Der falsche Öko-Fokus

 In Politik, Umwelt/Natur

Der Umweltschutz beschränkt sich aus politischer Sicht zunehmend auf CO2-Reduktion — dies ist Resultat eines Denkens, das sich von der Natur getrennt sieht. Die Temperaturen weltweit steigen und extreme Wetterereignisse, Dürren und Wasserknappheit häufen sich. Schuld daran ist der Klimawandel, verursacht durch steigende CO2-Emissionen. Soweit der allgemeine Konsens. Dass der Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 oder Methan seit Jahrzehnten ansteigt, ist ausreichend dokumentiert (1), Lösungen wie der Ausbau erneuerbarer Energien sind längst gefunden. Doch ist es tatsächlich so einfach? Der Fokus auf dem Temperaturanstieg übersieht, dass die Erde ein komplexes Ökosystem ist, in dem noch viele andere Faktoren entscheidend sind. Wer etwa den Raubbau an der Natur und das Artensterben „übersieht“, riskiert, in seinem Kampf für das Klima nur Pyrrhussiege zu erringen. Susanne Wolf

 

Falscher Fokus

Bei den Hauptverursachern von CO2-Emissionen (2) steht die Energiewirtschaft an erster Stelle, gefolgt von Industrie und Verkehr. Um diese Emissionen zu reduzieren, wird zu Mitteln gegriffen, die den Schutz der Natur und das Wohl des Menschen zunehmend aus den Augen verlieren: So wird in europäischen Ländern darüber diskutiert, die Atomenergie wieder auszubauen, da Atomkraftwerke vergleichsweise wenig CO2 emittieren. Im Februar 2022 beschloss die EU (3), dass neue Gas- und Atomkraftwerke in der Europäischen Union unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich gelten sollen.

E-Autos gelten als angeblich nachhaltige Alternative zum Verbrennungsmotor, wodurch jedoch ein Übel durch ein anderes ersetzt wird (4). CO2-Reduktion wird als Hauptargument zur Verringerung des Fleischkonsums genannt — wobei die schrecklichen Bedingungen in der Massentierhaltung (5) oder die gravierenden ökologischen Auswirkungen zur Nebensache werden. Dazu kommen umstrittene Lösungen zur CO2-Reduktion wie Geoengineering (6).

Um COCO2-Emissionen zu reduzieren, sind die Bürger aufgerufen, in ihrem Alltag auf einen klimaschonenden Konsum und Lebensstil zu achten. Maßnahmen wie eine CO2-Steuer oder ein Klimabonus wie in Österreich zielen darauf ab, „Klimasünder“ zu bestrafen und jene zu belohnen, die es „richtig“ machen. Zunehmend in den Hintergrund gerät dabei der Fakt, dass der Durchschnittsbürger und -konsument nur einen kleinen Teil zu den Treibhausgasen beiträgt und die Hauptverursacher — siehe oben — zu wenig in die Pflicht genommen werden.

Ökosystem Erde

2019 erschien eine Studie (7) der UN-Organisation Intergovernmental Science-Policy Platform On Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES). Der Bericht umfasst 8.000 Seiten, mehr als 500 Experten in 50 Ländern waren daran beteiligt. Die zentralen Erkenntnisse der Studie lauten:

Die Menschheit verbraucht natürliche Ressourcen in einer Geschwindigkeit, die weit über die Fähigkeit der Erde zur Selbsterneuerung hinausgeht. Zehntausende von Arten sind vom Aussterben bedroht.Die Fähigkeit der Natur, Nahrung und Wasser für die wachsende Bevölkerung zur Verfügung zu stellen, ist in jeder Region der Erde gefährdet.Der Klimawandel ist nur ein Teil des Problems, das die Verfasser der oben genannten Studie skizzieren.

Der fast ausschließliche Fokus auf CO2 lässt außer Acht, dass die Erde ein komplexes Ökosystem bildet, das die Menschen zunehmend schädigen. Abholzung von Wäldern, Übersäuerung der Meere (8), Verlust von Biodiversität — alles spielt zusammen.

Schuld daran trägt ein Wirtschaftssystem, das grenzenloses Wachstum predigt, um jeden Preis. Ein neoliberal geprägtes System, das Mensch und Natur gnadenlos ausbeutet, in dem Leistungs- und Ellbogendenken vor ein soziales Miteinander gestellt wird. Viele einzelne Teile greifen in diesem System ineinander: Wirtschaft und Finanzwesen, Ernährung und Landwirtschaft, Energie, Mobilität, Konsum.

Die Abholzung von Amazonas-Regenwäldern für Sojaplantagen etwa, die Tierfutter für Europa liefern (9), ist nur ein Beispiel für die Auswüchse dieses Systems. Der Raubbau an der Natur für unsere Konsumgüter ein weiteres.

Charles Eisenstein (10), Autor des Buches Klima: eine neue Perspektive, schreibt:

„Ein Gutteil der Klimazerrüttung, die wir Treibhausgasen zuschreiben, rührt in Wirklichkeit von der direkten Störung von Ökosystemen her. So geht das seit Jahrtausenden: Zu Dürren und Wüstenbildung kam es überall dort, wo die Menschen Wälder abgeholzt und den Boden der Erosion ausgesetzt haben.“

Als Beispiel für die Paradoxie im Zusammenhang mit CO2 nennt Eisenstein den Bau des Tehri-Staudammes am indischen Fluss Bhilangana, durch den ursprüngliche Ökosysteme und alte Bauernhöfe überschwemmt wurden. Hunderttausende Dorfbewohner mussten zwangsumgesiedelt werden. Das Projekt wurde für seinen Beitrag zur Reduzierung von Treibhausgasen angepriesen und scheint auf den ersten Blick seinen Zweck zu erfüllen. Doch bei genauerer Betrachtung sieht die Sache anders aus: Die traditionelle Landwirtschaft der vertriebenen Bauern hatte den Nebeneffekt, CO2 im Boden zu binden. Dazu kommt, „dass die neu urbanisierten Dorfbewohner wahrscheinlich bald einen Lebensstil angenommen haben werden, der mehr Kohlenstoff verbraucht“, schreibt Eisenstein.

Naturverbundenheit statt Landverbrauch

Eisenstein spielt auf die Rolle der industriellen Landwirtschaft an — nicht nur bei CO2-Emissionen, sondern auch bei der Zerstörung von Ökosystemen. Monokulturen erfordern den massiven Einsatz von chemischen Düngemitteln und Pestiziden (11). Durch Massentierhaltung landen Abfallprodukte wie Gülle im Grundwasser, in Flüssen, Seen und Meeren. Der darin enthaltene Stickstoff kann das Ökosystem umkippen lassen (12).

Andere Wege geht die Permakultur: Der Begriff stammt aus Australien und bedeutet so viel wie „dauerhafte Landwirtschaft“. „Landwirtschaft bedeutet, dass wir Land bewirtschaften müssen, nicht Land verbrauchen, wie die Agrarindustrie das tut“, sagt Permakultur-Bauer Josef Holzer (13).

Er nennt als Beispiel in Südamerika angebautes Soja, „das in einer Fabrikhalle in Europa zu Schweinefleisch zusammengebaut wird“. Holzer betreibt den Krameterhof, einen Vorzeigebetrieb für Permakultur im österreichischen Salzburg. „Permakultur heißt: Arbeiten mit der Natur, nicht gegen sie“, erklärt der Land- und Forstwirt (14). Das bedeutet in der Praxis: keine Pestizide oder synthetischen Düngemittel, dafür kreative Lösungen. So gibt es am Krameterhof „Mini-Schweine“, die für den Schutz der Legehennen zuständig sind, damit diese nicht leichte Beute für Habicht und Bussard sind. Die Hühner wiederum dürfen vor dem Gemüseanbau und nach dessen Ernte aufs Feld, um sich an Schnecken und anderen Schädlingen gütlich zu tun.

Historisch betrachtet haben Permakultur und Biolandwirtschaft dieselben Wurzeln, Permakultur ist jedoch zugleich eine Lebensphilosophie und ein ganzheitlicher Denkansatz. Da wie dort geht es darum, Böden und Wälder zu schützen, Ressourcen zu schonen und Artenvielfalt zu erhalten.

„In der herkömmlichen Landwirtschaft werden die Böden ruiniert, indem Wasser abgeleitet wird“, kritisiert Holzer. „Gesunde, natürlich bewachsene Böden, die Wasser speichern können, tragen jedoch zur Kühlung bei.“ Wichtig sei es zudem, Humus im Boden aufzubauen und auf diese Weise CO2 zu speichern. „Der Klimawandel zeigt die Schwachstellen unseres landwirtschaftlichen Systems auf, in dem über Jahrzehnte hinweg Kulturlandschaften degradiert wurden“, ist Holzer überzeugt. „Wenn nun Vertreter der Landwirtschaft behaupteten, der Klimwandel sei an allen Problemen schuld, machten sie es sich aus seiner Sicht zu leicht:

„Da werden eigene Fehler vertuscht, die seit Jahrzehnten bekannt waren. Aber man hat halt so weitergemacht, weil es wirtschaftlich rentabel war.“

Ganzheitliche Lösungen

Die CO2-Debatte klammert aus, dass wir nicht weitermachen können wie bisher. Neben Alternativen zur herkömmlichen Landwirtschaft braucht es Lösungen wie die Kreislaufwirtschaft (15), um Produktion und Konsum zu reduzieren. Statt des wachsenden Individualverkehrs — jedes Auto verbraucht schon bei der Produktion Ressourcen — gilt es, den öffentlichen Verkehr auszubauen und Alternativen wie Carsharing zu fördern. Anders gesagt: Es wird nicht ausreichen, CO2-Emissionen zu reduzieren, solange weiterhin Natur und Tierwelt ausgebeutet werden. Wenn unser Planet ein lebenswerter Ort bleiben soll, müssen wir die Artenvielfalt erhalten, Wälder und Meere schützen, die Bodenversiegelung stoppen.

Charles Eisenstein stellt in seinem Buch „Klima. Eine neue Perspektive“ die Frage:

„Wäre es nicht bequem, alles auf den Ausstoß von Treibhausgasen zu schieben und unsere materielle Kultur wie bisher weiterzuführen, nur mit erneuerbaren Energien?“

Quellen und Anmerkungen:

(1) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/37187/umfrage/der-weltweite-co2-ausstoss-seit-1751/
(2) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167957/umfrage/verteilung-der-co-emissionen-weltweit-nach-bereich/
(3) https://finance.ec.europa.eu/publications/eu-taxonomy-complementary-climate-delegated-act-accelerate-decarbonisation_en
(4) https://www.greenpeace.de/klimaschutz/mobilitaet/stehts-e-auto
(5) https://www.tierschutzbund.de/information/hintergrund/landwirtschaft/was-ist-massentierhaltung/
(6) https://www.umweltbundesamt.de/themen/nachhaltigkeit-strategien-internationales/umweltrecht/umweltvoelkerrecht/geoengineering-governance#wirksamer-klimaschutz-oder-grossenwahn
(7) https://www.de-ipbes.de/de/Massiver-Verlust-von-Biodiversitat-Globaler-IPBES-Bericht-in-Paris-vorgestellt-1908.html
(8) https://utopia.de/versauerung-der-meere-co2-klimawandel-ozeane-179721/
(9) https://www.peta.de/themen/soja-regenwald/
(10) https://charleseisenstein.org/
(11) https://utopia.de/ratgeber/konventionelle-landwirtschaft-kennzeichen-und-nachteile/
(12) https://www.regenwald-schuetzen.org/verbrauchertipps/soja-und-fleischkonsum/die-komplexen-folgen-der-massentierhaltung/
(13) https://krameterhof.at/ueber-uns/interview-mit-josef-holzer/
(14) https://krameterhof.at/permakultur/a-permanent-agriculture/
(15) https://utopia.de/ratgeber/kreislaufwirtschaft-das-steckt-dahinter/

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Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuerst erschienen ist.

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