G20-Gipfel: Eine Stadt (und eine Medienlandschaft) im Griff der Repressionsorgane

 In Ellen Diederich, FEATURED, Politik (Inland)

Autorin Ellen Diederich

Wer schon länger politisch aktiv ist, hat den Vorteil, vergleichen zu können. Ellen Diederich, seit Jahrzehnten im Einsatz für Frieden, Frauen- und Arbeitnehmerrechte sowie die Belange des globalen Südens, weiß, wovon sie spricht. “Damals”, so erzählt sie, war der Sicherheitsaufwand bei Gipfeltreffen überschaubar, weil teilweise noch wirklich über Frieden, nicht über immer neue Kriege verhandelt wurde. In Medien wurde noch über die Anliegen von Demonstranten berichtet, nicht nur über Krawalle und “Gewalt gegen Polizisten” – immer im Vorgriff auf die nächste “notwendige” Gesetzesverschärfung. Was derzeit in Hamburg stattfindet, ist das traurige Symptom eines Verfalls von Demokratie, Bürgerrechten und kritischer Berichterstattung – getragen von einer Mehrheit teilnahmsloser Bürger, die ihre Freiheit willig aufgeben, um Schutz suchend bei einem aufgeblasenen Sicherheitsapparat unterzukriechen. (Ellen Diederich)

3.7.2017, Montagmorgen

Ich wache, wie immer, früh auf. Schalte das Morgenmagazin ein, heute ist das ZDF zuständig. Gestern habe ich mich schon über die Berichterstattung zum G 20 Gipfel in Hamburg, vor allem über den Bericht zur Demonstration und die Behinderung des durch das Verwaltungsgericht gestatteten Aktivistencamps der G 20-Gegner total geärgert. Heute Morgen wird es noch schlimmer. Ich bin sehr wütend über den immer offensichtlicheren Verfall der Demokratie.

Schreiben jetzt das Innenministerium oder die Polizei die Nachrichten des ZDF? Dunja Hayali ist eine Journalistin des ZDF Morgenmagazins. In dieser Woche ist sie nicht dabei. Schade. Am letzten Freitag forderte sie beim Kölner Treff mit Moderation Bettina Böttinger, dass die Berichterstattung wieder kritischer werden müsse. Davon ist im Moment nichts zu spüren. Die Informationspflicht des Öffentlich-rechtlichen Fernsehens wird grob außer Kraft gesetzt.

Die Demonstration von vielen Tausend Menschen gestern verlief kreativ und mit vielen selbst gestalteten Losungen sehr eindringlich. Eine große Koalition aus Aktionsgruppen, Parteien, Gewerkschaften und Friedensbewegung hatten sich hier zusammen gefunden. Es gab in der Berichterstattung aber keine Information über die Ziele des G 20-Gipfels und darüber, welche Argumente die DemonstrantInnen gegen dieses Treffen vorbringen.

Ich erinnere an eine Zeit, in der wir es geschafft haben, ohne Internet, soziale Medien usw. hunderttausende von DemonstrantInnen gegen die Stationierung von Atomwaffen in der BRD zu organisieren. Da sprachen dann abends in den Nachrichten Heinrich Böll, Petra Kelly und andere über die Ziele der AktionsteilnehmerInnen, Musikgruppen konnten Friedenslieder singen.

In Hamburg ist das Bild sehr anders. Alles ist auf Konfrontation ausgerichtet. 15- bis 20.000 PolizistInnen sind in Hamburg zusammen gezogen. Die Angaben sind unterschiedlich.

Ich war bei allen Gipfeltreffen zwischen Reagan, später Bush, und Gorbatschow, bei denen es um Abrüstung, um Verständigung ging, u.a. in Genf, Malta und Washington. Z.B. auf Island in Reykjavik: Auf der ganzen Insel gab es 15 Polizisten. Das Haus, in dem die Gespräche stattfanden, lag am Ufer einer Meeresbucht. Diese kleine Gruppe von Polizisten, Pfadfindern und einigen Feuerwehrleuten bildeten einen Kreis vor diesem Ort. Die Fahrzeuge, in denen die Akteure zum Haus fuhren, wurden von den Demonstranten begrüßt. Es ging um Abrüstung und Frieden, also um Ziele, die auch die DemonstrantInnen forderten. Am ersten Tag der Gespräche erschien übrigens fünfmal ein Regenbogen über dieser Bucht. Die Atomwaffenarsenale wurden reduziert, der Ost-West Konflikt kam ins Wanken.

Bei der Atombewaffnung und den Phantasien, Atomwaffen auch einzusetzen, hat sich der damals erzielte Fortschritt rückentwickelt.
Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI (Swedish Institut Peace Research International) veröffentlichte in diesen Tagen seinen Bericht über die weltweite Atombewaffnung. Es sieht keine Bereitschaft unter den Atommächten weltweit, in Zukunft auf Nuklearwaffen zu verzichten. In dem aktuellen Bericht heißt es, „alle Atommächte seien dabei, ihre Arsenale zu modernisieren. Allein die USA wollten bis 2026 400 Milliarden Dollar in die Instandhaltung und Erneuerung ihrer Nuklearwaffen investieren. Auch Russland habe Modernisierungsprogramme aufgelegt. Zusammen verfügen die beiden Staaten über 93 Prozent der Atomwaffen weltweit.“ (Deutschlandradio)

In Hamburg ist das Bild zwischen DemonstrantInnen und Polizei anders als seinerzeit auf Island. Das Verwaltungsgericht hat vor 2 Tagen in letzter Minute entschieden, das seit langem geplante Protestcamp könne, auch mit Übernachtungen, in Rothenburgsort stattfinden. Trotzdem wurden gestern die Eingänge zur Parkanlage von Polizisten gesperrt, Zelte kaputt gemacht, die Menschen verjagt, Pfefferspray eingesetzt. Entscheiden jetzt der Innenminister und die Polizei unabhängig von Gerichtsentscheidungen, wie Demonstrationen durchgeführt können? Herr Trump lässt grüßen? Wie hechelnde Hunde warten sie darauf, dass es endlich mit den Krawallen losgehen soll. Darüber soll berichtet werden, nicht über die berechtigte Kritik an den Inhalten dieses Treffens. Die martialische Aufrüstung der Polizei ist einfach widerlich.

Über die Kosten dieses Treffens gibt es keine klaren Angaben. Die Zahlen schwanken zwischen 130 und 500 Millionen Euro. Das Treffen der G 20 in Toronto kostete knapp 400 Millionen. Das Geld muss von den SteuerzahlerInnen aufgebracht werden.

„Die Kosten für die Unterbringung der hochrangigen Gäste und der bis zu 20.000 Delegierten tragen diese übrigens größtenteils selbst. Wie ein Sprecher der Bundesregierung sagte, sei der Bund nur beim Vermitteln der Unterkünfte behilflich, zum Beispiel indem er nahezu alle Luxushotels im Innenstadtbereich langfristig vorab reserviert hatte.“ Hamburger Abendblatt, 3.7.2017

Ich bin zu krank, um nach Hamburg zu fahren. Meine Gedanken und meine Solidarität sind bei den GipfelgegnerInnen.

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen