Die Gebärde der Integration
Ist Meinung A richtig oder Meinung B? Sollte ich besser den einen oder den anderen Weg beschreiten? Manchmal fühlen wir so zerrissen und entscheidungsunfähig, dass wir nicht vorwärts kommen. Dabei hat dieses “Sowohl-als-auch”-Gefühl durchaus auch sein Gutes. Wir könnten es als Aufforderung verstehen, beide “Hälften” der Wahrheit zu integrieren, weil sie nur zusammen die größere Weisheit repräsentieren. Zu diesem “Sowohl-als-auch”, diesem Hin und Her zwischen zwei Möglichkeiten gibt es auch eine Gebärde. Sie gehört zu einem System von sechs “Urgebärden”, mit denen Menschen grundlegende Erfahrungen körperlich darstellen und auf diese Weise spirituell tatsächlich “weiterkommen” können. Die Autorin führte den Gebärdentanz ausgerechnet in einer leeren Kirche auf. Nicht jeder geistliche Ordnungshüter wäre damit einverstanden gewesen. Dabei hat etwas Belebung sicherlich gerade den stagnierenden Formen konventioneller Religionsausübung gutgetan. Monika Herz
Ich lese gerade ein Buch, da heißt es:
- In den meisten Fällen geht es ums Recht-Haben
- Jede Handlung – manche sagen, auch jedes Wort und sogar jeder Gedanke – hat Konsequenzen
- Es gibt keine Trennung. Weder in Freund und Feind, noch in gut und schlecht. Wir haben alle das gleiche Selbst
- Dass eine Kommunikation echte Kommunikation war, erkennt man daran, dass danach Liebe und friedliches Sein und Tun einkehrt
Ich finde, da ist was dran. Und ich finde auch, dass ich in den meisten Fällen Recht habe 😉
Nebenbei werfe ich Orakelsteine und höre:
Lerne, Deinen Zorn als konstruktive Kraft in Verbindung mit Weisheit auszudrücken, dann kannst Du selbst scheinbar unüberwindbare Hindernisse bezwingen, ohne auf Beistand angewiesen zu sein…
Wer das glaubt, wird selig! Zorn in konstruktive Kraft verwandeln – gut und schön. Bloß wie geht das? Zorn in Worten ausdrücken? Oder in Gesten und Gebärden? Und dabei spüren, wie der Zorn sich in Fröhlichkeit verwandelt und nebenher auch noch was Neues in die Welt bringen. Mit Gesten und Gebärden. Die sechs Ur-Gebärden hab ich ja letztes Mal schon vorgestellt.
Die 1. Gebärde: Auf ein Ziel gerichtet
Die 2. Gebärde: Offen und empfänglich
Die 3. Gebärde: Abgrenzend und/oder hinaus schleudernd
Die 4. Gebärde: In sich zurück gezogen
Die 5. Gebärde: Ja oder Nein? Hier oder Dort? Entweder – Oder?
Die 6. Gebärde: So wie es ist, so ist es.
Heute geht es mir um die fünfte Gebärde. Weil ich finde, die ist besonders schwierig.
Diese fünfte Gebärde hat etwas mit Weisheit zu tun, heißt es. Mit unterscheidender Weisheit. Es gibt noch andere Arten von Weisheit, zum Beispiel die durchdringende Weisheit, die unterscheidende Weisheit ist aber auf jeden Fall ziemlich wichtig. Diese Art von Weisheit unterscheidet sogar bezüglich der Weisheit selbst. Das heißt, sie kann unterscheiden zwischen gewöhnlicher, konventionelle Weisheit und einer letztlichen, absoluten Weisheit. Also immerhin.
In manchen Lehrgebäuden des Buddhismus wird auch unterschieden zwischen Weisheit und Wahrheit. Was ist der Unterschied zwischen Weisheit und Wahrheit? Weisheit kann Wahrheit erkennen – vielleicht. Und Weisheit spiegelt die Wahrheit. Mit dieser fünften Gebärde kann der eigene Körper auch Wahrheiten entdecken. Durch die innewohnende Intelligenz des Körpers, die zunächst keine Worte hat.
Mit der fünften Gebärde könnte man auch erforschen, wie die Unterscheidung zwischen zwei Wirklichkeiten sich gestaltet. Wie die eine Wirklichkeit sich von der anderen Wirklichkeit unterscheidet.
Aber: Wer will das schon wissen?
Wir waren ja kürzlich in Zwiesel im Bayrischen Wald und besuchten den neugotischen Dom. Dort erhielt ich völlig überraschend den Auftrag der Göttin Hathor, vor dem Taufbecken zu tanzen. Anders als bei den Gebärden-Tänzen vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe, hatte ich beim Betreten des Ortes keinerlei Absichten gehabt, in diesem Dom einen Gebärden-Tanz zu präsentieren. Weil die Göttin sich dieses Mal erst unmittelbar vor der eigentlichen Tat bei mir Gehör verschaffte. Ich war in die Atmosphäre des Domes eingetaucht, und urplötzlich war dieser Auftrag da!
Ich bat Roland, zu filmen. Er hatte zunächst Bedenken, aber wenn die Kunst ruft, wie soll ein Künstler sich verweigern? Das geht gar nicht. Hier ist also der Tanz.
Zum Glück hatte ich das handy dabei und konnte dazu Musik hören: Odonato von Yaima:
https://www.youtube.com/watch?v=vgR9oc5kgA0
Ich habe – noch – keine Ahnung, was die Göttin mitteilen wollte. Nur diese lang andauernde 5. Gebärde ist mir noch gut in Erinnerung. Ich tanze ja quasi nicht selber, sondern lasse mich von den Gebärden tanzen und da war eine längere Phase der 5. Gebärde. Die 5. Gebärde, das ist die archetypische Aussage: Ich weiß nicht, ob hierhin oder dorthin, ob dies oder jenes, links oder rechts, ob entweder – oder. Oder ob lieber sowohl als auch? In der 5. Gebärde kommt dann die innere Zerrissenheit oder Ratlosigkeit zum Ausdruck. Das war irgendwie anstrengend, obwohl es im Tanz nur knapp eine halbe Minute dauerte. Ungefähr von Minute 1.55 bis 2.22. Mir kam es sehr lang vor. Aber was ist das eigentlich genau, die Zeit? Eine halbe Minute: Lange Zeit oder kurze Zeit?
Wie das wohl ist, wenn so ein Zustand, dieses Nicht-Wissen wohin, länger anhält. Wieviel Kraft das wohl kostet? In meinem Tanz komme ich schier außer Atem, und die Bewegung kommt dann nach dieser langen halben Minute zur Ruhe in der 6. Gebärde. In diesem: Es ist, wie es ist. Im Ankommen in diesem Augenblick.
Der Tanz hat danach auch was Kokettes, was gar nicht so recht in eine Kirche passen will. Was wollte die Göttin nur sagen? Erinnert sie an die Pussy Riot-Affäre in Russand, wo Sängerinnen verhaftet und verurteilt wurden, weil sie in einer Moskauer Kathedrale Gott mit Rockmusik angefleht hatten, Russland von Putin zu befreien? Die drei Künstlerinnen wurden wegen grober Verletzung der Öffentlichen Ordnung verurteilt. Der Patriarch der Orthodoxen Kirche verurteilte die Kunstaktion als Verhöhnung und Angriff auf die Kirche, und zehntausende Gläubige demonstrierten zum Zeichen Ihrer Verbundenheit mit der Kirche gegen die Kunstaktion. Im Jahr 2012 war das. Allerdings unterzeichneten auch Tausende Gläubige einen Brief, in dem sie sich gegen eine Bestrafung der KünstlerInnen wandten. Tatsächlich saßen die Frauen dann fast zwei Jahre im Gefängnis.
Vielleicht hatte ich Glück? Weil nämlich – außer Roland, dem Filmer – niemand da war, der gesehen hätte, dass hier eine stumme Aufforderung der uralten Göttin mit den Kuh-Hörnern, Hathor, erfolgt war. Eine Aufforderung? Wozu wollte die Göttin denn auffordern? Was wollte die Göttin denn sagen? Oder wollte sie etwa einfach nur mit dem jüngeren christlichen Gott tanzen? Vor den Augen des Gekreuzigten, wie man sieht? Was schreib ich denn da?
Komischerweise habe ich gar keine Angst. Ich glaube nicht, dass ich in Deutschland wegen Gotteslästerung angeklagt werde, nur weil ich in einer Kirche einen Gebärden-Tanz aufgeführt hab. Das ist doch ziemlich unwahrscheinlich. Aber was, wenn das plötzlich alle täten?
Komisch. Auch bei dem allerersten Filmchen, damals 2019 hinter dem Bundesverfassungsgericht, hier
https://www.youtube.com/watch?v=uwDM3VlFaYo
bei dem spooky Film, wo auch noch zufällig die Glocken läuten: Da hab ich auch schon die Assoziation von Gefangenen gehabt. Allerdings dachte ich bei der späteren Betrachtung des Films an die Gefangenen von Guantanamo. Da gibt es doch dieses Foto von Guantanamo, wo die Gefangenen diese Masken vor dem Gesicht haben und die Kopfhörer auf. So wie ich beim Tanz. Allerdings sind die Gefangenen gefesselt, können sich nicht bewegen und tragen rote Plastikanzüge, in denen sie vermutlich grauenhaft schwitzen, während ihnen in unerträglicher Lautstärke schreckliche Töne in die Ohren gepresst werden. Das nennt man Folter.
Will die Göttin mit ihren Aktionen etwa an die Gefangenen erinnern? Kann man mit solchen Aktionen Gefangene befreien? Ach wenn man doch könnte! Und gibt es neben den offenbar grausamsten Formen von Gefangenschaft nicht auch subtile Gefängnisse? Zum Beispiel gesellschaftliche Zwänge. Oder auch, wenn man gefangen ist in den eigenen Gedanken. Was gibt mir die Göttin Hathor nur für Worte ein? Bin das ich, die das denkt, oder werde ich gedacht? Bin das ich selber, die atmet, oder werde ich geatmet? Bin das ich selber, die hier Dinge tut und folge ich etwa einem Plan, den ich nicht kenne? Dem Plan von etwas viel Größerem vielleicht.
Habe ich überhaupt die Göttin Hathor schon vorgestellt? In einem anderen Artikel hab ich es bestimmt schon getan. Hathor, das ist eine uralte Göttin. Sie wurde vor langer Zeit, also vor vielleicht 5000 Jahren in Ägypten verehrt. Man erkennt sie an den schönen langen Hörnern, die sie als Kopfschmuck trägt wie eine Kuh. Und die Sonne strahlt genau zwischen den beiden Hörnern über ihrem Haupt. So schaut sie aus auf den alten Bildern und Statuen. Sie ist eine Göttin der Fülle und der Fruchtbarkeit, heißt es. Und in meiner Wirklichkeit spricht eben diese Hathor mit mir und beauftragt mich mit diesen Tänzen.
Ehrlich gesagt, ich weiß auch nicht, wohin das führen soll. Ich tu es einfach.
Der Dom mit seiner ruhigen und angenehm kühlen Atmosphäre hat dem Medium der Göttin Hathor sichtlich wohlgetan und hat damit auch seinen “Zweck”, sein Anliegen erfüllt: ein Rahmen für Menschen zu sein, die nach sich suchen.
Und aus diesem Grunde muss auch keine Angst vor Verhaftung vorliegen – so wie in unserer derzeitigen Gesellschaft in Deutschland keine Angst vor Verhaftung vorliegen muss, solange man sich an einfache gesellschaftliche Grundregeln hält – jedenfalls ist das meine Erfahrungshorizont.
Der Auftritt der Pussy-Riots in einer orthodoxen russischen Kirche, war allerdings kein persönlicher Selbstentdeckungsprozess, sondern Teil einer von l a n g e r (auch ausländischer) Hand unterstützter und genährter Bewegung, die sich in die inneren Angelegenheiten eines Landes eingemischt hat, um dort selbst an Macht zu gewinnen, indem sie den damaligen und derzeitigen Machthaber Putin zu stürzen versuchte. Abgesehen davon, dass ich solche verlogenen Hinterhältigkeiten sehr schlecht finde, finde ich es auch falsch, die heiligen Räume einer sehr alten “Institution”, die dem russischem Volk einen Teil seiner Seele bewahrte und begründete, durch eine völlige Missachtung der darin üblichen Regeln, zu missbrauchen. Sie hätten ihre Aufführungen ja auch auf dem Roten Platz machen können … Abgesehen davon glaube ich auch nicht, dass Nacktheit an sich in Russland verpönt ist ….