Massenproteste in Griechenland – und gute Nachrichten von uns

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

258. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Nicht zum ersten Mal ein widersprüchlicher Bericht: während in Griechenland auf grausamste Weise die Staatsrepression zuschlägt, kann ich über unsere Hilfsinitiative heute gleich in zweierlei Hinsicht Gutes berichten. Aber lest selbst! Holdger Platta

 

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

erst mal ein kurzer Rückblick auf meinen letzten Bericht:

Leider hatte ich Euch – unsere Hilfsaktion betreffend – vor einer Woche keine guten Nachrichten mitteilen können. Der Betrag an Spenden war ein weiteres Mal abgesunken, von vorher 35,- Euro auf 20,- Euro. Und ich gebe zu: für mich, den Berichterstatter, ist es dann besonders schwierig, erneut motivierende Berichte zu schreiben, die – zugegeben – gleichzeitig Aufrufe sein wollen für wiederum stärkere Spendenbereitschaft. Noch sind wir ja in der Phase, dass ganz akut von neuen, ganz dringenden Notsituationen bei den von uns betreuten Menschen in Griechenland nicht zu berichten ist. Aber die Furcht nimmt doch zu, dass wir unverhofft mit solchen Fällen konfrontiert werden könnten. Tja, was dann?

Dennoch: in dieser Woche darf ich gleich doppelt von sehr erfreulichen Umständen berichten, die während der letzten sieben Tage das immer dunkler werdende Bild ganz erheblich aufgehellt haben. Zuerst:

Während der letzten Woche gingen 795,- Euro auf unserem Hilfskonto ein, überwiesen von 6 SpenderInnen an uns. Schlagartig ist damit der Etat für unsere GriechInnenhilfe wieder angestiegen auf einen Betrag von knapp über 2.000,- Euro. Damit sind zumindest einige unserer Unterstützungsaktionen sichergestellt, für die in den nächsten Wochen wieder die Termine unsere Hilfe verlangen.

Sehr erleichterten Dank also allen unter Euch, die beigetragen haben zu dieser neuen Ermutigung. Verschweigen will ich im übrigen nicht, dass es wiederum Renate H. gewesen ist, die mit einem großen Betrag zu diesem positiven Ergebnis beigetragen hat! Nebenbei: eine Helferin, die auch für sich derzeit einige Probleme zu lösen hat! Gestattet mir also einen ganz besonderen Dank wieder an Renate H.! Es versteht sich freilich von selbst, dass damit die Hilfe anderer für uns nicht weniger zählt!

Aber es gibt, wie gesagt, noch eine weitere – sehr gute! – Nachricht, und diese Mitteilung bewegt mich kaum weniger als die erste gute Nachricht in diesem Bericht.

Vielleicht erinnert Ihr Euch: es ist keine vier Wochen her, da hatte ich Euch mitteilen dürfen, dass Tassos Chatzatoglou mit seiner Ehefrau Evi bei Laura, dem Mädchen, das in Syrien wegen der Explosion einer Tretmine beide Füße verloren hat, eingesprungen ist, um wenigstens eine weitere Teil-Rate für Lauras neue Fuß-Prothesen beim Orthopädischen Institut in Athen zu entrichten – aus eigener Tasche! Und gerne erinnere ich daran, dass unterdessen das Orthopädische Institut in Athen auf sämtliche Restzahlungen verzichtet hat.

Doch nunmehr habe ich auch von Kalle Apel mit seiner Frau Uschi von einer gleich guten Nachricht erfahren – Ihr wisst: von unserem zweiten “Außenteam”, das immer wieder nach Griechenland fährt, um vor Ort materielle Probleme lösen zu helfen.

Nun, zunächst zur Information: beide planen, trotz der immer noch widrigen Corona-Verhältnisse in Griechenland, schon demnächst eine weitere Reise in diesen Mittelmeerstaat. Wenn alles klappt, soll es wohl spätestens Mitte April wieder losgehen nach Griechenland! Doch auch Uschi und Kalle Apel wollen bei dieser Gelegenheit wieder einmal aus eigener Tasche Hilfe leisten: erneut wird es bei ihrer Unterstützung unserer Hilfsaktion vor allem um die Versorgung einer Landarztpraxis in Kyparissi (Südpeloponnes) und eines Kreiskrankenhauses mit ärztlichen Materialien gehen – extra gedacht für jene verarmten PatientInnen, deren Behandlung sonst nicht mehr durch die Mediziner gewährleistet wäre. Wiederum werden Uschi und Kalle einen ganzen Extra-Anhänger mit medizinischem Hilfsmaterial füllen – und wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, wird es sich ein weiteres Mal um Operationssets, Verbandsstoffe und anderes handeln, deren Wert mindestens einem Betrag von 4.000,- Euro entsprechen dürfte. Heißt (ich darf das sagen, weil ich gar nicht daran beteiligt bin): es sind nicht zuletzt viele Mitglieder aus unserem Team selbst, die den Fortbestand unserer GriechInnenhilfe absichern helfen. In beide Richtungen also, nach Graz, wo Evi und Tassos Chatzatoglou wohnen, und nach Rosche bei Uelzen, wo Uschi und Kalle Apel zuhause sind, heute einmal mein ganz besonderer Dank!

Und was aus Griechenland selber zu berichten ist? – Nun, vieles muss ich heute beiseitelassen (aus Zeitgründen bzw. weil persönliche Belastung mehr individuelles Berichten nicht zulässt), aber in Griechenland scheinen sich, gerade im Blick auf Rechtsstaatlichkeit und Freiheit, die Verhältnisse nicht gut weiterzuentwickeln. Die Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerung und dem repressiven Mitsotakis-Regime nehmen offenbar zu. An dieser Stelle heute also “nur noch” längere Ausschnitte aus einem Gespräch, das für die Website „mosaik-blog.at“ (Wien) die Journalistin Lisa Mittendrein (Mitglied von Attac) mit ihrem griechischen Kollegen Minas Konstantinou geführt hat, am 15. März dieses Jahres. Minas Konstantinou arbeitet bei der unabhängigen Nachrichtenseite „ThePressProject“:

„(…) Griechenland befindet sich seit einer Woche im Ausnahmezustand. Der Journalist Minas Konstantinou erklärt im Interview mit Lisa Mittendrein, wie sich die Wut über Polizeirepression in der Pandemie entlädt, warum der Slogan „Es tut weh” gerade in aller Munde ist. (…)

Mosaik: Seit einer Woche gibt es in Griechenland große Proteste. Warum sind die Menschen auf der Straße?

Minas Konstantinou: Im ganzen Land protestieren Menschen unter dem Slogan „Es tut weh!“. Die Protestwelle begann nach einem Polizeiübergriff letzten Sonntag. In einem Park im Athener Stadtteil Nea Smyrni konfrontierte die Polizei eine Familie, schrie sie an und wollte sie wegen eines angeblichen Verstoßes gegen Corona-Regeln bestrafen. Einige junge Menschen verteidigten die Familie, die nichts Falsches getan hatte – wir dürfen zu dieser Tageszeit draußen sein. Die Polizei verprügelte dann einen jungen Mann mit einer illegalen Waffe.

(…)

Was kritisieren die Protestierenden an der Reaktion von Medien und Regierung?

Die rechte Regierung und die Medien behaupteten tagelang, die Polizei wäre von 30 Leuten angegriffen worden. Aber die Videos des Vorfalls zeigen eindeutig, dass der Mann friedlich war und es keinen Angriff gab. Das hat viele Leute richtig wütend gemacht.

In den Tagen danach gab es im betroffenen Viertel Proteste und Unruhen von Leuten aus der Linken, Antifa und anderen, die die Polizei hassen. Aber es waren auch viele Menschen auf der Straße, die das erste oder zweite Mal in ihrem Leben protestierten. An einem Abend eskalierte die Situation zwischen der Polizei und einigen Fußballfans. Die Polizei fuhr mit Motorrädern in ihre Gruppe und warf Blendgranaten. Das waren recht harte Typen, sie schlugen zurück, und ein Polizist wurde verletzt. Weil einem von ihnen etwas passiert war, besetzte die Polizei die athenische Vorstadt Nea Smyrni. Jugendliche wurden auf dem  Heimweg verprügelt und festgenommen, einer Frau wurde mit Vergewaltigung gedroht. Die Polizei verhielt sich wie eine Besatzungsarmee und nahm Rache.

Danach breiteten sich die Proteste im ganzen Land aus.

Wie kann es sein, dass die meisten griechischen Medien die falschen Behauptungen der Regierung verbreiten?

Viele Medien stehen der Regierungspartei Nea Dimokratia sehr nahe. Der Direktor des öffentlichen Fernsehens war vor den Wahlen dort Parteichef. Der Nachrichtensprecher eines der größten Privatsender, Sky News, ist der Neffe des Premierministers. Und einer der größten Medieneigentümer, der TV- und Radiosender, Zeitschriften und Onlinemedien besitzt, war der Trauzeuge von Premierminister Samaras Schwester. Die meisten Medien sind ganz klar auf der Seite der Regierung. Sie haben sogar versucht, Videos mit gefälschten Untertiteln zu manipulieren, um zu vertuschen, dass die Polizei sagte, sie würden die Demonstrant*innen „umbringen“ und „fertigmachen“. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Seit Tagen trendet auf Twitter der Hashtag #BoykottGreekMedia.

„Es tut mir weh“ und #BoykottGreekMedia – die Bevölkerung von Griechenland ist offensichtlich sehr wütend. Stecken noch andere Gründe hinter dieser Wut?

Wir müssen die Proteste vor dem Hintergrund der letzten Monate oder eigentlich des letzten Jahrs der Pandemie verstehen. Das wichtigste Mittel der Regierung gegen das Coronavirus ist die Polizei. Wir befinden uns seit fast fünf Monaten im ständigen, strikten Lockdown. Die Einschränkungen sind in Griechenland viel strenger als in anderen Teilen Europas. Wir müssen eine SMS an den Staat schicken, bevor wir das Haus verlassen. Die Polizei ist überall, und es gibt sehr strenge, manchmal gewaltsame Kontrollen. Sogar Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen auf dem Weg zur Arbeit haben schon hohe Strafen bekommen, wenn auf ihren Papieren eine falsche Uhrzeit stand. Jedes Mal, wenn wir rausgehen, um Zigaretten zu kaufen, müssen wir an die Polizei denken.

Und jetzt sagen viele: Wir halten es nicht mehr aus!

Wie wirken sich die Einschränkungen auf das Leben der Menschen aus, abgesehen von der ständigen Angst vor der Polizei?

Die meisten Einschränkungen in Griechenland betreffen unsere Freizeit. Um spazieren zu gehen oder Sport zu machen, darf man nicht mit dem Auto, Motorrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, abends gibt es Ausgangssperren. Aber viele Fabriken und andere Betriebe sind geöffnet, und es gibt kaum Kontrollen und Tests. Es gibt keine Sicherheit für die Arbeiter*innen. Also steigen die Zahlen weiter. Die Krankenhäuser haben keine Kapazitäten mehr, obwohl der Höhepunkt der dritten Welle noch nicht erreicht ist.

Das ist der Hintergrund der Wut und des Frusts. Im Vordergrund steht die Polizei. Wir nehmen an, dass ihr Verhalten von der Regierung angeordnet wird. Während des Lockdowns gab es viele Demos, zum Beispiel von Studierenden oder Ladenbesitzer*innen. Die Antwort ist immer Polizeigewalt. Wir haben aber in Griechenland keine Corona-Leugner*innen auf der Straße. Die Menschen, die an den Protesten teilnehmen, tragen Masken und versuchen Abstand zu halten, wo das halt geht. Aber jetzt gibt die Regierung sogar den Demonstrationen die Schuld für die steigenden Infektionszahlen.“

Soweit die Auszüge aus dem „Mosaik“-Interview! – Was für mich – Stichwort „Unabhängigkeit der Medien“ – eine neue Frage aufwirft, angesichts der Stimmungslage, die für Griechenland derzeit typisch zu sein scheint: könnte es sein, daß auch die Umfrageergebnisse so mancher Meinungsforschungsinstitute nicht so ganz der Wahrheit entsprechen? Ihr erinnert Euch: gerade mein letzter Bericht handelte ausführlich davon, daß die ultrakonservative „Nea Dimokratia“ angeblich mit 38 Prozent Zustimmung immer noch weit vor der SYRIZA (mit 23 Prozent) liegt. Ist das wirklich so ganz für bare Münze zu nehmen?

Ich werde mich um Klärung dieser Frage bemühen.

 

Und damit wieder zu meinem Schlussappell:

Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“  auf das Konto:

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49

BIC: NOLADE21GOE

Inhaber: IHW

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an unseren Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.

Mit herzlichen Grüßen

Euer Holdger Platta

 

 

 

 

 

 

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