Fähnchen im atomaren Wind

 In FEATURED, Politik, Umwelt/Natur

Deutschland ist zwiegespalten zwischen den Klimazielen und dem Ausstieg aus der Atomkraft. Die „Atomkraft? Nein danke!“-Sticker kleben heute noch auf vielen PKWs. 1986 hatte das Unglück von Tschernobyl der Anti-AKW-Bewegung Rückenwind verschafft. Das Reaktorunglück von Fukushima im Jahr 2011 führte maßgeblich zu einer weitverbreiteten Ablehnung der Atomkraft in der deutschen Bevölkerung. Doch in der neuen Normalität kommt nun zunehmend auch die deutsche Ablehnung der Atomkraft auf den Prüfstand. Aufgrund des Klimawandel-Narrativs und des Ukrainekriegs mit der damit einhergehenden, künstlich geschaffenen Energiekrise wurden die Karten in der Atomfrage neu gemischt. Die BRD hat sich in ein schwer zu lösendes Dilemma hineinmanövriert: Zum einen müht sich das Land übereifrig damit ab, Weltmeister im Klimaschutz zu werden, zum anderen hat es in der letzten Dekade zugleich mit dem für Ende 2022 angestrebten Atomausstieg global einen Sonderweg beschritten. Um ein Dilemma handelt es sich deswegen, weil der Klimaschutz — als integraler Bestandteil internationaler Pläne wie der Agenda 2030 — mit der Nutzung von Kernenergie bewerkstelligt werden soll. Die Atomkraftwerke sind als Brückentechnologien vorgesehen, bis der gesamte — und immer weiter steigende — Strombedarf vollständig durch regenerative Energien gedeckt sein wird. Wann auch immer das der Fall sein mag — hier ergibt sich nun das Kernproblem: Deutschland kann — Stand heute — seine angestrebten Klimaziele ohne die Kernenergie nicht erreichen und wenn doch, dann nur zu dem Preis, dass die flächendeckende und die Wirtschaft am Leben haltende Stromversorgung hierzulande nicht mehr garantiert wäre. Ob Letzteres nicht sogar Teil des Great-Reset-Plans ist, wäre zu fragen. Doch im Kern soll es in der nachfolgenden Betrachtung um das Wendehals-Syndrom deutscher Politik in der Atomfrage gehen. Nicolas Riedl

 

Die Herangehensweise sieht so aus, dass zunächst die beiden Triebfedern des deutschen Atom-Sinneswandels beschrieben werden: das Klimawandel-Narrativ und die künstlich kriegsinduzierte Energiekrise. Anschließend wollen wir uns ansehen, welche Rolle die Kernenergie aus der Perspektive der Reichen und Mächtigen, samt ihrer Stiftungen und Organisationen, spielt. Dem gegenübergestellt werden soll dann der sich daraus ergebende Handlungszwang für die deutsche Politik. Hierbei wollen wir herausarbeiten, wie sehr demokratische Partizipationsmöglichkeiten mittlerweile ausgehöhlt wurden, denn wichtige Entscheidungsbefugnisse sind unlängst an supranationale Organisationen und damit abseits der bürgerlichen Einflusssphäre ausgelagert worden. Auch wollen wir uns anhand des Atom-Beispiels ansehen, wie schnell — wieder einmal — in orwellscher Doppeldenk-Manier ein Narrativ in sein Gegenteil verkehrt werden kann. Worum es bei dieser Betrachtung im Kern nicht gehen soll, ist die Frage, ob Atommeiler — mittlerweile — wirklich sicherer sind als früher und ob diese nun abzulehnen oder zu begrüßen wären.

Ukrainekrieg und künstliche Energiekrise

Im Frühjahr 2022 proklamierte Wirtschaftsminister Robert Habeck, man müsse sich so schnell wie nur irgend möglich von russischen Energielieferungen unabhängig machen. Als dann im Sommer tatsächlich die russischen Gaslieferungen gedrosselt werden, was eigentlich Habecks Ansinnen entsprechen müsste, entrüstet sich dieser darüber. So rät er — nachdem man vor Kurzem noch alle fünf Minuten die Hände waschen sollte — nun zum Schneller-Duschen, um Gas zu sparen.

Für die Stromerzeugung in Deutschland dürfte ein Wegfall russischen Gases nicht unerheblich sein. Um zunächst die Frage zu klären, wie viel Prozent des deutschen Stromverbrauches auf russisches Gas zurückgehen, hier die Antwort: 2021 wurde 15,2 Prozent des Stroms durch Erdgas erzeugt, wovon etwas mehr als die Hälfte — also 8,36 Prozent des Stromverbrauches — aus Russland stammt.

Sollten Ende 2022 außerdem die restlichen drei AKW planmäßig stillgelegt werden, welche 6 Prozent des deutschen Stromkontingents liefern, würde in der Summe durch den Wegfall der Kernkraft und des Gases aus Russland ein Defizit von 14,36 Prozent im Energiehaushalt entstehen. Durch die zunehmende Digitalisierung und den Kult rund um die E-Mobilität dürfte der allgemeine Stromverbrauch jedoch tendenziell ansteigen. Die künstlich erzeugte Energiekrise betrifft folglich nicht „nur“ das Heizen, sondern bis zu einem gewissen Grad auch die Stromversorgung.

Von einer künstlichen Krise kann nebst dem Unwillen zu Verhandlungen mit Russland auch deshalb die Rede sein, da zwischen Deutschland und Russland Langzeitlieferverträge bis 2030 nach dem „Take or Pay“-Prinzip bestehen. Ergo muss Deutschland die vereinbarte Mindestabnahmemenge so oder so bis 2030 bezahlen, unabhängig davon, ob die vereinbarte Gegenleistung angenommen wird oder nicht. Die Knappheit in der Stromerzeugung wäre somit durchaus vermeidbar. An dieser Stelle steht es jedem frei, sich zu überlegen, ob diese Energiekrise — von wem auch immer — gewollt oder das Ergebnis von Stümperhaftigkeit ist. Das Endergebnis bleibt das gleiche: Der einfachen Bevölkerung steht ein Spar-Diktat ins Haus, welches derzeit noch spielerisch mit der Kampagne „Liebe 80 Millionen“ vermittelt, aber bald todernste Realität werden wird. Angepriesen wird das Energiesparen mit der vorgeblichen Notwendigkeit, von anderen Staaten unabhängig zu werden, um unsere „Sicherheit“ und „Freiheit“ zu wahren.

Es bleibt schleierhaft, welche Sicherheit gemeint ist, wenn Politiker hierzulande stoisch einem möglichen Atomkrieg entgegenblicken, während sie sich bei der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken zieren und einen möglichen Stromausfall (Blackout) billigend in Kauf nehmen.

Und bezüglich der Freiheit kann man sich im kommenden Winter zuhause darüber Gedanken machen, was damit gemeint ist, wenn ab 22:00 Uhr wieder die Ausgangssperre greift. „Freiheit“, das soll bekanntlich einer dieser westlichen Werte sein, die man gegenüber Russland verteidigt. Einer der Werte, die Herr Habeck bei seinem Besuch in Katar beurlaubte, als er dort einen Kotau vor dem Handelsminister machte und — letztlich vergebens — Gaslieferungen ersuchte.

Alles in allem werden sich die Energiekrise und die Klima-Drohkulisse die Klinke in die Hand geben. Wenn im Winter 2022/23 erst einmal das exzessive Energiesparen zum Zweck der deutschen Unabhängigkeit erprobt wurde, wird man sehr schnell feststellen, dass man dies analog mit Blick auf den „Klimaschutz“ ebenfalls praktizieren kann.

Das Klimawandel-Narrativ

Das Narrativ des Klimawandels ist die zweite Triebfeder, mit der eine Rückkehr zur Atomenergie als notwendig dargestellt wird. Nun ließe sich einwenden, dass die Erreichung der Klimaziele nicht ausschließlich mit der Kernenergie zusammenhängt. Der Eindruck könnte entstehen, wenn man den Diskurs um den „Klimawandel“ rein aus der deutschen Perspektive betrachtet. Doch im globalen Vergleich beschreitet Deutschland — und teilweise auch noch Japan — einen Sonderweg. Ein Großteil der Industrienationen setzt unentwegt auf Atomkraft und ist im Begriff, diese weiter auszubauen. Der Tenor lautet, dass von AKW zwar eine Gefahr ausginge, diese jedoch in keinem Verhältnis zu den Gefahren eines ungebremsten Klimawandels und dessen Folgen stünde. Atomkraftwerke seien — bis zu welchem Zeitpunkt auch immer — ein notwendiger Übergangsenergielieferant, bis der gesamte Strombedarf über erneuerbare Energien gedeckt sei. Die AKW sicherer zu machen, anstatt sie abzuschaffen, lautet die vielfach geäußerte Divise verschiedener Organisationen und einflussreicher Personen, die wir uns im Folgenden ansehen.

Die globale Rolle der Atomkraft im Kontext des Great Reset

Sehen wir uns nun an, wie sich tonangebende supra- und internationale Organisationen, Philanthropen und Influencer zur Kernenergie äußern.

UN, die 17 Nachhaltigkeitsziele und die Agenda 2030

Die Agenda 2030 der UN gibt den globalen Fahrplan bis zum Ende der aktuellen Dekade vor. Das Global Policy Forum beschreibt diese Agenda wie folgt:

„Am 25. September 2015 verabschiedeten die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen auf einem Gipfeltreffen in New York die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Sie bildet den globalen Rahmen für die Umwelt- und Entwicklungspolitik der kommenden 15 Jahre. Kernstück der Agenda sind die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die SDGs, mit ihren 169 Zielvorgaben. Sie berühren alle Politikbereiche, von der Wirtschafts-, Sozial-, Umwelt- und Finanzpolitik über die Agrar- und Verbraucherpolitik bis hin zu Bereichen wie Verkehr, Städtebau, Bildung und Gesundheit.“

Das siebte der insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele betrifft den Bereich bezahlbare und saubere Energie. Im offiziellen Dokument der Agenda 2030 findet sich nirgendwo der Begriff „Atomkraft“ oder „Kernenergie“. Stattdessen ist unter Punkt sieben immer die Rede von „moderner Energie“. Der Begriff „modern“ ist dabei überaus nichtssagend. Er kann alles und nichts bedeuten, er kann für gänzlich neue Formen der Energiegewinnung stehen wie auch für Atomkraft, die auf moderne Art und Weise sicher und nachhaltig produziert wird.

Die offizielle Deklaration der Agenda 2030 spart mit expliziten Details und windet sich um den Klartext herum. Erst wenn man im Kontext von Atomkraft sucht, wird man fündig. Im Oktober 2021 veröffentlichten mehrere Atom-Lobbys ein Positionspapier, in welchem dargelegt wird, wie die Kernenergie zu den 17 Nachhaltigkeitszielen beitragen würde. Das Logo mit den 17 Zielen ziert das Deckblatt des Papiers und impliziert damit den offiziellen Verbund der Atom-Lobbys mit der Agenda 2030.

Bei besagtem Punkt sieben wird auf dann auf Seite 10 Klartext gesprochen. Atomkraftwerke würden in großen Mengen saubere, nachhaltige und emissionsfreie Energie produzieren und könnten bis zu 80 Jahre laufen. Weil der Energiebedarf weltweit steigen würde — auch zwecks des ersten Nachhaltigkeitsziels der Armutsbekämpfung —, sei der Einsatz von AKW im Prinzip unverzichtbar.

Hier zeigt sich bereits die Wesenheit der Agenda 2030 als trojanisches Pferd globaler Eliten. Was bei den Nachhaltigkeitszielen immer als so grün angepriesen wird, impliziert auch das verstrahlte Grün der Kernenergie.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es naiv wäre, anzunehmen, die UN sei gegenüber elitären Interessen der Hochfinanz immun. Durch das über Jahrzehnte hinweg aufwändig gepflegte Image der UN dürften zwar viele Menschen immer noch den Eindruck haben, die UN stünde im Dienst der Weltbevölkerung; dabei sind die Vereinten Nationen unlängst von elitären Interessenzirkeln unterwandert, wenn sie es nicht schon von Anbeginn an waren (1).

Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA)

Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) als Sonderorganisation der UN hat sich dem Ziel verschrieben, den Beitrag der Kernenergie zum Weltfrieden, Gesundheit und Wohlstand zu mehren und diesen Prozess zu beschleunigen. Sie stellt damit einen zentralen Angelpunkt in der Atomenergiefrage dar.

Bereits wenige Monate nach dem Unglück von Fukushima proklamierte der damalige IAEA-Leiter Yukiya Amano der Katastrophe zum Trotz eine aussichtsreiche Zukunft für die Kernenergie, insbesondere zum Zweck des „Klimaschutzes“. Für den angestrebten Ausstieg Deutschlands zeigte er wenig Verständnis.

Der heutige Leiter der IAEA, Rafael Mariano Grossi, war zum diesjährigen Treffen des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos geladen, wo er sich für den Ausbau der Kernenergie stark machte. Die letzten Jahre haben gezeigt, welche Impulse vom WEF ausgehen, die sich dann in der Realität niederschlagen. Wenn sich dort für Kernenergie ausgesprochen wird, kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass weite Teile der Welt — auch Deutschland? — nach der nuklearen Pfeife des WEF tanzen werden.

Das WEF war in jüngster Zeit nicht das einzige Parkett, auf dem die IAEA sich zum Zweck des Klimaschutzes für den Ausbau der Atomkraft stark machte. Auf der 26. UN-Weltklimakonferenz in Glasgow im Herbst 2021 wurde ebenfalls für Kernenergie geworben, während Grossi sich bereits im Vorfeld in Form einer Videobotschaft mit einem flammenden Plädoyer für diese Energiegewinnung aussprach.

IAEA-Direktor spricht sich im Vorfeld der UN-Klimakonferenz 2021 für die Kernenergie aus

Eine besondere Rolle spielt einer der Geldgeber der IAEA. Wer mag dieser Geldgeber wohl sein? Überlassen wir das Wort Harald Lesch:

„Es gibt ja berühmte Prominente wie Bill Gates (…), die sind der festen Überzeugung: Ohne den Einsatz von neuen Kernreaktoren kommen wir niemals aus der Klimakrise raus.“

Bill Gates

Das war mal wieder klar! Wer, wenn nicht Bill? In seinem Buch „Wie wir die Klima-Katastrophe verhindern“ macht Gates aus seiner Atom-Affinität keinen Hehl:

„Hier mein Plädoyer für Atomkraft in einem einzigen Satz: Sie ist die einzige CO2-freie Energiequelle, die zuverlässig und rund um die Uhr elektrischen Strom liefern kann, zu jeder Jahreszeit und fast überall auf der Welt, und die nachgewiesenermaßen im großen Maßstab funktioniert. (…) Eine Zukunft, in der wir unsere Stromversorgung zu tragbaren Kosten CO2-frei machen könnten, ohne mehr Atomkraft einzusetzen, ist schwer vorstellbar.“ (2)

Zum Thema Sicherheit weiß Bill zu beschwichtigen:

„Es ist kein Geheimnis, dass Kernkraft ihre Probleme hat. (…) Durch menschliches Versagen kann es zu Unfällen kommen. (…) Schlagzeilenträchtige Unfälle (…) haben all diese Risiken ins Rampenlicht gerückt. Es gibt reale Probleme, die zu diesen Katastrophen führten — anstatt uns jedoch an die Arbeit zu machen, diese Probleme zu lösen, haben wir einfach aufgehört, den Fortschritt auf diesem Gebiet voranzutreiben. Stellen Sie sich vor, wir alle hätten uns eines Tages zusammengesetzt und gesagt: ‚Also, Leute, Autos bringen Menschen um. Sie sind gefährlich, Wir müssen aufhören zu fahren und diese Autos aufgeben.‘ Das wäre natürlich völlig lächerlich gewesen, und wir haben das genaue Gegenteil getan — wir haben Autos durch Innovation sicherer gemacht. (…) Durch Atomkraft kommen sehr viel weniger Menschen ums Leben als durch Autos. Und davon abgesehen kommen durch Atomkraft wesentlich weniger Mensch ums Leben als durch jeden der fossilen Brennstoffe.“ (3)

Von der Kernkraft ist der Multimilliardär mindestens genauso begeistert wie von Impfungen, wie sich den Spenden der Bill and Melinda Gates Foundation (BMGF) entnehmen lässt. Der IAEA spendete die Stiftung) zwischen 2014 bis 2018 aufgerundet 1.128.000 US-Dollar zur Erforschung von Lebensmitteln. Der Nuclear Treat Initiative spendete die BMGF zum Zweck der Impfstoffforschung 250.000 US-Dollar, nach Beginn der neuen Normalität im Juli 2020 sogar rund eine Million US-Dollar.

Offenkundig besteht ein Link zwischen Atom-Lobbyismus, Impfstoffentwicklung und Nahrungsmittelforschung, den man auf den ersten Blick nicht vermuten würde.

Freilich haben die beiden letztgenannten Forschungsfelder keinen direkten Bezug zu Atommeilern, sehr wohl aber zu Strahlentechnologien, die sich naturgemäß im Portfolio der genannten Organisationen befinden, die von der BMGF unterstützt werden. Daher sei hier der Vollständigkeit halber in einem ganz kleinen Exkurs darauf verwiesen:

Impfstoff-Forschung: In einem 2018 veröffentlichen IAEA-Report wird ab Seite 31 beziehungsweise PDF-Seite 39 auf das Zusammenspiel von Strahlentechnologie und Impfstoff-Entwicklung verwiesen. Unter anderem geht es um die Prävention von Zoonosen durch die Erforschung und Entwicklung von bestrahlten Impfstoffen. Hier finden die von Gates hochgelobte Strahlentechnologie und die Impfstoff-Entwicklung zusammen.

Nahrungsmittel: Das oben bereits erwähnte Positionspapier mehrerer Atom-Lobby-Organisationen vom Oktober 2021 über den Beitrag der Atomkraft zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele geht folglich auf das zweite der insgesamt 17 Nachhaltigkeitszielen ein: „Zero Hunger“, ergo die Bekämpfung des Welthungers. Auf Seite 5 wird dem Leser des Papiers dargelegt, wie nukleare Technologien dabei helfen sollen, auf Getreidefeldern Schädlinge zu bekämpfen und die Erträge zu erhöhen. Das soll mit der „sterile insect technique“ („Sterile-Insekten-Technik“) erfolgen. Dabei werden die männlichen „Schädlingsinsekten“ per Ionisierender Strahlung sterilisiert, sodass infolge der Paarung die Weibchen unbefruchtete Eier legen, aus denen keine neuen „Schädlinge“ entschlüpfen können. Diese Technik passt ideal in das Vorhaben des Getreidefeldherrn Gates, der sich in den USA die Mehrzahl der Agrarflächen unter den Nagel gerissen und auch außerhalb der USA kräftig in Getreidefelder investiert hat. Um den kleinen Bauern geht es Gates mitnichten.

Gates‘ Vorliebe für Atomkraft erschöpft sich nicht in den — vergleichsweise geringen — Spenden an die Atomlobby und Atom-Organisationen. Er ist auch Chairman of the Board bei Terra Power: A Nuclear Innovation Company.

Darüber hinaus sei noch auf eine besondere Spendengabe der BMGF verwiesen. Im November 2015 gingen 570.000 US-Dollar an das Funk-Format Dinge Erklärt — Kurzgesagt für den Zeitraum bis Dezember 2019. Der Spendenzweck lautete: „Engagement und Kommunikation für eine gesteigerte und effektive globale Gesundheitsforschung und Entwicklungsfinanzierung durch digitales Storytelling.“ Der Finanzierungszeitraum ging mit 49 Monaten wie bereits beschrieben bis Dezember 2019. Über den Einfluss der BMGF auf das Funk-Format nach Ablauf dieser Zeitspanne kann nur spekuliert werden. Doch zumindest erschien erstmalig am 18. November 2020 — und in aktualisierter Fassung am 11. April 2021 — ein Video mit dem Titel „Brauchen wir Atomenergie, um den Klimawandel zu stoppen?“. Die Kernaussage ist dabei ganz im Sinne von Gates. Eine Stelle gibt den Grundtenor an, welchen wir im weiteren Verlauf unserer Beobachtung noch häufiger finden werden:

Brauchen wir Atomenergie, um den Klimawandel zu stoppen? Ab Minute 05:13: „Tatsächlich ist die Bedrohung durch einen Unfall aber viel geringer als die garantierten Folgen des Klimawandels, wenn wir weiter noch mehr fossile Brennstoffe nutzen.“

Hier wird mittels hegelscher Dialektik die Notwendigkeit des Ausbaus von AKW begründet. Man beruft sich auf die Gefahr eines drohenden Klimawandels und die damit verbundene Notwendigkeit, fossile Energieträger wie Kohlekraftwerke einzustellen (These) und bietet dazu die passende Lösung in Form der Atomenergie (Antithese) an, um dadurch zu der Synthese zu gelangen, die da lautet:

Übergangsweise wird die Kernenergie betrieben und weiterentwickelt, so lange, bis die erneuerbaren Energien so weit ausgebaut sind, dass sie den gesamten Strombedarf decken. Wann genau das der Fall sein wird, wird aber offen gehalten.

Zu erkennen ist hierbei abermals das Muster, dass eine an sich unpopuläre Maßnahme mit Verweis auf einen doppelten Ausnahmezustand — den Klimawandel und den Ukrainekrieg — durchgedrückt wird, was unter normalen Umständen nicht möglich wäre.

Dieses Muster zieht sich im Kontext der Klimawandel-Debatte wie ein roter Faden durch die öffentlichen Verlautbarungen internationaler Organisationen, mächtiger Institutionen und Influencer.

Greta Thunberg

Auch die Klima-Influencerin Greta Thunberg ist der Kernenergie nicht vollkommen abgeneigt. Bereits am 17. März 2019 schrieb sie bei Facebook:

„Ich persönlich bin gegen Kernenergie, aber laut dem IPCC kann sie ein kleiner Teil einer großen Lösung für eine kohlefreie Energiegewinnung sein, insbesondere in Ländern und Gebieten, denen es an Möglichkeiten mangelt, großflächig eine Versorgung mit erneuerbarer Energie zu gewährleisten — nichtsdestotrotz ist Kernenergie sehr gefährlich, teuer und zeitaufwendig. Aber greifen wir diese Debatte dann auf, wenn wir anfangen, das große Ganze zu betrachten.“
EU

Im Frühjahr 2022 eröffnete die EU-Kommission, dass sie zukünftig die Atomkraft als nachhaltig einstufen wolle, was den Protest der deutschen Regierung und weniger anderer EU-Mitgliedsstaaten hervorrief. Mitte Juni stimmten die EU-Parlamentsausschüsse für Wirtschaft und Umwelt gegen diese Vorhaben.

Doch davon sollte man sich nicht beirren lassen, da das EU-Parlament mangels Gesetzinitiativrecht der Kommission relativ machtlos gegenübersteht und seine Primärfunktion in der Simulation von Demokratie durch kontrovers geführte Debatten besteht. Letzten Endes segnete Anfang Juli das EU-Parlament das Vorhaben der Kommission ab, sodass Atom- und Gasstrom zukünftig ein Öko-Siegel erhalten können.

Darüber hinaus ändert es nichts an der Tatsache, dass das Gros der EU-Länder — allen voran Frankreich — auf Atomstrom setzt. Hier zeigt sich ganz deutlich der Gegenwind, in welchem sich Deutschland auf dem Themenfeld der Kernenergie befindet.
Atomkraft? Jein, bitte, danke!

Nun wollen wir uns ansehen, wie sich Deutschland zu dem globalen Druck verhält, in eine — zumindest übergangsweise — nukleare, emissionsfreie Zukunft zu gehen. Das atomare Wendehalssyndrom deutscher Politik sollte aber nicht nur im Lichte der aktuellen Ereignisse betrachtet werden, sondern auch in einem zeitlich größeren Kontext, sprich vor dem Hintergrund der Ereignisse von Tschernobyl und Fukushima. Wie sich die Atom-Zustimmungswerte nach Tschernobyl, Fukushima und dem Ukrainekrieg veränderten, zeigt die Grafik von „Tech for Future“:

Meinung zu Kernkraft

Meinung zur Kernkraft in Deutschland seit 1984. Quellen: Institut für Demoskopie Allensbach (2011) & (2021), Forschungsgruppe Wahlen (2022). Grafik: © Florian Blümm, Tech for Future

Von Fukushima bis Putin

Im April 2011 — zwei Monate nach dem Reaktorunglück in Japan — veröffentlichte das Institut für Demoskopie Allensbach ein Arbeitspapier mit dem Titel „Atemberaubende Wende“, in dem die demoskopischen Unterschiede zwischen Tschernobyl und Fukushima im Hinblick auf das öffentliche Meinungsbild herausgearbeitet wurden:

„Mit geradezu atemberaubendem Tempo hat die schwarz-gelbe Koalition unter dem Eindruck von Fukushima und den teils antizipierten, teils faktischen Auswirkungen dieses Ereignisses auf die parteipolitischen Präferenzen eine energiepolitische Kehrtwende vollzogen. Mit der unmittelbaren Stilllegung von sieben Reaktoren und dem Beschluss, den Ausstieg aus der Kernenergie zu forcieren, reagierte die Koalition diesmal völlig anders als die Koalition derselben Couleur 1986 nach Tschernobyl. Dies lässt sich nicht allein mit im Vergleich zu damals veränderten energiepolitischen Optionen, insbesondere der heute deutlich höheren Bedeutung regenerativer Energien, erklären, denn die Optionen sahen im vergangenen Jahr nicht anders aus, als die Koalition mit Überzeugung die Laufzeitverlängerung durchsetzte. Es ist primär eine Neubewertung von Risiken, und zwar nicht nur der Risiken der Kernenergie selbst, sondern der angenommenen politischen Risiken, die sich aus der gesellschaftlichen Akzeptanz der Kernenergie und des bisherigen energiepolitischen Kurses der Regierung ergeben. (…) Vergleicht man die Reaktionen der Bevölkerung auf Fukushima mit den Reaktionen nach Tschernobyl, so gibt es einige bemerkenswerte Unterschiede. Ängste, das Gefühl, persönlich gefährdet zu sein, waren nach Tschernobyl aufgrund der räumlichen Nähe weitaus verbreiteter als diesmal. (…)

Untersuchungen zur Akzeptanz der Kernenergie zeigten immer wieder, dass die gesellschaftliche Akzeptanz keineswegs nur von der Einschätzung ihrer Risiken abhängt, sondern im hohen Maße auch von der Einschätzung ihres Nutzens und ihrer Bedeutung für die Energieversorgung. In den 80er Jahren war die große Mehrheit der Bevölkerung überzeugt, dass die Kernenergie in den nächsten Jahrzehnten mit den größten Beitrag zur Stromversorgung leisten würde. Tschernobyl änderte an dieser Einschätzung nichts. Erst Ende der 90er Jahre, nach dem Regierungswechsel zu einer rot-grünen Koalition, ging die Überzeugung, dass die Kernenergie auf Jahrzehnte eine der tragenden Säulen der Energieversorgung sein wird, auf 40 Prozent zurück.“ (…)

„Trotz der breiten Zustimmung zu dem neuen energiepolitischen Kurs der Regierung ist es ein riskantes Manöver. Die Koalition räumt geradezu fluchtartig Positionen, die sie noch vor einem guten halben Jahr entschlossen verteidigt hatte. Auch wenn die Verteidigung der Kernenergie nicht den Markenkern der CDU/CSU ausmacht, gehörte die Befürwortung der Kernenergie in den letzten Jahrzehnten immer zu ihrem inhaltlichen Profil. Vor der letzten Bundestagswahl stand die Verlängerung der Laufzeiten an der Spitze der Erwartungen, die die Bürger mit einem Regierungswechsel zu einer schwarz-gelben Koalition verbanden. Die Mehrheit der Bevölkerung hatte immer Sympathien für den Ausstiegsbeschluss der rot-grünen Koalition; gleichzeitig bezweifelte die Mehrheit jedoch bisher immer, dass er wie geplant umgesetzt würde. Während der Kontroverse um die Verlängerung der Laufzeiten im letzten Jahr ging die Unterstützung für die CDU/CSU zurück, während die Grünen deutlich zulegten.“

Der Atomausstieg war damit eine politisch unantastbare Sache. Merkel, wenige Wochen vor dem Unglück noch eine strikte Befürworterin, legte nach März 2011 eine 180-Grad-Wende hin und läutete einen Ausstieg aus der Kernkraft ein. Und die Grünen schmissen sich sowieso mächtig ins Zeug. Die „Atomkraft? Nein danke!“-Aufkleber findet man selbst eine Dekade später noch allerorts. Wer sich seit dem Einzug der AfD in den Bundestag 2017 positiv zur Kernenergie äußerte, geriet schnell in den Verdacht, mit ebendieser Partei zu sympathisieren.

Eine Kehrtwende in dieser Frage würde für die Parteien von Links bis CDU/CSU mittlerweile ein Sakrileg bedeuten. Gleichzeitig schicken sich die Parteien der extremen Mitte an, die Weltmeister im Klimaschutz zu werden (4). Mit diesem Widerspruch wird die Regierung nicht mehr lange agieren können. Schon sehr bald wird man sich in Berlin entscheiden müssen, ob man eisern an der Ablehnung der Kernenergie festhält und dafür wiederum die heiligen Klimaziele nicht erreicht – oder aber man opfert die Anti-Atom-Politik der letzten Dekade für die Klimaziele und verliert — nicht nur dort — die eigene Glaubwürdigkeit.

Zehn Jahre nach der Kehrtwende durch Fukushima veröffentlichte das Institut Allensbach ein weiteres Papier mit dem Titel „Die Beurteilung der Kernenergie vor dem Hintergrund der Klimadebatte“. Darin untersuchen die Autoren die demoskopische Kehrtwende in Sachen Atomausstieg und kommen ab Seite 1 zu folgenden Erkenntnissen:

„Angesichts der aktuellen Klimadebatte und dem kürzlich nochmals verschärften Ziel zur Verringerung des CO2-Ausstoßes, ist die Diskussion neu entflammt, ob es tatsächlich sinnvoll ist, bereits 2022 aus der Nutzung der Kernenergie auszusteigen und gleichzeitig weiterhin Strom aus Kohle zu gewinnen. (…) 56 Prozent der Bürger unterstützen aktuell die Energiewende, 25 Prozent halten die damalige Entscheidung für nicht richtig. Der Trendverlauf der letzten gut zehn Jahre zeigt jedoch, dass der Rückhalt für den Ausstiegsbeschluss schwindet: 2012 hielten noch 73 Prozent der Bevölkerung die Entscheidung der damaligen Regierung, aus der Kernenergie auszusteigen, für richtig, 2014 waren es noch 70 Prozent, 2016 65 und 2019 bereits nur noch 60 Prozent. Im gleichen Zeitraum vergrößerte sich der Anteil derer, die den Ausstiegsbeschluss kritisch sehen, von 16 auf 25 Prozent. (…) Überdurchschnittlich groß ist die Unterstützung für den Ausstieg aus der Kernenergie unter Frauen, in den oberen Sozialschichten und vor allem unter Jüngeren und den Anhängern der Grünen. So befürworten 80 Prozent der Anhänger von Bündnis 90/Die Grünen sowie 71 Prozent der 16- bis 29-Jährigen den geplanten Ausstieg aus der Kernenergie. Überdurchschnittlich kritisch bewerten 45- bis 59-Jährige sowie die Anhänger von FDP und AfD den Ausstieg. 43 Prozent der FDP-Anhänger und sogar 49 Prozent der Sympathisanten der AfD sehen den Ausstieg aus der Kernenergie zur Stromerzeugung kritisch. (…) Obgleich der Zeitpunkt für die endgültige Umsetzung des Ausstiegsbeschlusses näher rückt, glaubt unverändert nur eine Minderheit, dass der Beschluss tatsächlich in den vorgesehenen Fristen umgesetzt wird. Die Mehrheit ist seit jeher überzeugt, dass es keinen schnellen Ausstieg aus der Kernenergie geben wird.“

Daraus können wir schließen, dass die Kehrtwende sich schon über die gesamte letzte Dekade abzeichnete und nun mit der „Klimadebatte“ und dem Ukrainekrieg zu einem Kulminationspunkt kommt. Die Autoren des Papiers führen weiter aus:

„Vor dem Hintergrund der aktuellen Klimadebatte und dem nochmals verschärften Ziel, den CO2-Ausstoß in Deutschland bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, ist die Diskussion um den Ausstieg aus der Kernenergie noch einmal neu entbrannt. Da die Energieversorgung derzeit nicht mit erneuerbaren Energien alleine, sondern nur mithilfe von Strom aus Kohleenergie gesichert werden kann, gibt es den Vorschlag, zunächst aus der Kohleenergie auszusteigen und dafür die Kernenergie vorerst weiter zu nutzen. Dieser Vorschlag findet eine bemerkenswert positive Resonanz in der Bevölkerung: Eine relative Mehrheit von 42 Prozent fände es gut, wenn Deutschland bei der Stromerzeugung auf erneuerbare Energien und zusätzlich auch weiterhin auf die Kernenergie setzt, um somit möglichst rasch unabhängig von der Stromgewinnung aus Kohle zu werden. Nur 34 Prozent der Bevölkerung sprechen sich gegen diesen Vorschlag aus. (…) 72 Prozent der Gegner des Ausstiegsbeschlusses fänden es gut, wenn die Kernenergie weiterhin einen Beitrag zum Energiemix liefert. Interessanterweise können sich aber auch knapp ein Drittel der Befürworter des Ausstiegsbeschlusses für diesen Vorschlag erwärmen; auch wenn bei ihnen mit 50 Prozent die ablehnende Haltung überdurchschnittlich hoch ist. Noch weniger Zustimmung findet das Klimaargument unter den Anhängern der Grünen: Von ihnen lehnen 53 Prozent den Vorschlag ab. Umgekehrt zeigen sich die Anhänger der FDP weit überdurchschnittlich offen für die weitere Nutzung der Kernenergie, wenn dadurch ein zeitnaher Ausstieg aus dem Kohlestrom gelingt: 63 Prozent der FDP-Anhänger fänden es gut, wenn Deutschland bei der Stromerzeugung zukünftig auf erneuerbare Energien und zusätzlich wieder auf die Kernenergie setzt.“

Hier zeichnete sich schon 2021 der Zielkonflikt zwischen Klimazielen und Beibehaltung des Atomausstiegs ab.

Der Atom-Comeback-Sommer

Ab Ende Juni 2022 überschlugen sich dann die Entwicklungen in Richtung Rückkehr zur Atomenergie in Deutschland:

EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton übte Druck auf Deutschland aus, es solle „die Ideologie hinter sich lassen“ und die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängern. Der viel gehörte Ökonom Hans-Werner Sinn insistierte Anfang Juni abermals, dass es keine Energiewende ohne Kernenergie geben werde. Im öffentlichen Diskurs wird den Worten Sinns zumeist große Beachtung geschenkt, folglich wiegt seine Aussage schwer.

Am 24. Juni meldet Zeit Online, dass der TÜV keine Bedenken für einen Weiterbetrieb beziehungsweise eine Wiederinbetriebnahme des AKW Isar-2 habe. Dazu gleich mehr. Vier Tage später munkelte Marc Friedrich auf Twitter, dass es laut Insiderinformationen ausgemachte Sache sei, dass Deutschland am Atomnetzwerk bleibe und intern nur noch darüber gestritten würde, wer das der Öffentlichkeit verklickert. Er sollte Recht behalten.

Ende Juli folgte dann schließlich der erste Riss im Tabu-Damm der Kernenergiefrage; im Münchner Stadtrat sprachen sich SPD und — man höre und staune — die Grünen für eine längere Laufzeit des AKW „Isar-2“ bis August 2023 aus. Markus Söder sowie Hubert Aiwanger von den Freien Wählern ging das nicht weit genug. Ersterer forderte einen Weiterbetrieb bis Mitte 2024 und letzterer sogar eine Reaktivierung stillgelegter AKW. Bei den Grünen lautet „Streckbetrieb“ das Zauberwort, das Katrin Göring-Eckhardt Ende Juli in den öffentlichen Diskurs einspeiste. Luisa Neubauer machte den Begriff der Jugend bereits schmackhaft, dabei bezeichnete sie noch im Januar dieses Jahres „grüne Atomkraft“ als einen „lächerlicher Versuch, fossile Energien als Teil der Lösung darzustellen und weiterhin die Klimakatastrophe voranzutreiben“.

Den taufrisch in den Diskursraum geworfenen Begriff „Streckbetrieb“ sollten wir genauer ansehen.

Streckbetrieb

Es ist wieder ein neues Wort — allerdings nicht erneut ein Anglizismus —, das der Bevölkerung vorgesetzt wird. Die Grünen, so auch der Stadtrat München, bedienen sich nun dieses Begriffes. Bei der Begriffserläuterung beruft man sich gerne auf die Definition der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS). Diese hatte den Begriff Anfang Januar 2022 in ihrem Glossar noch gar nicht aufgeführt, wie sich mithilfe der Wayback Machine herausfinden lässt und was indikativ für die Reaktivierung des Begriffs steht.

Die GRS-Definition lautet wie folgt:

„Man kann diesen Prozess des „selbst Abschaltens“ verlangsamen, indem man Maßnahmen ergreift, die die Neutronenbilanz verbessern. Eine sehr wirksame Maßnahme ist die Reduktion der Kühlmitteltemperatur im Reaktor. Da durch die Temperaturreduktion die Dichte des Kühlmittels im Reaktor zunimmt, werden die Neutronen besser abgebremst, wodurch mehr Neutronen für die Spaltung zur Verfügung stehen. Macht man sich diesen Effekt zu Nutze und betreibt den Reaktor über sein natürliches Zyklusende hinaus, spricht man von „Streckbetrieb“.

Kurzum und vereinfacht bedeutet der Streckbetrieb, dass die letzten Reste an Energiepotenzial aus den Brennstäben herausholt werden. Bevor wir uns der Bedeutung und Decodierung dieses — politisierten — Begriffes zuwenden, bleiben wir zunächst bei der Begriffsherkunft. Wie schon erwähnt, führt die GRS die Definition auf ihrer Seite erst seit Kurzem auf. Der Duden hält für uns keine Definition bereit. Durchsucht man die großen Zeitungen Deutschlands, von SZ über FAZ bis zu Zeit Online, taucht der Begriff vor Juni 2022 praktisch nirgends auf. Wir haben es hier wieder mit einem neuen Frame zu tun. Zumindest beinahe. Im Archiv des Spiegels stößt man tatsächlich auf ältere Beiträge zum Thema Streckbetrieb aus dem Jahr 2009 und damit aus der Zeit vor Fukushima. Wir können aus einem Beitrag vom 13. Oktober 2009 für die Gegenwart lernen:

„Der Alt-Meiler Neckarwestheim I gehört eigentlich ins AKW-Museum, doch der Betreiber EnBW sträubt sich gegen das Aus. Interne Unterlagen, die SPIEGEL ONLINE vorliegen, zeigen, wie der Konzern die Laufzeit strecken wollte — und auf eine schwarz-gelbe Atomamnestie nach der Wahl hoffte. (…) ‚Streckbetrieb‘ wird das Vorgehen in den Dokumenten bisweilen genannt — man könnte es auch eine vom Unternehmen selbst verursachte Laufzeitverlängerung nennen. Verschiedenen Kraftwerkbetreibern war in der Vergangenheit vorgeworfen worden, sich mit Reaktordrosselungen und langen Wartungen über die Bundestagswahl retten zu wollen.“

Übertragen wir das einmal auf die Gegenwart. Hinter dem Begriff „Streckbetrieb“ verbirgt sich eine Salami- und Verzögerungstaktik, gewissermaßen ein „Flatten the curve“ der Energiefrage. In der oben bereits verlinkten Stellungnahme der Grünen in München wird beteuert — so wie man jahrzehntelang den Atomausstieg beteuerte —, dass dies nur eine Übergangslösung bis Sommer 2023 sei, dass kein zusätzlicher Atommüll entstünde und eine Neubeschaffung von Brennstäben für eine wahrliche Laufzeitverlängerung logistisch gar nicht möglich sei. Welchen Wert das Wort der Grünen noch hat, sehen wir uns später genauer an, aber wagen wir erst einmal folgende Prognose:

Der Winter wird in Sachen Strom- und Wärmeversorgung eine einzige Katastrophe, die Menschen werden frieren und bibbern oder horrende Summen für Strom und Wärme bezahlen. Bekanntlich kommt nach Brecht erst „das Fressen“ und dann die Moral. Wenn es kalt und teuer wird, werden Grundsätze schneller über Bord geworfen.

Die bekannten Gesichter der Ampel-Koalition werden angesichts massiver Aufstände — die schon jetzt präventiv vor ihrem möglichen Entstehen als „rechts“ geframed werden — als Bauernopfer herhalten müssen. In den darauffolgenden Neuwahlen im Frühling 2023 kann sich die CDU/CSU als Retter in der Energiekrise inszenieren. Als Funktionär des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock geht es Unionspolitiker Friedrich Merz schon jetzt nicht schnell genug damit, zur Atomkraft zurückzukehren. Schon im Februar 2022 erklärte Dirk Schmitz, Chef von BlackRock Deutschland, man werde auch in Atomkraft investieren. Darüber hinaus wird das Energieloch im Winter 2022/23 ausreichen, um den deutschen Mittelstand weitestgehend zu zerstören, sodass sich an deren Stelle große Konzerne niederlassen können. Damit wäre ein wichtiger Schritt im Sinne der Agenda 2030 (5) vollzogen.

Mit Kernenergie entkernt

Nach der Mauer, die niemand zu errichten vorhatte, nach der großen Koalition, die 2017 nicht kommen sollte, nach den Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der Impfpflicht, die allesamt erst als „Falschinformation“ deklariert worden waren, ehe sie real wurden, folgt nun offenkundig die Rückkehr zur Atomenergie. Und das, obwohl von der Union bis zu den Grünen der Atomausstieg beteuert wurde.

Abermals zeigt sich, dass die Wahlversprechen der Parteien nicht das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt sind. Und das hat nichts mit den steigenden Papierpreisen zu tun. Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung, was uns die Ampelparteien zur Bundestagswahl 2021 versprachen.

Im Wahlprogramm der SPD steht auf Seite 8:

„Der Ausstieg aus der Atomenergie ist Ende nächsten Jahres bereits vollzogen. Auch der Kohleausstieg ist beschlossene Sache. Dabei gilt, je schneller der Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien erfolgt und je schneller die nötigen Stromleitungen und Verteilnetze gebaut werden, desto eher kann auf fossile Energieträger verzichtet werden.“

Ebenso schlecht gealtert sind die Versprechen der Grünen. Auf Seite 20 des Wahlprogramms steht:

„Die Vorgaben des Pariser Klimavertrages sowie den Atomausstieg wollen wir im Grundgesetz verankern und Ökologie als weiteres Grundprinzip staatlichen Handelns stärken.“

Da sieht man mal wieder, was die Grünen noch vom Grundgesetz halten.

Die FDP als dritte Partei im Bunde umschiffte scheu eine klare Position und eierte in ihrem Wahlprogramm auf Seite 59 in merkelscher Manier um den heißen Brei herum, wohl um sich Optionen in alle Richtungen offen zu halten:

„Wir Freie Demokraten wollen ein regelmäßiges Monitoring (Stresstest) für Versorgungssicherheit mit Energie und dazu klare Kriterien gesetzlich festschreiben. Denn die sichere und zuverlässige Versorgung mit Strom, Wärme, Kälte und Kraftstoff zu jeder Zeit an jedem Ort hat für uns Priorität. Sie darf durch klima- und energiepolitische Maßnahmen nicht gefährdet werden. Kohle- und Atomausstieg und die zunehmende Einspeisung aus zeit- und wetterabhängig schwankender Wind- und Sonnenenergie stellen unser Energiesystem vor enorme Herausforderungen. Einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderungen können flexible Erzeugungs- und Speichertechnologien leisten.“

Was sich hier wie eine Kompromissfindung liest, wurde dann schlussendlich im Koalitionsvertrag auf Seite 55 und 61 durch eine klare Festlegung ersetzt, die da lautet:

„Am deutschen Atomausstieg halten wir fest. (…) Um den zügigen Zubau gesicherter Leistung anzureizen und den Atom- und Kohleausstieg abzusichern, werden wir in diesem Rahmen bestehende Instrumente evaluieren sowie wettbewerbliche und technologieoffene Kapazitätsmechanismen und Flexibilitäten prüfen.“

Einen gesonderten Blick sollten wir hierbei auf die Grünen werfen, die mit der Kehrtwende in der Atomkraftfrage die letzten Reste ihrer Gründungsseele verkaufen. Während die Partei sich ihre Anti-Kriegspolitik aus den Gründungstagen unlängst amputiert hat, säbelt sie sich nun ihr letztes programmatisches Standbein ab. Es darf nicht vergessen werden, dass die Anti-Atomkraftbewegung ein Teil der Eierschale des Eis darstellte, aus dem die Grünen schlüpften, die sich infolge zum institutionalisierten und später parlamentarischen Arm der Anti-AKW-Bewegung entwickelten. Wie weit sich nun die Grünen auch auf diesem Themenfeld entwurzeln, wird deutlich, wenn wir einen Blick in das erste Bundesprogramm der Grünen von 1980 werfen. Dort steht gleich in der Präambel auf Seite 4:

„Die Zerstörung der Lebens- und Arbeitsgrundlagen und der Abbau demokratischer Rechte haben ein so bedrohliches Ausmaß erreicht, daß es einer grundlegenden Alternative für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bedarf. Deshalb erhob sich spontan eine demokratische Bürgerbewegung. Es bildeten sich Tausende von Bürgerinitiativen, die in machtvollen Demonstrationen gegen den Bau von Atomkraftwerken antreten, weil deren Risiken nicht zu bewältigen sind und weil deren strahlende Abfälle nirgends deponiert werden können.“

Darüber hinaus weisen die Forderung nach einer Entkriminalisierung von Atomkraftgegnern und die Verurteilung von Grundrechtseingriffen erstaunliche Ähnlichkeiten zur heutigen Demokratiebewegung auf. So steht auf Seite 30:

„Die großen Demonstrationen gegen die Atomkraftwerke haben die massiven Beschränkungen der Versammlungsfreiheit und des Demonstrationsrechtes gezeigt, wie sie von den Landesregierungen und der Bundesregierung vorangetrieben werden. Stellvertretend für die gesamte Anti-AKW-Bewegung wurden einzelne Teilnehmer kriminalisiert und sogar zu Gefängnisstrafen verurteilt. Aus Sorge um die grundgesetzlich garantierten Rechte der Versammlungs- und Demonatrationsfreiheit (sic!) fordern die GRÜNEN deshalb: Eine uneingeschränkte Ausübungsmöglichkeit des Versammlungs- und Demonstrationsrechtes, die nicht durch mittelbare oder unmittelbare Eingriffe der Ordnungskräfte behindert wird. Die Abschaffung der absurden Ausführungsbestimmungen zur Einschränkung der Demonstrationsfreiheit durch den Begriff der ‚passiven Waffen‘. Die sofortige Aufhebung aller Urteile gegen Atomkraftgegner und die Einstellung jeglicher Verfolgsmaßnahmen, z. B. von Atomkraftgegnern.“

Auf Seite 10 bis 11 legten die Grünen damals ausführlich dar, dass Atomkraftwerke nicht sicher, sondern unwirtschaftlich und außerdem überflüssig seien, Arbeitsplätze vernichten und die Demokratie, die Grundrechte und generell sämtliches Leben bedrohen würden. Darüber hinaus würde der Export atomarer Anlagen „neue militärische Risiken“ schaffen. Letzteres sollte man sich vor dem Hintergrund der heutigen Kriegslust der Grünen auf der Zunge zergehen lassen. Während heute jedwede in Reichweite gelegene Option der Deeskalation mutwillig in den Wind geschlagen wird, forderten die Grünen damals zu Hochspannungszeiten des Kalten Krieges einen radikalen Atomausstieg und eine Außenpolitik der gegenseitigen Abrüstung. Statt „Kreativität und Pragmatismus“, mit welcher die Olivgrünen heute die Lieferung von schweren Waffen euphemistisch schmücken, forderte man auf Seite 19 des ersten Bundesprogramms:

„Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Friedensordnung mit dem Ziel, alle festgefahrenen Abrüstungsverhandlungen innerhalb und außerhalb der Vereinten Nationen durch konkrete und durchführbare Vorschläge zu Ergebnissen zu bringen. Dazu gehören erste kalkulierte Schritte der BRD, z.B. keine Einführung neuer Waffensysteme. Sofortige Abrüstung weltweit! Die Abrüstung muß dabei im eigenen Land beginnen, und sollte andere Länder veranlassen, ebenfalls abzurüsten. Die einseitige Abrüstung sollte bezwecken, die Friedensbewegung zu stärken, um einer weltweiten Abrüstung, vor allem der USA und der UdSSR, zum Durchbruch zu verhelfen.“

Heute wird angesichts einer vergleichbaren Spannungslage kein Atomausstieg, sondern ein Wiedereinstieg — wenn auch erst zögerlich — gefordert. Und das zweite Bedrohungsszenario, mit dem für eine Wiederinbetriebnahme von AKW argumentiert wird, taucht im damaligen Bundesprogramm kein einziges Mal auf: der Klimawandel.

Die Grünen haben sich wahrlich entkernt. Man könnte sie mit einer Avocado vergleichen. Der Kern ist entnommen, das grüne Fruchtfleisch wurde entweder entfernt, hat die Farbe eines nuklear strahlenden Grüns angenommen oder aber das Grün ist irgendwie braun geworden. Im Großen und Ganzen bleibt nur noch die labbrige Schale. Was ist da ein Versprechen der Grünen noch wert? Ein Versprechen wird dort entweder gebrochen oder ist Teil einer Baerbock-Rede.

Fazit und Ausblick

Vor weniger als einem Jahr riskierte man auf einer Fridays for Future-Demo noch eine dicke Lippe, forderte man dort mit einem Schild die Bekämpfung des Klimawandels mithilfe von Kernenergie. Wenn sich die Kehrtwende in Deutschland weiterhin so schnell vollzieht, dann dauert es wohl nicht lange, bis die ersten hippen Kampagnen auf die — jungen — Menschen losgelassen werden, die ihnen die Atomkraft schmackhaft machen sollen. Vielleicht gibt sich auch der eine oder andere Promi her, um für die Kernenergie zu werben. Rapper Marteria beispielsweise hätte mit seinem Hit „Verstrahlt“ von 2010 schon den passenden Song.

Es erinnert — erneut und zum unzähligen Male — an Orwell, an die Art und Weise, wie in „1984“ das geltende Narrativ im Wahrheitsministerium umgeschrieben wird. Gestern noch war Atomkraft böse, heute ein Klimaretter. Und eine Generation, die durch TikTok nur noch über das kurze Erinnerungsvermögen einer Fliege verfügt, hat vermutlich schon bald vergessen, dass die Kernenergie vor wenigen Monaten noch nicht en vogue, sondern geächtet war.

Als Randnotiz sei neben dem oben skizzierten Sinneswandel der Ampel-Parteien noch auf die widersprüchliche Rolle der Union verwiesen, die 2011 nach einer 180-Grad-Wende den Ausstieg anstieß und die heute als politischer Geisterfahrer wieder in einem Affenzahn in die entgegengesetzte Richtung fährt.

Den politischen Akteuren hierzulande kann nur noch unterstellt werden, ihr Fähnchen in den atomaren Wind zu halten. Affinität für Atomkraft oder Aversion gegen sie sind am Ende dann doch nur Ergebnisse machtpolitischen Kalküls, nicht von Gewissensentscheidungen.

Anhand dieses Lehrstücks können wir nun beobachten, wie schnell und gelenkig der politische Wendehals mittlerweile geworden ist und dass Parteien nur noch austauschbare Hüllen darstellen, die beliebig mit Inhalten gefüllt werden können. Letztendlich ist die Auseinandersetzung mit diesem Themenfeld ein weiterer und zugleich sehr exemplarischer Beleg für die Entmachtung nationaler Souveränität. Wenn supranationale und internationale Organisationen, sich als Philanthropen tarnende Multimilliardäre und Influencer im Rahmen einer globalen Agenda einen anderen Ton vorgeben als den einzelner Länder, stellen die dortigen Parlamente kein Bollwerk mehr dar.

Zum Schluss sollten wir uns — da ein Beibehalten der Kernkraftwerke in Deutschland absehbar ist — einige Fragen stellen, die hier nicht beantwortet, sondern mit auf den Weg gegeben werden sollen:

Werden die Atomkraft-Befürworter des letzten Jahrzehnts bald gesellschaftlich rehabilitiert? Wird man sich bei ihnen entschuldigen und ihnen zugestehen, dass sie — aus der Sicht des Klimawandel-Narratives — missverstandene „Klimaretter“ waren? Wie wird es Menschen ergehen, die Atomkraft weiterhin strikt ablehnen? Werden sie mit einem Stigma belegt — etwa „Atomkraft-Leugner“? — oder kommt es gar dazu, dass sich die Klimabewegung diskursiv kannibalisiert, dass die Klimaschützer sich in Atombefürworter und -gegner spalten und gegenseitig zerfleischen? Wie wird im Herbst der zu erwartende Kurswechsel der Masse präsentiert? Genügen Klimawandel und Putin, um diese Kehrtwende langfristig zu legitimieren? Wie würde sich ein etwaiger Blackout im kommenden Herbst / Winter auf die Zustimmungswerte für die Beibehaltung der AKW auswirken? Wäre es denkbar, dass ein Blackout für dieses Ziel bewusst forciert wird?

Sind generell AKW — so wie allseits beteuert — im Jahr 2022 durch technische Innovationen wirklich so viel sicherer als vor 10, 20 oder 30 Jahren? Sollten AKW mittlerweile wahrhaftig sicherer sein, gilt das dann auch für die restlichen drei AKW in Deutschland? Aufgrund des initiierten Atomausstiegs 2011 wurden teils seit über zehn Jahren keine Sicherheitschecks mehr durchgeführt, die spätestens 2019 fällig gewesen wären. Für den Fall, dass die AKW allen Beteuerungen zum Trotz in etwa so sicher wie die „Impfungen“ sind und es ab 2023 zu einem Unglück kommen sollte — wer haftet? Ab Januar 2023 sind die Betreiber aus der Haftung entlassen. Haftet dann der Bund, ergo die Steuerzahler? Beziehungsweise könnten die etwaigen, dann exorbitant ansteigenden Schadenskosten einer solchen Mega-Katastrophe in das Lastenausgleichsgesetz aufgenommen werden, sodass die Bürger dann im Super-GAU-Fall für ihre verstrahlte Heimat bezahlen müssten? Sollten die AKW in Deutschland trotz mangelnder Kontrolle und eventuell durch umfangreiche Modernisierungen tatsächlich sicherer sein — inwieweit wäre diese neue Sicherheit durch einen konventionellen Krieg auf deutschem Boden noch gegeben? Stellen die weiterhin im Betrieb befindlichen AKW nicht ein ideales Angriffsziel dar, sollte sich der Ukrainekrieg zu einem europäischen, bis nach Deutschland reichenden Flächenbrand ausbreiten? Angenommen, Deutschland bliebe von einem Kriegsgeschehen verschont und das Sicherheitsrisiko durch einen Krieg wäre gebannt — wer kann langfristig gesehen über die nächsten Jahre und Jahrzehnte hinweg die AKW betreiben? Gibt es überhaupt ausreichend qualifiziertes Personal? Wurde in Deutschland überhaupt noch Fachpersonal ausgebildet, wenn man bis vor Kurzem noch davon ausging, das Land würde 2022 aus der Atomkraft aussteigen?

Verfügt die nachfolgende Generation — durch TikTok und Co in ihrer Aufmerksamkeitsspanne erheblich eingeschränkt — überhaupt noch über die geistigen, kognitiven, körperlichen und sozialen Fähigkeiten, also das Verantwortungsbewusstsein, ein AKW sicher zu betreiben, sodass es nicht zu einem GAU kommt? Oder würden sich die AKW langfristig in einen einzigen Sektor 7G verwandeln, in welchem unfähige Kernkraftwerk-Mitarbeiter à la Homer Simpson durch Unfähigkeit und Unachtsamkeit die Atommeiler auf einen GAU zusteuern lassen? Sollte es an qualifiziertem Fachpersonal mangeln — könnte mittlerweile eine KI einen Atommeiler steuern? Und falls ja, wie sicher wäre das? Gibt es mittlerweile eine gangbare und sozial-ökologisch verträgliche Lösung für die Endlagerung des Atommülls? Welche Rolle spielt die deutsche Atom-Renaissance vor dem Hintergrund der zu erwartenden Deindustrialisierung im Zuge des Green New Deals? Bis zu welchem Grad soll Deutschland und Europa deindustrialisiert werden und welche Rolle spielen dann die AKW? Eine Industrie, die es nicht mehr gibt, muss auch nicht versorgt werden. Oder dienen die Meiler dann vielmehr als Energieträger der Digitaltechnologien der Vierten Industriellen Revolution, sprich der KI, des mittels 5G-Technologie realisierten „Internet der Dinge“ und den dann geschaffenen Cyber-Parallelwelten à la „Metaverse“, in welchen man die „nutzlosen Menschen“ (Yuval Noah Harari) absetzen kann? Profitiert jemand, wenn Deutschland die AKW weiterhin im Betrieb hält und wenn ja, wer? Die deutschen Betreiber der Atommeiler dürften nicht dazu gehören. Diese haben die Kraftwerke bereits abgeschrieben und von der Bundesregierung Entschädigungszahlungen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro erhalten.

Wenn nicht gerade deutsche Betreiber zu den Profiteuren zählen, dann vielleicht ausländische Atombetreiber, die die verbliebenen AKW in Deutschland aufkaufen? Der Markt erscheint profitabel. Fortune Business Insight geht von einem Marktwertanstieg von 32,44 Milliarden US-Dollar in 2021 auf 38,82 Milliarden Dollar in 2028 aus. Was für Möglichkeiten der Energieerzeugung gibt es außerhalb des Mainstream-Denkrahmens, der von fossiler Energie, Atomenergie und den Formen der erneuerbaren Energien flankiert wird? Ist nun vielleicht die Zeit reif, über vergessenes oder gar zurückgehaltenes Wissen über freie, unendliche Energie nachzudenken beziehungsweise dieses Wissen wiederzubeleben? Stichwortgebend wäre hier Nikola Tesla.

Quellen und Anmerkungen:

(1) Vergleiche Häring, Norbert: „Endspiel des Kapitalismus: Wie die Konzerne die Macht übernahmen und wie wir sie zurückholen“, Köln, 2021, Seite 68 folgende.
(2) Siehe Gates, Bill: „Wie wir die Klima-Katastrophe verhindern: Welche Lösungen es gibt und welche Fortschritte nötig sind“, München, 2021, Seite 108.
(3) siehe Ebenda, Seite 110.
(4) Vergleiche Unger, Raymond: „Vom Verlust der Freiheit: Klimakrise, Migrationskrise, Coronakrise“, München, 2021, Seite 296 folgende.
(5) Vergleiche König, Peter: „Dystopie 2030 — Globalisten gegen die Völkergemeinschaft“, in Ullrich Mies (Herausgeber) „Schöne neue Welt 2030“, Wien, 2021, Seite 141 folgende.

Eine kompakte Zusammenfassung der Atom-Wendehals-Chronik: https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_92369644/atomkraft-in-deutschland-kommt-jetzt-doch-der-ausstieg-vom-ausstieg-.html

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