt. Wir haben nicht viele gemeinsame Worte, deshalb tendiert unser Austausch ins Körperlich-Sinnliche, Pantomimische, was sekundenschnell verstanden wird und meist Freude auslöst.

Lächelnde und lachende Gesichter sind umwerfend schön! Wir stecken uns dabei gegenseitig an, die Freude eskaliert und nimmt uns mit. Haben diese Zuagroasten, wie man auf Bayrisch sagt, mehr Zeit für solche Eskalationen? Wir Deutschen sind ja immer so in Eile, wir sind ein Volk der Reichen, Gehetzten. Reich? Auch ich, der ich besitzlos bin und dessen Einkommen am unteren Ende der Skala liegt, empfinde mich immer noch als reich.

Du Schöne!

Meine syrischen Mitbewohner haben mir das Wort jamil beigebracht, das ist das arabische Wort für schön. Ich kannte es bisher nur als weiblichen Vornamen (Jamila, die Schöne) und freue ich über die Wirkung dieses Wortes in den Gesichtern meiner Gesprächspartner. Jamil wirkt mächtiger als schön oder beautiful, es löst in meinen Mitbewohnern eine ganze Kaskade an Assoziationen aus: schöne Menschen, schöne Dinge, schöne Landschaften. Schönheit ist für sie durchweg etwas Positives, das sie ohne Scham anpreisen. Arabischen Frauen, so ähnlich auch anderen Frauen im Islam, zu sagen, dass sie schön sind, ist für sie das Höchste. Bei uns fühlt sich eine Frau, deren Schönheit man anspricht, angebaggert oder sogar als Sexualabjekt entwürdigt (tendenziell anders in Spanien, wo man eine Frau, sogar eine Fremde, mit guapa, du Schöne, anreden darf).

Stilberatung

Maxem, mein syrischer Freund und Mitbewohner berät mich seit einiger Zeit sogar, was meine Kleidung anbelangt. Wenn ich nicht gut genug rasiert bin oder ein T-Shirt nicht zur Hose passt, sagt er mir das. Neulich hat er mir im Rot-Kreuz-Shop (ich kaufe ebenso wie meine Mitbewohner Kleidung hauptsächlich in Second-Hand-Läden ein) ein Sweat-Shirt geschenkt, das perfekt zu mir passe. Er ist ein Ästhet.

Seine Kusine May ist die am besten Englisch Sprechende in der Familie und ein sozialer Magnet. Jeder ist gerne in ihrer Nähe, sie lädt jung und alt, Männer wie Frauen in ihr immer etwas unaufgeräumtes Wohnzimmer ein, in dem ihr Vater nachts schläft und zur Zeit auch ihr Bruder mitwohnt. Ihre Hauptbeschäftigung ist ihre Schönheit: sich anziehen, schminken und schöne Worte sagen, lächeln und Menschen miteinander in Verbindung bringen. Alles das geht bei ihr geschmeidig ineinander über und wirkt natürlich, spontan, authentisch. Ihre Liebe zur Schönheit beinhaltet auch Witze über Schönes und Hässliches. Auch über Religion kann man mit ihr lachen, und auch über sie selbst, ihre Art, sich für die Männer schön zu machen. Ihr Cousin, der nun zu meinem Stilberater geworden ist, mokiert sich über ihr sich Schönmachen und das Beflirten der Männer, was sie meist gelassen hinnimmt.

Leben für die Schönheit

Nur dafür zu leben schön zu sein, scheint die Hauptbeschäftigung der jungen, hijab- und kopftuchbefreiten Frauen in der islamischen Kultur zu sein. Die Tatsache, dass sie mit ihrer Schönheit weniger schamhaft umgehen als Deutsche, empfinde ich aber als wohltuend. Wo eine deutsche Frau sich schon als Sexobjekt begafft fühlt, empfinden diese Frauen sich noch als in ihre Schönheit bewundert, Oder liegt es an den Männerblicken in der arabischen Kultur, die eher huldigen als begaffen? Kultur und Sprache prägen unser Verhältnis zur Schönheit. Die arabisch geprägte islamische Kultur, in der Gott und sein Prophet nicht abgebildet werden dürfen, hat jedenfalls ein entspannteres Verhältnis zur irdischen Schönheit als die christliche Kultur.

Der Schleier als Reizwäsche

Sogar das Verhüllen des weiblichen Körpers, wie es am extremsten in Saudi-Arabien gefordert wird, ehrt ja in paradoxer Weise den weiblichen Körper: Ihm wird eine solche Wirkung auf Männer zugeschrieben, dass Sexfeinde glauben, ihn verhüllen zu müssen, damit die Männer nicht durchdrehen und sich an dieser Schönheit vergreifen. Das ist sehr einengend für die Frauen, ich will das hier keineswegs gutheißen. Eine nackte Frau ist für mein Empfinden das allerschönste, von keiner Reizwäsche-Verkleidung zu übertreffende Objekt. Ich weiß aber auch, wie sehr das Verhüllen körperlicher Reize diese aufwerten kann, insofern sind Hijab, Tschador und Burka Reizwäsche und Gefängnis zugleich.

Liebe

Auch meinen afghanischen Mitbewohnern gegenüber empfinde ich Liebe. Sie sind im Durchschnitt 40 Jahre jünger als ich, ich könnte ihr Vater oder Großvater sein. Speziell gegenüber den ‚Jungs‘ von oben, bei uns im Dachgeschoss, habe ich väterliche Gefühle. Ich erlebe hier ihre Suche nach Bedeutung – in dieser Männer-WG, in diesem Land, in ihrem Leben – und ihre Suche nach gleichaltrigen Frauen. In diesem »Land der unbegrenzten Möglichkeiten«, Deutschland, in das sie unter so großem Aufwand geflüchtet sind, muss doch auch sexuell was abgehen, erwarten sie, bei so viel Freiheit, die hier auch die Frauen genießen. Davon wollen sie was abhaben und zögern doch auch, weil sie nicht wissen, was sich gehört und weil sie schamhaft, rücksichtsvoll und empatisch sind. Es fällt es mir manchmal schwer, die Tür zu meiner WG als Schwelle zu hüten, denn sie sind mir so nah wie eigene Kinder, Mitbewohner, Freunde. Für mich sind sie keine Fremden mehr.

Umgang mit Gewalt

Der einzige Problemfall in unserer Hausgemeinschaft ist Mike, der in seiner WG die anderen beherrschen will und dabei Gewalt androht. Wenn er vor mir sitzt, empfinde ich ihm gegenüber jedoch keine Ablehnung. Kürzlich habe ich ihn eine Stunde lang über sein Leben befragt. Einiges verschweigt er mir, bei anderem lügt er (vermute ich, weil er anderen was anderes erzählt), aber ich empfinde keinen Groll gegen ihn. Ich bin vor ihm auf der Hut und habe Mitgefühl mit der Angst, die hinter seinem Schutzpanzer hervorlugt. Eine Therapie wäre da gut, aber das lässt er nicht zu. Also wird er wohl aus diesem Land wieder weggeschickt werden.

Für Dienstag Abend war Mike bei der Polizei vorgeladen, und zu unserem und wohl auch seinem Glück kniff er nicht, sondern ging hin. Wegen der Gewalt, die er seinen Mitbewohnern in der WG wiederholt angedroht hat, greift nun der Arm unserer Justiz nach ihm, dafür habe auch ich selbst als Hausherr gesorgt. Das ist gut für unsere WG, aber nicht gut für ihn. Ihn rauszubefördern – in eine andere WG, ins Gefängnis oder außer Landes – löst das Problem nicht, es verschiebt es nur, und doch bin ich in diesem Falle fürs Verschieben.

Mike ist potenziell gewalttätig, aber ich hasse ihn nicht dafür. »It is my style«, dieses Prahlen und mit Gewalt zu drohen sei sein Stil, so sei er eben, sagte er zu mir. Dann ändere diesen Stil, antwortete ich und wiederholte meine Forderung so lange, bis er mir versprach, diesen Stil zu ändern. Da er schon so oft gelogen hat, glaube ich jedoch nicht, dass er dieses Versprechen halten wird. Vermutlich wird er verhaftet werden, außer Landes befördert oder fliehen. Das sind alles keine guten Lösungen, aber sie könnten verhindern, dass er gewalttätig wird und dass er damit auch nicht mehr drohen kann. Das ist alles, was ich von ihm will. Ich hasse ihn nicht, ich habe sogar zärtliche Gefühle für ihn. In der Ablehnung von Gewalt bin ich jedoch unbeugsam.

Heimatsuche

Das alles vertieft mein Menschsein, meine Menschlichkeit, vielleicht könnte man es so sagen. Mir fällt das nicht sonderlich auf, aber einige derer, die mich seit Jahren beobachten und begleiten sagen das. Wenn das für unser ganzes Land so sein könnte, dass die Flüchtlinge unsere Menschlichkeit vertiefen, das wäre gut. Die Globalisierung »Draußen vor der Tür« (Wolfgang Borchert) lassen, das geht nicht. Früher oder später haben wir sie drinnen. Ghettoisierung ist keine Lösung. Mich erfreuen die Flüchtlinge überwiegend. Ich lerne von ihnen, ich liebe sie, ich vertiefe mein Menschsein, und ich bevorzuge sie auch nicht gegenüber den Einheimischen, die ja ebenfalls, nur auf andere Art, Flüchtlinge sind und Heimatsuchende.

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen