Wer von der Verelendung der Menschen spricht…

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

Alexis Tsipras, Foto: FrangiscoDer, Lizenz Creative Commons

257. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Fast ausschließliches Thema in meinem heutigen Bericht: der Widerspruch zwischen der Tatsache, daß es Griechenland im wachsenden Maße schlechter geht, und den nach wie vor guten Umfrageergebnissen für die Mitsotakis-Regierung, die dafür verantwortlich ist. Holdger Platta

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

ja, zugegeben: manchmal ist dieses Griechenland nur noch schwer zu verstehen. Da treibt die rechtskonservative Regierung unter Kyriakos Mitsotakis Staat und Gesellschaft in immer katastrophalere Verhältnisse hinein, aber eine relative Mehrheit der Bevölkerung hält diesen „Neo-Demokraten“ nach wie vor die Treue. Und: SYRIZA, die Trägerpartei der Vorgänger-Regierung, vermag nach wie vor nicht von dieser bedrohlichen Entwicklung zu profitieren. Doch bevor ich zu dieser Widersprüchlichkeit etwas sage, bevor ich zwei, drei Vermutungen äußere zu diesem rätselhaften und erschreckenden Befund, ein paar Fakten vorweg. Zunächst:

Griechenland ist finanz- und wirtschaftspolitisch wieder dort gelandet, wo es 2009 einmal stand, in diesem „Gruseljahr“ 2009, wie der griechische Journalist Ferry Batzoglou heute in einem bundesdeutschen Pressebericht schrieb.

Griechenland steht wieder vor einem riesigen Staatsdefizit, vor einem wahnwitzig hohen Schuldenberg. Die griechische Staatsverschuldung beträgt, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), wieder mehr als 200 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt: Griechenland steht weltweit bei den Gläubigern wieder mit 374 Milliarden Euro in der Kreide – Stand am Ende des vergangenen Jahres –, das sind 17,99 Milliarden Euro mehr als Ende 2019. Und das entspricht einem Anstieg von weiteren 5 Prozent. Oder noch konkreter formuliert: während die Staatsausgaben 2020 anstiegen auf fast 63 Milliarden Euro – 11,39 Milliarden Euro mehr als 2019 -, nahm während desselben Zeitraums der griechische Fiskus nur 43,33 Milliarden Euro an Steuern ein. Ferry Batzoglou, hier zitiert nach der heutigen Ausgabe der „Hessisch-Niedersächsischen Allgemeine“ (HNA):

„Weltweit hat nur Japan eine höhere Staatsschuldenquote als Griechenland.“

War das bereits zu Ende der Regierungszeit unter Alexis Tsipras (SYRIZA) so? – Keineswegs! Die Linksregierung – Anfang 2015 ins Amt gekommen – hatte, was das Verhältnis von Staatseinnahmen und Staatsausgaben betrifft, die Finanzen im Jahre 2019 ins Plus zu bringen vermocht – trotz der EU, die mit ihrer Austeritätspolitik die Linksregierung daran zu hindern versuchte. Wie oft habe ich darüber berichtet!

Doch trotz dieser Tatsache, trotz der Tatsache, dass die Mitsotakis-Regierung nicht zuletzt mit völlig unsinnigen Mehrausgaben für Militär und Polizei diese neue Katastrophensituation heraufbeschworen hat – Corona-Krise und Abwehrmaßnahmen gegen sie sind keineswegs der einzige Grund für diesen Abstieg der Staatsfinanzen ins frühere Elend –, trotz dieser Fakten hat die Mitsotakis-Administration nach wie vor rund 38 Prozent der griechischen Wahlbevölkerung hinter sich – und SYRIZA krebst weiterhin bei 23 Prozent Wählerzustimmung herum. Wieso?

Ich habe dazu – vor einigen Tagen – unseren Griechenland-Kenner Tassos Chatzatoglou befragt. Dessen Antwort darauf: die massenmedialen Verhältnisse in Griechenland sehen mittlerweile so aus – das trifft auf die Zeitungen ebenso zu wie aufs Fernsehen –, dass regierungskritische Stimmen kaum noch eine Chance haben in Griechenland. Und hinzukommt – so vermute ich (ebenfalls mehrfach hier mitgeteilt) –, dass Tsipras mit der Mehrheit der Mächtigen in seiner Partei derart nachhaltig die eigene Wählerschaft enttäuscht hat, beginnend mit dem Schicksalssommer 2015, dass er immer noch nicht bessere Umfrageergebnisse für sich verzeichnen darf. Bitter und immer noch rächt sich allzu viel Nachgiebigkeit gegenüber den EU-Diktaten! Bitte rächte sich nach wie vor, dass dieses Linksbündnis SYRIZA, das angetreten war, die Verhältnisse im eigenen Land zu ändern zugunsten der „kleinen Leute“ in ihm, so kläglich versagte. Ganz im Gegensatz zu Portugal – in ähnlicher Situation wie Griechenland –, das sich den EU-Vorgaben mehr und mehr widersetzte; auch darüber berichtete ich seinerzeit ausführlich auf HdS. Mit Lohnkürzungen und mit Absenkung sozialer Hilfeleistungen verliert man seine Wählerschaft, mit Gehorsam gegenüber den europäischen Großbanken gewinnt man keine neuen WählerInnen hinzu, mit Untätigkeit bei der überfälligen Sanierung des maroden griechischen Gesundheitssystems schlägt man weitere Ex-Wähler eines humanen Politik-Kurses in die Flucht.

Für uns, die wir – geradezu hautnah – die Nöte der von uns betreuten Menschen inzwischen aufs bedrückendste kennen, dürfte das alles so überraschend nicht sein. Den Eltern eines Dionysis, dem das griechische Krankenkassensystem die Zahlung überlebenswichtiger Nahrungsmittel verweigert, dem Schauspieler Alexander S., der seit Jahren inzwischen auf die Auszahlung seiner ersten Rentenrate warten muss, einer Panagiota K., der erst wir mit ihren drei Töchtern ein humanes Wohnen ermöglicht haben, diesen Menschen steckt noch heute die Enttäuschung in den Knochen, die ihnen die SYRIZA-Regierung zugefügt hat. Und sie stehen für Millionen Menschen in Griechenland! SYRIZA steht deshalb so erbärmlich da, weil sie selber, als sie an die Macht gelangt war, so wenig Erbarmen zeigte für die Menschen, die sie gewählt hatten. Nebenbei:

Ein Vorgang, der sich nicht minder präzise nachweisen ließe an einem deutschen Beispiel, am Niedergang der Weimarer Republik. Da war es zunächst eine Sozialdemokratie, die ihre Wähler nicht wirksam zu schützen verstand vor den Folgen der Weltwirtschaftskrise, die seit dem „Black Friday“ am 29. Oktober 1929 in den USA ihren Anfang nahm, und da war es dann vor allem der von Hindenburg eingesetzte Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrumspartei), der ab Ende März 1930 die Menschen der Weimarer Republik mehr und mehr ins Elend trieb, ebenfalls durch Lohnkürzungen, ebenfalls durch Senkung der Sozialhilfen und so weiter.

Und es war nicht ein vermeintlich so großartiger Demagoge mit Namen Adolf Hitler, der gemeinsam mit dem Monarchisten Paul von Hindenburg die erste Demokratie auf deutschem Boden keine drei Jahre später zu Grabe trug. Wenn ein Staat seinen Bürgern den Rücken kehrt, darf er sich nicht wundern, wenn ihm die Bürger den Rücken kehren. Wenn eine Demokratie ihre Demokraten verrät, darf sie nicht verwundert sein, wenn dann Demokraten ihre Demokratie verraten. Das musste damals Deutschland erleben, das wiederholt sich heute auch in Griechenland. Und ich füge noch hinzu: Wer von der Verelendung der Menschen spricht, darf auch vom Kapitalismus nicht schweigen. Er spielte damals eine Rolle im niedergehenden Deutschland. Er spielt eine Rolle auch heute in Griechenland!

Abschließend, ganz kurz noch, zur neuen Spendensituation bei uns:

Leider sieht es auch da nicht sonderlich gut aus: War schon am Ende der Vorwoche kein strahlendes Ergebnis festzustellen – lediglich 35,- Euro gingen auf unser Konto ein, überwiesen von 3 UnterstützerInnen an uns –, so durften wir während der letzten sieben Tage nur 20,- Euro als Neuzugang verbuchen, gemeinsam von zwei Mitmenschen überwiesen an uns. Natürlich danken wir dem Spender und der Spenderin sehr herzlich. Aber selbstverständlich würden wir uns nicht minder freuen, wenn es mit unserer GriechInnenhilfe wieder sehr deutlich nach oben ginge! Den Hilfsbedürftigen in Griechenland geht es wahrlich nicht besser, seitdem dort eine ultrakonservative Regierung das Sagen hat. Und die Versäumnisse der SYRIZA sollten sie nicht auch noch auszubaden haben.

Damit also wieder zu meinem Schlussappell:

Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“  auf das Konto:

Inhaber: IHW

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49

BIC: NOLADE21GOE

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an unseren Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.

Mit herzlichen Grüßen

Euer Holdger Platta

 

 

 

 

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