Eulenfeder: Totengräber 2/3

 In Kurzgeschichte/Satire
Filmszene aus "Das Experiment"

Filmszene aus “Das Experiment”

Im zweiten Teil von Eulenfeders Gefängnismemoiren, erhalten wir wieder seltene Einblicke in eine sonst äußerst “verschlossene” Welt. Wärter, so zeigt sich, glänzen hauptsächlich durch Wegbleiben und Wegschauen, wenn es in den Zellen gefährlich wird. Und wie werden eigentlich aufsässige Gefangene bestraft, wenn man sie mit Gefängnis nicht mehr bestrafen kann, weil sie dort schon sind? Wir betreten hier einen sehr dunklen Bereich im Schatten der “freien Welt”, die angeblich die Unantastbarkeit der Menschenwürde garantiert. Und wer meint, dass harmlose Menschen schon nicht im Gefängnis landen würden, der ist naiv – wie u.a. der seltsame Fall des “Totengräbers von Großweihersdorf” zeigt.

dieses kapitel gehört nun ihm, einer erscheinung, die man nicht vergisst: dem totengräber von grossweihersdorf!

es ist ja auch ein kommen und gehen dort auf dem saal. einer wird entlassen oder verschubt, ein neuer kommt rein. und so erschien er eben, eines mittags – und wenn es erbarmen oder mitleid gibt, das man sofort fühlt für jemanden, dann bei ihm. wohl kaum 1,65 gross, schmal wie ein handtuch – etwas gebückte und sowieso demütige haltung – schob man ihn herein, und da stand es nun, das elend in person. durch die riesige dicke hornbrille blicken grosse augen voller furcht nervös hin und her. er klammert sich an das bettzeug in seinen armen und rührt sich nicht mehr, angewurzelt in hilflosigkeit und verstörung. so um die 45 schätzte ich ihn.

“wenn es einen gott gibt, dann erbarme er sich dieses kerls”, dachte ich spontan. “wie soll der hier überleben können?”
“das bett unter mir ist frei”, sage ich zu ihm. er bewegt sich wieder und nimmt es in besitz als wär’s ein zufluchtsort. “ich muss ihm irgendwie helfen, wenigsten etwas hier zurechtzukommen”, denke ich mir, “ihn etwas im auge behalten, ihn von den schakalen fernhalten, sonst ist es aus mit ihm.”

es dauerte nicht lange, da kamen die ersten schmähungen wie: “he zweagal, mogst die ned voastelln, host koan anstand? oda bist am end blous a gschpenst? Hahahahaa …” – und andere belustigungen über ihn. dieses rauhe klima war er ganz sicher nicht gewohnt. “lasst ihn in ruhe”, sage ich, und zumindest wurden die angriffe nicht schlimmer danach. es ist wohl fast für jeden eine riesige verunsicherung, hier reinzukommen, aber für ihn musste es die hölle sein.

Konrad Wimmerl hiess der bedauernswerte, und er war totengräber. dies und einiges mehr erfuhr ich nach und nach. er wich mir ja kaum mehr von der seite, fühlte sich etwas geschützt dadurch. naja, er wurde mit der zeit ein bisschen lockerer. man lernt sich etwas zurechtzufinden. die anderen sahen kaum mehr einen reiz darin, ihn runterzumachen. “lohnte” sich nicht, es kam keine gegenwehr von ihm. aber typen, die sich an schwächeren profilieren, gibt es gerade hier zuhauf. nun war ich aber sehr gespannt zu erfahren, warum er denn hier war! was konnte dieser harmlose mensch angestellt haben, dass man ihn für sechs monate einsperrte?

zunächst ungläubig, dann zunehmend belustigt und auch etwas bewundernd, erfuhren wir seine verbrechen, und dies führte sogar dazu, dass man ihm auf die schulter klopfte. er bekam sympathie sogar: immer wenn er angesoffen aus dem wirtshaus kam, stellte er sich auf dem nachhauseweg in den bach, der durch den ort führte – und verlangte lauthals nach der wasserschutzpolizei! als irgendjemand dann die polizei verständigte und diese ihn aufforderte, aus dem wasser herauszukommen, sagte er – wie er schelmisch grinsend versicherte – er fühle sich von den “normalen” polizisten bedroht. Für ihn sei die wasserschutzpolizei zuständig. das wiederholte sich in gleicher weise, bis geldstrafen dafür nicht mehr angemessen schienen und er letztlich zu sechs monaten verdonnert wurde. im knast bleibt ja nichts verborgen, und er wurde zu einer kleinen berühmtheit, sonnte sich sogar etwas in diesem “ruhm”. dass die polizei des ortes ihn ständig auf dem kieker hatte, er ja auch widerstand leistete, das war anerkennung wert. freilich etwas spinnert der kerl, aber auch schlitzohrig sich gegen die staatsgewalt stemmend, ein aufrechter irgendwie auch. widerstand gegen die staatsgewalt ist immer ein ruhmesblatt.

eines tages bekam er post (man hatte ihm seinen job fristlos gekündigt), und kurz danach sah ich ihn gekrümmt und wimmernd auf dem boden vor seinem bett liegen, käsweis, mit schmerzverzerrtem gesicht, die hände an die brust gepresst. ein herzinfarkt, das war mir sofort klar. ich gehe zum fenster neben der tür und spähe nach einem wachtl, keine zu sehen. Ich donnere an die saaltür, rufe laut: “ein notfall, wir brauchen einen notarzt!” nun ist es ja nicht so, dass wachtln sich genötigt fühlen, sofort zu “erscheinen” (knackis sollen ihre angelegenheiten möglichst selbst regeln). es dauerte also lange, bis die tür dann aufgesperrt wurde. zwei kamen herein – kurzer blick auf den armen kerl und: “ach – der wird schon wieder”. sie verlassen den saal und sperren wieder zu. ich sehe keine andere möglichkeit mehr als mir einen stuhl zu nehmen und das fenster einzuschlagen. “entweder sofort ein notarzt, oder ich zeige euch an!” schreie ich hinaus. geradezu rasant kam dann ein wachtl-kommando mit knüppeln. ich wurde überwältigt und in handschellen weggeschleppt – sehe aber noch einen anstaltsarzt kommen, bin etwas beruhigt trotz allem.

ich selbst lande in der “zwick”, einer speziellen, sehr kleinen zelle im keller. ein äusserst schmales, kleines, unerreichbares “fenster”, nicht mehr als ein schlitz in der betonwand. nackt zunächst, es wird einem alles genommen, womit man sich aufhängen oder sonstwie erdrosseln könnte. also auch keine schuhbänder, hosenbundgummi, gürtel oder ähnliches sind erlaubt. man bekommt eine art schlafanzug und pantoffeln, eine “rama-dose” und ein stück weissbrot, etwas marmelade in ‘unbedenklicher’ plastikverpackung, stumpfes selbstmordungeeignetes besteck. ein kleiner tisch, ein stuhl, die bibel auf dem tisch. ein holzbrett, das tagsüber mit vorhängeschloss an die wand hochgeklappt wird, damit man sich nicht hinlegen kann. abends wird es heruntergelassen, eine filzdecke. zwei wochen “zwick” wegen meuterei – so wurde mir am zweiten tag mitgeteilt. ab und zu öffnet sich die kleine klappe in der zellentür, und einer schaut rein.

kein tabak, keine papers, keine streichhölzer – verdammt! der kellerhausl (selbst gefangener), der das “essen” bringt, ist ein arschloch, gibt mir nix zum rauchen. das dürfe er nicht, meint der idiot. also fange ich an zu trainieren wie ein wahnsinniger, sicher 16 stunden am tag: liegestützen, handstand, situps, nehme stuhl und tisch als geräte her, auch die bibel als “technisch” unterstützendes mittel. gymnastik, dehnen und stecken, kniebeugen … und nach zwei wochen war ich fit wie noch nie! kann die “zwick” verlassen, sage dem hausl noch persönlich, dass er ein arschloch ist und komme wieder in “meinen” saal.

eine auszeichnung übrigens, die “zwick” oder die “meuterei” (wird offiziell als solche bescheinigt). mein ansehen war also gestiegen.

der Konrad Wimmerl sitzt am tisch und grinst mich an – spielt poker mit den schakalen. alles o.k.!

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