Die Waffen nieder!

 In FEATURED, Friedenspolitik

Die Kriegslogik kennt nur Kapitulation oder Gegengewalt — ziviler Widerstand kann hierzu eine praktikable Alternative darstellen. Russlands Angriff wird vielfach verurteilt, die militärische Gegenwehr der Ukraine gilt dagegen als alternativlos. Ebenso werden die Waffenlieferungen westlicher Länder kaum infrage gestellt. Auf diese Weise zieht sich der Krieg in die Länge, nach wie vor sterben Tausende auf beiden Seiten. Was aber sollten die Ukrainer sonst tun — sich widerstandslos von russischen Soldaten überrennen lassen? Die Alternative zwischen brutaler, militärischer Verteidigung und „feiger“ Resignation ist fest in unseren Köpfen verankert. Eine andere Möglichkeit kennen wir nicht, weil wir nie über eine solche informiert wurden. Der Grundirrtum besteht in der Annahme, Besatzer müssten entweder getötet oder es müsse ihnen bedingungslos gehorcht werden. Damit passt sich das Land, das überfallen wird, aber in gewisser Weise an das Niveau der Angreifer an. Auge um Auge. Dabei gibt es erfolgreiche Beispiele gewaltfreien, zivilen Widerstands in der Geschichte. Dieser schont Menschenleben und erreicht, wenn es gut läuft, seine Ziele mindestens so gut, wie es Kriegshandlungen könnten. Ukrainische Pazifisten versuchen, einen Ausweg aus der Eskalationsspirale aufzuzeigen. Heinrich Frei

 

„Die Waffen nieder“, würde Bertha von Suttner zum Krieg in der Ukraine sagen: „Keine Waffen, keine Söldner und junge Männer in die Ukraine schicken.“ Bertha von Suttner lebte von 1843 bis 1914. Sie erhielt 1905 den Friedensnobelpreis (1).

In der russischen Nachrichtensendung Wremja erschien am 15. März 2022 plötzlich eine Frau, Marina Owsiannikowa, mit einem Protestplakat: „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen. Russen sind gegen Krieg.“

Ziviler Widerstand — eine Alternative zur Gewaltlogik

Ich wurde am 14. März zu einer Zoom-Konferenz eingeladen zum Thema: „Ziviler Widerstand — eine Alternative zur Gewaltlogik“. Der Mann, der mir die Einladung schickte, meinte:

„Ich persönlich sehe zwar im Moment keine Alternative zur Lieferung von Rüstungsgütern (an die Ukraine). Es gilt doch jetzt, einfach die Aggression sofort zu stoppen, die so viel unendliches Leid und Tränen von unschuldigen Menschen — und in der Folge auch Hass — verursacht!“

In der Einladung zu der Zoom-Konferenz stand:

„Es ist Krieg. Die (deutsche) Bundesregierung hat ihre Rüstungspolitik fundamental geändert. Rüstungsgüter werden in die Ukraine geliefert und der Rüstungsetat wurde um 100 Milliarden Euro aufgestockt. Das scheint alternativlos und vernünftig zu sein. Ist es das auch?“

Die Ukraine brennt.

„Soll man dieses Haus, das in Flammen steht, mit Benzin, mit der Lieferung von Waffen löschen? Sollen die Ukrainer sich zu Tode verteidigen, zusammen mit Söldnern und jungen Männern aus dem Ausland das Blutvergießen verlängern?“

In der Berichterstattung wird die ausländische Einmischung vor dem Krieg in der Ukraine eher selten kritisch kommentiert. Immerhin stand kürzlich folgendes im Zürcher Tagesanzeiger:

„Bekannt ist, dass die CIA im amerikanischen Bundesstaat North Carolina einen Stützpunkt hat, wo sie ihre Offiziere ausbildet. Seit 2015 trainiert die CIA dort auch kleine Gruppen von Ukrainern für paramilitärische Operationen“ (2).

Auch auf der Internetplattform InfoSperber konnte sich der ehemalige Journalist des Schweizer Fernsehens, Helmut Scheben, kritisch zu der Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine äußern. Er veröffentlichte auf InfoSperber am 16. März 2022 zur Berichterstattung über diesen Krieg folgenden Text: „Die Medien und die Ukraine: Simplifizieren als Geschäftsmodell“ (3).

Sehr wichtig wäre, zur Kenntnis zu nehmen, was Jacques Baud zu den Hintergründen des Kriegs in der Ukraine zu sagen hat. Am 15. März 2022 veröffentlichte die Zeitschrift Zeitgeschehen im Fokus ein Interview mit Jacques Baud zu den historischen, politischen und wirtschaftlichen Hintergründen des Ukraine-Krieges: „Die Politik der USA war es immer, zu verhindern, dass Deutschland und Russland enger zusammenarbeiten.“ Jacques Baud spricht auch russisch (4).

Jacques Baud war Oberst in der Schweizer Armee, arbeitete für den Schweizerischen Strategischen Nachrichtendienst. Er leitete auch das UNO-Departement für friedenserhaltene Operationen in New York und arbeitete als Delegierter der Schweiz bei der Nato. Baud verfasste 2016 das Buch „Terrorisme, mensonges politiques et stratégies fatales de l’occident“ (Terrorismus, politische Lügen und die fatale Strategie des Westens) (5).

Bis zum 16. März 2022 sollen bereits über 3 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen sein. 1956, nach der Invasion der Sowjetunion in Ungarn verließen 200.000 Personen das Land. Der Volksaufstand in Ungarn forderte 1956 2500 bis 3000 Tote. 1968, nach dem Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in der Tschechoslowakei verließen auch etwa 200.000 Menschen das Land.

In der Tschechoslowakei wurde vor allem ziviler Widerstand gegen die Besatzer geleistet, was weniger Opfer forderte als in Ungarn. Im Zeitraum von August bis Dezember 1968 kamen aufgrund der militärischen Intervention 137 tschechoslowakische Staatsbürger ums Leben. Wie viele Opfer hätten „Ungarn 1956“ und „Tschechoslowakei 1968“ wohl gefordert, wenn — wie jetzt im Krieg in der Ukraine — vom Ausland riesige Mengen Waffen geliefert worden wären und ausländische Kämpfer und Söldner dabei gewesen wären?

Gibt es eine Alternative zu militärischen Lösungen?

Soll sich die Ukraine gegen die Invasion Russlands weiter militärisch verteidigen, falls die eingeleiteten Verhandlungen scheitern?

Gibt es wirklich keine Alternative, als mit der Waffe in der Hand gegen Besatzer zu kämpfen? Ist es richtig, dass jetzt viele Länder der Ukraine für diesen Krieg Waffen liefern und einige es sogar erlauben, dass sich ihre Bürger am Krieg beteiligen?

„Die katholischen Bischöfe in Deutschland halten Waffenlieferungen an die Ukraine für ethisch vertretbar.“ Auch die geplante Stärkung der Bundeswehr sei „grundsätzlich plausibel“, heißt es in einer Erklärung zum Ukrainekrieg (6).

Rainer Schmid: gewaltfreie Alternative eines zivilen Widerstandes

Rainer Schmid, Pfarrer in Aalen, hat die Zoom-Konferenz am 14. März mit einem Referat über die gewaltfreie Alternative eines zivilen Widerstandes eingeleitet, über die Strategien und auch die Erfolgsaussichten solcher Aktionen.

Rainer Schmid war früher Pfarrer in Friedrichshafen. Er war dort nicht mehr „tragbar“, da er sich gegen die Rüstungsproduktion in dieser Stadt am Bodensee stellte, siehe die Dokumentation „Waffen vom Bodensee“ (7).
Warum ziviler Widerstand funktioniert

Rainer Schmid dokumentierte in der Zoom-Konferenz:

„Sicherheit lässt sich mit gewaltlosen Aktionen besser herstellen als mit Militär. Nach militärisch geführten Befreiungskriegen ist die Gefahr auch groß, dass keine demokratischen Verhältnisse erreicht werden können. Pazifisten sind die besseren Realisten.“

Erica Chenoweth zeigte dies 2011 in ihrer Studie „Why Civil Resistance works“ (Warum ziviler Widerstand funktioniert).

In der Präambel der UNESCO-Charta heißt es: „Da Krieg in den Köpfen der Menschen beginnt, muss in den Köpfen der Menschen Vorsorge für den Frieden getroffen werden.“ Aber besonders durch unsere Erziehung zum Gehorsam, durch unsere Schulbildung und Beeinflussung durch die Medien wird leider nicht „Vorsorge für den Frieden“ geschaffen.

„Zur Verteidigung gegen den äußeren und inneren Feind gibt es nur die Armee“, denken wir. Alternativen, wie der gewaltlose Widerstand, sind weitgehend unbekannt. — Je nachdem wo wir aufgewachsen sind und wie wir informiert wurden, haben wir eben unsere Vorstellungen.

Es gibt heute Alternativen zum Vorgehen mit Gewalt, die durchaus erfolgreich sein können, wie es sich 1990 zum Beispiel in Estland, Lettland und Litauen, im Baltikum zeigte, wie man es auf den Philippinen sah. Der Diktator Ferdinand Marcos wurde durch die gewaltlose People Power Revolution abgesetzt (8).

„Gewaltfreier Aufstand — Alternative zum Bürgerkrieg“

Der Berliner Friedensforscher Theodor Ebert verfasste 1972 die Studie „Gewaltfreier Aufstand — Alternative zum Bürgerkrieg“. Ebert war auf dem Baltikum als Berater für ein gewaltloses Vorgehen tätig. Dieses war im Baltikum erfolgreich: 1990 in Estland, Lettland und Litauen.

Der Kampf für die Befreiung und die Unabhängigkeit der baltischen Staaten wurde gewaltlos geführt. Im Zuge der Auflösung des sowjetischen Imperiums, die Gunst der Stunde unter Gorbatschow nutzend, erreichten die Balten ohne Krieg die Unabhängigkeit und den Abzug der Roten Armee.

Nach 50 Jahren Diktatur gelang es gewaltlos, die russische Besatzung zu beenden. Ein gewaltsames Vorgehen der Esten, Litauer und Letten gegen die russischen Besatzer, mit Bomben und Attentaten, hätte sicher eine blutige Reaktion der Roten Armee ausgelöst, wie 1999 in Tschetschenien. Die Sichtweise, ein Regime der Diktatur und der Unterdrückung zu überwinden, sei nur mit Gewalt möglich, stellen auch der friedliche Umbruch in Osteuropa und der Fall der Berliner Mauer in Frage.

Der Berliner Friedensforscher Theodor Ebert sah die soziale Verteidigung als eine vorsichtige Überlebensstrategie in einer, unter anderem durch Atomwaffen, immer stärker bedrohten Welt, die durchaus erfolgreich sein kann.
Erfolge von gewaltlosen Aktionen unter dem Naziregime

Auch unter extremen Diktaturen, in Norwegen und Dänemark sogar unter dem Naziregime, waren gewaltlose Aktionen oft erfolgreicher als Operationen der bewaffneten Résistance in Frankreich oder Jugoslawien. Dazu gibt es eine umfangreiche Literatur, zum Beispiel das Buch „Die gewaltfreie Aktion“ von Gernot Jochheim aus dem Jahr 1984. Diese Studien wären gerade heute in unserer so gewaltgläubigen Zeit des Krieges in der Ukraine und des sogenannten weltweiten Krieges gegen den Terror aktuell.

„Die ukrainische pazifistische Bewegung verurteilt alle Militäraktionen auf Seiten Russlands und der Ukraine im Kontext des aktuellen Konflikts. Wir rufen die Führung beider Staaten und Streitkräfte auf, einen Schritt zurückzutreten und sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Frieden in der Ukraine und auf der ganzen Welt kann nur auf gewaltfreiem Weg erreicht werden.

Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Wir sind daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.“

Die IDK unterstützt in Russland, Belarus und der Ukraine jede:n Kriegsdienstverweigerer:in und Deserteur, Zitate vom 24. Februar 2022 (9).

Quellen und Anmerkungen:

(1) de.wikipedia.org/wiki/Bertha_von_Suttner
(2) Interview mit Geheimdienstexperte — „An Putins Stelle würde ich mich fragen, wer mich verraten hat” | Tages-Anzeiger (tagesanzeiger.ch)
(3) www.infosperber.ch/politik/die-medien-und-die-ukraine-simplifizieren-als-geschaeftsmodell/
(4) Seniora.org — „Die Politik der USA war es immer, zu verhindern, dass Deutschland und Russland enger zusammenarbeiten”
(5) Jacques Baud: Osama Bin Laden und 9/11? Prof. Marc Chesney: 9/11 Insider Deals? Architekten und Ingenieure: Bautechnisches zu 9/11 — IFOR Schweiz — MIR Suisse (ifor-mir.ch)
(6) www.faz.net/aktuell/politik/inland/katholische-bischoefe-waffenlieferungen-an-ukraine-sind-legitim-17867703.html
(7) www.waffenvombodensee.com
(8) en.wikipedia.org/wiki/People_Power_Revolutionz
(9) Internationale der Kriegsdienstgegner*innen e.V., www.idk-info.net

Siehe auch der Text vom 23. Oktober 2013 in der Neuen Rheinischen Zeitung: „Syrien und Tschetschenien zeigen: Militärische Konfliktlösungen sind katastrophal. Gewaltlose Alternativen wären aktuell“, von Heinrich Frei.

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Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuerst erschienen ist.

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