Die Spätberufene

 In FEATURED, Politik (Inland)

Nun steht es fest: Sahra Wagenknecht gründet eine neue Partei. Die Entscheidung kommt vielleicht zu spät — denn der Glauben an diesen Parlamentarismus ist erschüttert. Für Vernunft und Gerechtigkeit will die neue Partei stehen, für Frieden und Freiheit. Ansonsten soll der Name Programm genug sein: Bündnis Sahra Wagenknecht. Die Notwendigkeit für neue Politikansätze ergibt sich nicht nur — wie es im Mainstream meist geframt wird — durch den Versuch, sozialistische Konzepte und Migrationsskepsis zusammenzudenken; das fundamentale Versagen von Regierung und eingebetteter Opposition auf vielen Politikfeldern, scheint nach einem Neubeginn zu „schreien“. Selbst Wagenknecht-Sympathisanten reagieren jedoch in diesen Tagen im Sinne des Goetheschen Halbsatzes: „…allein mir fehlt der Glaube“. Durch die politische Entwicklung der letzten Jahre verhärmt gewordene Bundesbürger sehen in jeder Hoffnung bereits den Keim wahrscheinlicher künftiger Enttäuschung. Zu oft schon wurden „rebellische“ Ansätze am Ende vom System verschluckt oder neutralisiert. Für viele stellt sich jetzt eine viel weiter reichende Frage: Hatten wir bisher nur die falschen Parteien innerhalb eines richtigen Systems oder gehört der ganze so „repräsentative“ wie repressive Demokratieansatz auf den Prüfstand? Roberto J. De Lapuente

 

BSW, „Bündnis Sahra Wagenknecht“ heißt nun also der Verein, der die abspaltungswilligen Linken in eine neue Partei führen soll. Sie habe sich überlegt, was BSW noch heißen könnte, sagte Wagenknecht neulich in einem ARD-Feature zur Causa. Eingefallen sei ihr allerdings leider nichts, lachte sie. Wohl aus diesem Grund hat man dem BSW noch einen Untertitel hinzugefügt: „Für Vernunft und Gerechtigkeit“.

Auch wenn die Namenswahl etwas unglücklich scheint, so hat Sahra Wagenknecht doch etliche Abgeordnete aus der Linkspartei mitgenommen. Die Linke wird daher ihren Fraktionsstatus verlieren. Die bekannten Köpfe der Linkspartei erklären nach wie vor, dass ihre Partei noch zu retten sei. Aber das sind vermutlich nur Durchhalteparolen. Sie ahnen wohl selbst, dass die Zukunft ein schwieriges Terrain für diese Partei sein wird. Der Wagenknecht-Partei gehört hingegen die kommende Zeit, vernimmt man nun häufig. Sie sei Hoffnungsträgerin. Und ja, auch Retterin. Sie verhindert die AfD und wird eine wirkliche Alternative für Deutschland.

Acht bis 15 Jahre

Das wären schöne Aussichten: Endlich wieder eine Partei, die die Interessen des sogenannten „kleinen Mannes“ vertritt. Eine linke Alternative, die sich gewerkschaftlich orientiert und nicht dauernd oberlehrerhaft erklärt, wie man jetzt zu sprechen, wie zu fühlen habe. Dabei wird maßgeblich sein, dass das BSW nicht jedermann aufnimmt, nur weil der bereit ist, einer neuen Partei beizutreten. Als vor Jahren schon mal ein ähnlicher Versuch unternommen wurde, damals unter dem Label „Aufstehen“, tummelten sich plötzlich identitätsthematisch Orientierte im Umfeld dieser parteiinternen Plattform. Am Ende sah Aufstehen aus wie die Linkspartei selbst, die bereits den Irrweg der Wokeness eingeschlagen hatte. Damals sprach man hierzulande allerdings noch nicht von der Wokeness. Das kam erst später.

Eine Neugründung tut sicherlich not in diesen Zeiten. Die Linke trat 2005 erstmals bei der Bundestagswahl an. Sie erzielte damals einen Achtungserfolg. Seit einigen Jahren geht es bergab mit ihr. Jutta Ditfurth schrieb in ihrem Buch „Das waren die Grünen“, dass die junge grüne Partei „vielleicht acht bis 15 Jahre“ hätte, „bevor die Anpassungsmechanismen dieser Gesellschaft das Projekt verschluckt haben würden“. Dann müsste sich eine neue außerparlamentarische Bewegung etablieren, „die den Integrations- und Anpassungsdruck aushebeln würde“.

Für die Linkspartei hat diese Zeitspanne in etwa auch gegolten. Die Partei ist sich Selbstzweck geworden, hat den Anschluss an die Menschen im Lande verloren. Der Wagenknecht-Partei wird es unter Umständen nicht so viel anders ergehen im Laufe der Zeit. Sie ist jetzt auf Tuchfühlung mit den Menschen, die unzufrieden sind in Deutschland. Aber diese Nähe wird sich natürlich verlieren, Karrieren wollen vorangebracht, Posten verteilt werden. Das ist kein Vorwurf, es ist das politische System hierzulande. Ein neues Projekt hat durchaus Chancen — aber wohl immer nur einige Jahre, bis es sich selbst verwässert.

Insofern ist jede Parteigründung immer auch der Prozess einer Enttäuschung. Bei den Linken hat man es zuletzt gesehen. Man geht mit den besten Vorsätzen an die Arbeit, legt Idealismen an den Tag, muss aber sukzessive davon ablassen, die Erwartungen reduzieren.

Plötzlich sind Mitglieder in der Partei, die vieles ganz anders sehen — und die die Leitlinie der Partei verändern. Alle Hoffnung einer Parteineugründung angedeihen zu lassen, ist insofern immer auch ein Akt der Naivität.

It’s the system, stupid!

Dies eben auch, weil viele derer, die sich jetzt als Protestwähler identifizieren lassen, nicht einfach nur ihrem Widerwillen an den Wahlurnen Ausdruck verleihen, weil sie so enttäuscht sind von der Union oder der Sozialdemokratie. So wird es ja gerne von den Politologen, die in Deutschland als „Experten“ herumgereicht werden, dargelegt. Dahinter steckt doch mehr: Protestwähler sind im Regelfall keine verprellten Ex-CDU-Wähler oder konsternierte SPD-Wähler mehr. Ihr Protest geht viel weiter.

Sie protestieren gegen den hiesigen Parlamentarismus. Denn in seiner heutigen Form, als von Lobbyisten frequentierte Entscheidungsinstanz, bindet er kaum noch Bürger hinter sich. Als vor einigen Jahren offenbar Reichsbürger versuchten, in den Bundestag einzudringen, sprach der Bundespräsident von einem „Angriff auf das Herz unserer Demokratie“. Dabei ist das Herz dieser Demokratie, also der Ort, an dem entschieden wird, nicht durch den Vordereingang des Bundestages zu erreichen — oder jedenfalls nur unter Inkaufnahme weiter Wege. Man muss den Hintereingang nehmen, das geht viel schneller. Den direkten Weg in die Hinterzimmer nämlich. Dort werden Entscheidungen getroffen.

Vielen Menschen in Deutschland ist das bewusst. Sie haben nach langen Jahren des sozialen Niedergangs verstanden, dass das System korrupt ist. Eine neue Partei zu gründen: Das kann man machen. Aber ob man ihr wirklich so viel Hoffnung schenken kann? Die Protestwähler gieren ja nicht nach noch einer Partei. Sie sähen lieber, dass dieses Berliner System mit seiner Nähe zu Medien und Wirtschaft eingehegt wird — und wieder mehr Nähe zum Bürgerwillen gezeigt und sich der Beeinflussung lobbyistischer Influencer entzogen würde.

Das Vertrauen in diesen Parlamentarismus ist weithin erschüttert. Niemand wählt heute etwa die AfD, weil er möchte, dass die CDU und die SPD wieder auf Kurs kommen. Diese Partei ist ein Instrument, das deutlich macht: „Mit eurem System sind wir fertig.“

Ob da eine neue Partei, egal mit welch hehren Absichten sie an den Start geht, wirklich Probleme löst, sei dahingestellt. Was aus Sicht der Protestwähler nötig ist, ist eine Revision dieses Systems. Wie immer die dann aussehen mag. Die neue Partei um Sahra Wagenknecht, man muss es fast befürchten, kommt deutlich zu spät. Die Desillusionierung der Bürger hat in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen.

Mehr als nur Parteienhader

Häufig hört man im Augenblick, dass die Absichten Wagenknechts systemstärkend seien. Sie würde der AfD das Wasser abgraben, damit das marode System stützen. Diese Betrachtung ist natürlich nicht statthaft. Es ist nicht die Aufgabe Sahra Wagenknechts und ihrer Entourage, die AfD unbedingt stark halten zu müssen. Welches Interesse hätten denn die Neugründer an der AfD? Wirtschaftspolitisch kommt man mit ihr doch auf keinen gemeinsamen Nenner. Es gibt keine Pflicht, auf andere Parteien Rücksicht nehmen zu müssen.

Der Vorwurf an Wagenknecht führt ins Leere, zeigt aber auf, dass viele die Erstarkung der AfD nicht unter den Gesichtspunkten eines Rechtsruckes betrachten, sondern als einen Anschlag auf die, die es sich in diesem Parlamentarismus nur allzu bequem gemacht haben. Sie sind nicht enttäuscht von den etablierten Parteien — das waren sie vielleicht mal. Für viele geht der Protest mittlerweile mit einer viel grundlegenderen Frage einher: Ist dieses korrumpierte System überhaupt wert, gerettet zu werden?

Über viele Jahre haben politische Beobachter erklärt, dass die Menschen hierzulande an politischer Ermattung leiden, an Politikverdrossenheit, die sich aus dem Parteienhader rekrutiert. Das mag eine Weile zugetroffen haben. Unzufriedenheit ist aber auch kein statistisches Moment. Sie entwickelt sich, kommt vom Stöckchen auf den Stock.

In den letzten Jahren hat sich bei vielen das Bewusstsein entwickelt, dass es nicht die Parteien sind, sondern das System, das wirkliche Probleme bereitet.

Insofern ist die Neugründung einer linken Partei durchaus mit Skepsis zu betrachten. Sie kommt in einem Augenblick zustande, in dem viel grundsätzlichere Fragen die Entscheidung der Menschen beeinflussen. Sicher, auch die Wagenknecht-Partei wird Wähler finden, vielleicht sogar in den nächsten Bundestag einziehen. Aber die große Hoffnung, die man mit ihr verbindet, wird sie vermutlich nicht erfüllen können. Sie kommt zu spät. Und sie kommt in einer Zeit, da Menschen nicht mehr nur einfach protestieren, weil sie sich von Parteien nicht angemessen repräsentiert fühlen. Sondern sie stellen die Frage der Repräsentanz jetzt ganz generell.

Kommentare
  • Argonautiker
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    Treffender Artikel.

    Ein Neuanfang steht in der Tat an. Allerdings ist die Situation so verfahren, daß dies nicht ohne den Zusammenbruch geschehen kann, denn es gibt die Globalisation, und die hat nicht das ehemalige Ziel der Linken, in einem globalen Dorf zu münden, sondern eine Art feudalen globalen Konzernsozialismus zu errichten, bei dem die Konzernlenker alle Freiheiten, und die Anderen alle Pflichten hätten. Von einer Frau Wagenknecht anzunehmen, daß Deutschland aus dieser Gefangenschaft mittels der Neugründung einer von ihr geleiteten Partei heraus kommen könnte, dürfte an der Verstricktheit mit der Globalisation scheitern, so das denn überhaupt von ihr angestrebt wäre.

    Die Globalisation hat die Welt mittels der Aufhebung der Geld Gold/Güter Bindung mit einem Netz überzogen, das auf der Vertauschung des Ursache Wirkung Prinzips beruht. Denn wenn Geld, welches in dieser Form eigentlich nur ein Stellvertreter eines Wertes sein dürfte, schon vor dem eigentlichen Wert erzeugen darf, dann erntet man den Ertrag der Möhren bevor man sie gesät hat. Und falls es dann doch mal zu einer Missernte kommt, kann man den Verlust über das Erzeugen von noch mehr Geld einfach in die Inflation abgeben, also den Verlust auf alle delegieren.

    Große Konzerne wurden dadurch in die Lage versetzt ihre Konkurrenz nicht mehr durch ein inhaltliches besser sein zu besiegen, sondern sie einfach aufzukaufen und selbst so zu immer größeren globalen Konzernen zu werden, bei denen inhaltliche Qualität immer unwichtiger geworden ist, weil es eh kaum noch Alternativen zu ihren Produkten mehr gibt.

    Durch dieses sogenannte FIAT money system sind dadurch natürlich weltweit Menschen in Führungspositionen gekommen und haben ihre realen Machtstrukturen aufbauen können, die sich nicht durch Leistung in der Wirklichkeit auszeichneten, sondern sich mittels Kreditwürdigkeit und Gesinnung durchsetzten.

    Selbst wenn eine Frau Wagenknecht wollte, sie wird da nichts ausrichten können, weil die ganze führende Welt auf diesem Prinzip verschuldet ist, und von dort immer die Nachricht kommt, wenn unser System angegriffen wird und zusammenbricht, dann bricht alles zusammen. Leider haben sie damit recht, also wird man alles tun damit das falsche System nicht zusammenbricht. Deshalb wird es keinen wirklichen Neuanfang geben können, ohne daß es einen Zusammenbruch gibt.

    Man versucht zwar auf Seiten der Globalisten diesem Zusammenbruch zuvor zu kommen und selbst einen Neustart hinzulegen, nur wird der nicht gelingen, weil das Vertauschen von Ursache und Wirkung in Materiellen Dingen nun mal nicht der Wirklichkeit entspricht. Materie ist an Ursache und Wirkung gebunden. Auch unser fleischlicher Anteil am Dasein. Egal was man in letzter Zeit mittels dieser Vertauschung künstlich aufgebaut hat, es wird irgendwann an der Wirklichkeit zusammenbrechen, weil es in der Wirklichkeit einfach keine Resonanz findet die sie trägt. Ein derzeitiger Neuanfang auf den Fundamenten dieses Bestehenden Irrtums dürfte nur in einer Stellschräubchendreherei ausarten, die mit derselben nur Zeit verschwendet, die man mit wichtigeren Dingen zubringen könnte.

    Unser Fleisch ist zwar auch an das Ursache Wirk Prinzip gebunden, unsere Seele jedoch nicht. Noch weniger der Geist. Ist für die Seele Zeit noch von ursächlicher Bedeutung, stellt sie für den Geist keine wirkliche Hürde dar. Um es kurz zu sagen, in Zeiten des Zusammenbruchs des materiell künstlich Geschaffenen, ist es ratsam sich so wenig wie möglich an solche Dinge zu binden. Wer vorwiegend versuchte sich über materielle Güter ein Leben zu erschaffen, dürfte vor einer schweren Krise stehen, weil er sein Herz an zweitrangige Dinge hing.

    Wer hingegen in seinem Leben nicht davor zurückschreckte anstatt der Herrscherkrone, die Dornenkrone aufzusetzen, dürft im Erleiden der zugelassenen Krisen wirklich etwas aus seinem Leben gemacht haben und im Auftauchen des großen Zusammenbruchs eine starke seelische Mitte erwirtschaftet haben.

    Die Herrscher, und die, die es gerne sein wollten, dürften vor dem durchbrechenden Leid stehen, was sie über ihr Herrscherdasein zwar zu delegieren suchten, aber damit nur auf Zeit verdrängten. Das Prinzip den materiellen Gewinn zu privatisieren um sich damit Glück zu kaufen, und das emotionale Leid zu sozialisieren hat kurze Beine.

    Schade um Sarah Wagenknecht. Eine politische Partei baut ihr Wesen immer auf dem Erreichen von Mehrheiten auf, mit denen sie im erreichen Derselben, so viel Dominanz ausüben,  daß sie Minderheiten aufgrund ihrer Subjektivität zwangsläufig diskriminieren werden. Damit ist Politik zwar zur Herdenhaltung geeignet, für Individuen allerdings unbrauchbar. Politik ist eine für den Menschen vollkommen unbrauchbare Haltungsform.

    Leider haben wir es über die politisch herrschaftliche Konditionierung derzeit sehr viel mit Menschen zu tun, die sich selbst mittlerweile als Herdenwesen wahrnehmen. Es wird also voraussichtlich noch eine Weile dauern, bis es da zur Menschwerdung läutet. Aber es wäre ja schon mal etwas, wenn man aus der Gefangenschaft der Großego’s in Form der Herrscher wieder heraus käme. Erst dann kann sich das eigentliche Wesen wieder anfangen zu entfalten. Es glauben ja mittlerweile schon wieder sehr viele, daß es unsere Aufgabe ist, zu arbeiten, mit dem Resultat, daß davon Wenige nahezu Leistungslos extrem reich werden, weil das feudalherrschaftlich so geregelt ist.

     

     

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