Gezeitenwende
Biblische Geschichten weisen immer wieder verblüffende Parallelen zur Gegenwart auf, da sie sich einer bildkräftigen Symbolik bedienen. Da ist zum Beispiel die Geschichte vom Auszug der Israeliten aus Ägypten. Ein uneinsichtiger Pharao unterdrückte die erzwungenen “Gastarbeiter”. Moses wies einen Weg aus der Gefangenschaft. Aber nicht alle wollten den gefahrvollen Weg durch die Wüste auf sich nehmen. Manche blieben lieber “in bekannten Höllen”, als das gelobte Land zu suchen, dessen Existenz eine Glaubensfrage war. Letztlich gelang den Israeliten jedoch sogar der Durchgang durch das Meer – trocken und unverletzt. Ein Wunder? So könnte man es nennen. Können wir diese Geschichte auf unsere heutige Situation übertragen? Können wir daraus Hoffnung schöpfen? Rüdiger Schaller
Mächtige Reiche zerfallen, seit Jahrtausenden, auch Demokratien sterben. Siehe Weimar, nur als ein Beispiel. Putin, Trump und Xi Jinping – drei Menschen, die aktuell an Grundfesten unseres bisherigen Seins rütteln. Dahinter gibt es Legionen von Menschen, die sich für deren Weg einbringen. Dabei gehen diese Menschen und Systeme auch über Leichen.
Das aktuelle Geschehen nimmt mir manchmal den Atem.
Abstand gewinnen, wieder frei werden im Denken – und Muster erkennen. Das ist notwendig und mein Ziel. Unwillkürlich muss ich lächeln. Es ist schon ein paar Jahre her; Urlaub an der Nordsee. Wattwanderung. Die Lunge durchgepustet, wieder gut geerdet. Auf dem Rückweg am Strand stehen ein paar Sandburgen. Vom Strand her sehe ich wie die Flut eine Burg nach der anderen überschwemmt und zerstört. Wie lange halten wohl die Mauern der letzten Burg?
Das stimmt mich nachdenklich. Ein genauerer Blick in die Natur: Ein beständiger Wandel von Werden, Aufblühen und Vergehen. Was wird von unseren Werken und Errungenschaften die Jahrhunderte überdauern? Von längst versunkenen Kulturen ist nun wenig übrig, machen sind spurlos im Mahlstrom der Zeit verschwunden. Mächtige, scheinbar unbesiegbare Reiche entstanden. Sie erreichten eine große Machtfülle und kämpften mit äußeren Feinden um ihren Fortbestand. Doch an Ende zerfielen sie ins Nichts. Oft auch ausgehöhlt von innen, zerfressen von unersättlicher Gier, Überheblichkeit und Dekadenz. Um nur ein paar Faktoren zu nennen.
Ein paar Beispiele: Auf das Reich der Babylonier folgte das Reich Alexanders des Großen. Darauf folgten die Römer, die Deutschen, die Engländer. Dann die USA und dann…
Aus der Geschichte lernen? Es ist möglich, wenn es wirklich gewollt ist. Ein Blick auf Weimar: Da fallen einem meist sofort die Endzeit von Weimar ein. SA-Terror und der brennende Reichstag. Doch das verstellt den Blick auf die Wurzeln. Dem Sieg der Nazis ging das Scheitern der Demokratie voraus. Man muss vom Anfang her denken, nicht vom Ende her. Schon in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre verlernte man die Kunst des Kompromisses. Tiefe Gräben brachen zwischen den Parteien auf und die Mitte wurde zerrieben. Es ist nie klar, wann eine Demokratie endet und die Diktatur beginnt. Doch es gibt einen Zeitpunkt, da lässt es sich nicht mehr gegensteuern.
Weimar, die Strukturen und Muster, die sich über den Zeitablauf entwickelten, die gilt es zu betrachten und daraus zu lernen. Willy Brand 1963 „Die Demokratie wird uns nicht ein für alle Mal geschenkt, sondern wir müssen sie immer wieder neu sichern. Und wenn sie angegriffen wird, dann müssen wir sie mit Zähnen und Klausen verteidigten. Gleichzeitig müssen wir sie mit pulsierendem Leben erfüllen.“ Er hatte seine Lehren aus der Weimarer Zeit gezogen; mit 15 Jahren war seine Parole: „Republik ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel.“
Es ist eben anstrengend, bedarf guter Quellen und eines belebenden offenen Diskurses, um die aktuellen Muster und Strukturen der Gesellschaft aufzudecken. Dumpfe Parolen, verkürzte und verdreht Tatsachen, das sind Feinde der Demokratie. Gerade da, wo stark polarisiert wird, ist große Gefahr zu sehen. Mächtige Lobbygruppen sind auch in unserem Lande aktiv. Zum Wohl des Profits von deren Auftraggebern
Ein Beispiel, wo Gefahr droht, vor allem wenn die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter aus einander klafft: Adenauer hatte nach dem Krieg eine Reichensteuer eingeführt. Es sollten die Lasten des Wiederaufbaus auch von breiten Schultern getragen werden. Später wurde die Steuer ausgesetzt vom Gerichtshof. Aufgrund technischer Fehler sollte nachgebessert werden. Sie wurde nicht aus grundsätzlichen Bedenken heraus ausgesetzt. Doch wenn über auf eine Wiedereinführung gesprochen wird, schallt es von vielen Seiten (Vermögende und deren Adlaten): Neiddebatte! Übergewinnsteuer? Nein, da werden Nebelkerzen geworfen, Scheindebatten auf Fachebene. Aus der Frage der Gerechtigkeit wird so eine Frage der technischen Umsetzbarkeit. Ein Feuerwerk der Abwehr. Weimar lässt grüßen.
Nochmals: Es ist hilfreich, vom Anfang her zu denken. Nur drei Beispiele von Abhandlungen, die mich berührt und nachdenklich gemacht haben. Die mich noch immer bewegen.
- Raul Hilberg: „Die Vernichtung der europäischen Juden. Er zeichnet in seinem monumentalen Werk die Entwicklungslinien über Jahrhunderte bis zum Holocaust nach. Viel tiefer nun mein Verstehen für viele vormals für mich unverständlichen Verhaltensweise vieler Juden. Mit Blick auf das sog. 3. Reich und die Deutschen: Erschreckend wie viele vormals normale Familienväter zu Mördern und deren technokratischen Helfershelfern wurde. Mir wird Angst und Bange, wenn ich das schnelle Kippen von Menschen aus der Zivilisation sehe, die autoritären Führern hinterherlaufen. Zu allem bereit. Wie sieht es heute aus?
- Claus Peter Hant: „Hitler“. Es geht hier um wenig bekannte Fakten, aus denen sich sehr gut das gesellschaftliche Klima und die Einflussfaktoren auf Hitlers Entwicklung zum „Führer“ ablesen lassen. Auch England und Amerika und die damalige Geisteshaltung werden transparent – und erschreckend – dargestellt. Mit Blick auf Deutschland: Hier sei nur kurz die Thule-Gesellschaft erwähnt – hinter einer bürgerlichen Fassade: eine politische Terrororganisation. Gibt es so etwas auch heute noch?
- Stephan Malinowski: „Die Hohenzollern und die Nazis – Geschichte einer Kollaboration“. Die armen Hohenzollern, sie wurden nach dem Krieg zum Teil enteignet. Nun fordern sie vehement, ihre Güter wieder zurückbekommen. Sie waren doch nun Opfer. Geschichte vom Ende her gedacht. Gut dass davor noch ein „Unwürdigkeitsparagraph“ steht. Malinowski ist eine brilliante Herleitung gelungen: Die angeblichen Opfer waren aktive Täter. Und überziehen nun mit viel Geld und hochbezahlte Anwälte den Autor und viele Andere mit Klagen. Geld verbiegt die Wahrheit. David gegen Goliath. Auch TTIP lässt grüßen.Und nun? Ist das alles? Eine klare Beschreibung des Sachstandes. Gibt es nicht noch mehr auf dieser Welt? Gibt es nur die schier unendlichen Wiederholungen des Gleichen in neuen Gewändern?
Nein, es gibt etwas, wohin die Geschichte uns führt. Das Hoffnung macht und Halt gibt. Einen Grund für unser Leben, in dem unser Leben gründet. Ein Ziel, für das es sich zu leben lohnt.
Dazu zunächst ein weiterer Ausflug in die Geschichte, doch dieses Mal viele Jahrhunderte zurück in die Vergangenheit.
Es wird eine spannende Reise – vom Auszug Israels aus Ägypten bis hin zu unserem Alltag – ein Blick in die Bibel:
Mose 8 – 14, 19 – 23, 28 – 30a (Exodus)
„Und der HERR verstockte das Herz des Pharao, des Königs von Ägypten, dass er den Israeliten nachjagte. Aber die Israeliten waren mit erhobener Hand ausgezogen. 9 Und die Ägypter jagten ihnen nach, alle Rosse und Wagen des Pharao und seine Reiter und das ganze Heer des Pharao, und holten sie ein, als sie am Meer bei Pi-Hahirot vor Baal-Zefon lagerten. 10 Und als der Pharao nahe herankam, hoben die Israeliten ihre Augen auf, und siehe, die Ägypter zogen hinter ihnen her. Und sie fürchteten sich sehr und schrien zu dem HERRN 11 und sprachen zu Mose: Waren nicht Gräber in Ägypten, dass du uns wegführen musstest, damit wir in der Wüste sterben? Warum hast du uns das angetan, dass du uns aus Ägypten geführt hast? 12 Haben wir’s dir nicht schon in Ägypten gesagt: Lass uns in Ruhe, wir wollen den Ägyptern dienen? Es wäre besser für uns, den Ägyptern zu dienen, als in der Wüste zu sterben. 13 Da sprach Mose zum Volk: Fürchtet euch nicht, steht fest und seht zu, was für ein Heil der HERR heute an euch tun wird. Denn wie ihr die Ägypter heute seht, werdet ihr sie niemals wiedersehen. 14 Der HERR wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein.
19 Da erhob sich der Engel Gottes, der vor dem Heer Israels herzog, und stellte sich hinter sie. Und die Wolkensäule vor ihnen erhob sich und trat hinter sie 20 und kam zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israels. Und dort war die Wolke finster und hier erleuchtete sie die Nacht, und so kamen die Heere die ganze Nacht einander nicht näher. 21 Als nun Mose seine Hand über das Meer reckte, ließ es der HERR zurückweichen durch einen starken Ostwind die ganze Nacht und machte das Meer trocken, und die Wasser teilten sich. 22 Und die Israeliten gingen hinein mitten ins Meer auf dem Trockenen, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken. 23 Und die Ägypter folgten und zogen hinein ihnen nach, alle Rosse des Pharao, seine Wagen und Reiter, mitten ins Meer
28 Und das Wasser kam wieder und bedeckte Wagen und Reiter, das ganze Heer des Pharao, das ihnen nachgefolgt war ins Meer, sodass nicht einer von ihnen übrig blieb. 29 Aber die Israeliten gingen trocken mitten durchs Meer, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken. 30 So errettete der HERR an jenem Tage Israel aus der Ägypter Hand.“
Der Auszug Israels aus Ägypten: Eine bildgewaltige Darstellung kam 1956 auf die Leinwand: „Die zehn Gebote“ – mit Charlton Heston als Moses und Yul Brynner als Ramses. Der Film gilt als einer der größten Monumentalfilme aller Zeiten. Es wirkten rund 14.000 Statisten und 15.000 Tiere mit. Als junger Heranwachsender hatte ich ihn im Fernsehen gesehen. Damals war ich tief beeindruckt von der Wucht der Bilder.
Die Geschichte der Errettung des Volkes Israel am Schilfmeer ist eine der Ur-Erzählungen der jüdischen Religion. Interessanterweise finden sich in der Bibel keine Angaben über die Zahl der flüchtenden Menschen. Es wird die Geschichte einer erfahrenen Wirklichkeit unter der Perspektive eines deutenden Musters erzählt. Das Handeln Gottes ist das zentrale Motiv der Geschichte – Gott befreit!
Trotz der Wächter gelingt den versklavten Menschen die Flucht. Wahrscheinlich, weil sie sich im Sumpfgebiet auskannten und die Verfolger – eine militärische HighTech-Armee – abgehängt hatten. Die innere Kraft schöpften sie bei diesem riskanten Fluchtplan durch die von Moses verkündetet Zusage Jahwes, er werde den Ausbruch gelingen lassen. Mit dieser Zusage verbindet sich das Bild eines Gottes, der es nicht hinnehmen will, dass Menschen geknechtet und ausgebeutet werden, so wie in den Arbeitslagern in Ägypten.
Gott befreit! Das feiern die jüdischen Gemeinden in aller Welt an Pessach.
Am Vorabend des Pessach-Festes wird der Sederabend gefeiert. Er ist der Beginn von Feierlichkeiten über mehrere Tage. Es wird der Auszug des israelitischen Volkes aus der Gefangenschaft in Ägypten gefeiert. Am Sederabend fragt ein Kind: Was ist das Besondere dieses Abends und dieser Mahlzeit? Als Antwort wird ihm die Geschichte vom Auszug aus Ägypten erzählt:
Wie Gott die Schreie des Volkes Israel hört und es aus der Unterdrückung befreit. Wie die Plagen Schrecken verbreiten. Wie das Volk sich in einem besonderen Mahl stärkt. Wie es mit Gott aufbricht und mitten durch das Meer in die Freiheit zieht. Die Geschichte darf nicht verloren gehen. Sie muss jedes Jahr wieder erzählt werden.
Von einer Generation zur nächsten. Damit die Kraft der Befreiung lebendig bleibt: Wer gefangen ist oder beladen mit Schuld, sei frei. Wer hungrig ist, komme und esse. Wer in Not ist, trete ein und feiere mit. Das schwarze Tuch ist zerrissen! Der Durchgang durchs Meer ist frei! Es ist keine Flucht aus Ägypten; es ist eine Befreiung!
Gott hört das Wehklagen. Das ist das eine. Das andere ist, dass Gott eine Verpflichtung eingegangen ist: „Ich will euer Gott sein – und ihr sollt mein Volk sein.“ Unser Gott ist kein Gott, der teilnahmslos bleibt, sondern er bindet und verpflichtet sich. Und er lässt sich auf seine Verpflichtungen ansprechen. So wie die Menschen sich verpflichten, der Weisungen Gottes zu gedenken in ihrem Tun und Lassen auf dieser Erde.
So, wie sie vor allem der Schwachen gedenken sollen, so sollen sie auch zu Gott rufen: „Gedenke, Gott, an deine Zusagen! Lass uns nicht allein im Unheil! Befreie uns!“
Gott führt das Volk heraus aus dem Sklavenhaus und hinein in das Land der Väter und Mütter. Was dabei stattfindet, ist keine „friedliche Revolution“.
Am Sederabend wird den Kindern nur mit großem Schaudern erzählt, dass Gott die Erstgeburt der Ägypter tötete. Symbolisch werden die Finger in einen Freudenbecher mit Wein getaucht und alle verschütten ein paar Tropfen. Die Freude bleibt eingeschränkt; sie ist getrübt, weil die Befreiung mit so viel Leid erkauft ist. So entsteht eine Gedenkkultur, die einen weiten Horizont eröffnet. Sie hält die unterschiedlichen Perspektiven der Befreiten und der Unterdrückenden gleichzeitig präsent.
Eine solche Gedenkkultur täte auch uns gut! In so vielen Fällen, auch mit aktuellem Blick auf die NSU 2.0 und dem Anschlag in Halle. Welch ein Glücksfall, dass die Tür standgehalten hatte. Es braucht mehr, als die pastoralen Worte des Bundespräsidenten und von Würdenträgern bei Gedenkfeiern, denen keine Taten folgen.
Eine Gedenkkultur, wie von unseren Mitmenschen jüdischen Glaubens gelebt, führt auf neue Wege in die Zukunft: Weil ihr Fremde gewesen seid, könnt ihr mit Fremden anders umgehen; weil ihr Sklaven gewesen seid, könnt ihr jetzt die wie Menschen behandeln, die von euch abhängig sind.
Wer diese Befreiungsgeschichte als Kind erzählt bekommt und erwachsen weitergibt, entdeckt im Kopf und im Herzen, dass seine Befreiung mit Schrecken und Gewalt erkauft wurde. Das ist lange her, sagen manche. Doch die Pessach-Haggada widerspricht: sie stellt die Frage im Präsenz und antwortet auch so, als wäre es unsere gegenwärtige Erfahrung.
Wir verdanken unsere Freiheit Christus. Er hat die Gewalt auf sich genommen, damit wir uns nicht verhärten müssen, nicht länger der Gewalt ausgeliefert sind und nicht mehr auf die Gewalt vertrauen müssen. Sondern frei werden für ein versöhntes Leben.
Doch auch heute gellen Gott die Schreie der Elenden im Ohr:
Die Hilferufe derjenigen, die in den Wellen des Mittelmeers um ihr Überleben kämpfen; die Schreie der Kinder, die sich in Idlib oder im Jemen vor den nächsten Bombenangriffen fürchten; die Wut derjenigen, die schon heute auf pazifischen Inseln wegen des Klimawandels umgesiedelt werden müssen. Die Aufzählung lässt sich beliebig erweitern – die Lager in Bosnien, auf Samos, in Libyen. Den Außenmauern Europas, die der Abschreckung der Flüchtenden dienen. Jericho lässt grüßen.
Gott liebt die Elenden und sorgt sich um sie. Gott will sie befreien, aber nicht wie ein Puppenspieler oder ein deus ex machina. Gott hat sich an unsere Freiheit gebunden und braucht Mose, braucht uns als Flucht-Helfer. Wir müssen aktiv werden; jeder einzelne von uns ist gerufen.
Moses war bei seiner Berufung vor dem brennenden Dornbusch zunächst störrisch. „Wer bin ich, dass ich mir das zutraue?“ Darauf antwortet Gott: „Ich will mit dir sein!“ Eine unerwartete Antwort. Eher hätte man erwartet: Du bist der Sohn von Herrn x und Frau y; du bist deinem Volk verpflichtet; du hast die Kompetenz. Aber Gottes Antwort verlässt die Ordnung der Zugehörigkeit und stiftet eine neue Verbindung.
Sie wahrt die Eigenständigkeit und das Geheimnis der Person Mose; sie macht ihn nicht zu einem Rädchen in Gottes großem Plan. Gott bahnt Mose einen Weg, sich der Zumutung zu stellen. Die Frage: „Wer bin ich, dass ich mir das zutraue?“ rückt in ein neues Licht. Gottes Aufforderung: „Geh hin!“ wandelt sich in die Verheißung einer vertikalen und einer horizontalen Kooperation.
„Du, Mose, du Mensch, kannst mitwirken in der Befreiungsgeschichte; du kannst Menschen auf der Flucht helfen, weil Aaron dich stützt und ich mit euch gehe!“
Auf uns heute bezogen: Sind wir eher im Herzen verhärtet, wie die Ägypter damals, deren Wohlstand auf der Basis von Kriegen und Sklavenarbeit erwuchs? Was nimmt uns derzeit gefangen? Was verhärtet uns? Was hindert uns, weiter zu gehen in Richtung Schilfmeer? Das schwarze Tuch ist doch zerrissen, das Meer wird sich teilen!
Gott wird uns sicher auf die andere Seite führen. Aber wir vertrauen eher auf die Macht der Streitwagen als auf Gottes Wolken- und Feuersäule.
2013 verbrannten in Bangladesh in einer Textilfabrik 112 Arbeiterinnen; ein großes Erschrecken ging durch unser Land. Doch nur ganz wenige haben dann etwas getan. Solange wir Kleidung so günstig wie möglich einkaufen, wird die Sklaverei weiter gehen.
Hier nur ein weiterer Fakt: Kinder schuften in Kobaldminen für unsere E-Mobilität. Auf der Ausbeutung so vieler Menschen, ja ganzer Kontinente, beruht unser Wohlstand. Ähnlich lebten die Ägypter zur damaligen Zeit.
Werde ich beim nächsten Einkauf an Bangladesch oder die Kobaldminen daran denken? Werde ich Gottes Feuer- und Wolkensäule folgen, die mich befreit und in eine neue Welt führt, in der Menschen unter guten Arbeitsbedingungen von ihrem Lohn leben können?
Der Entwicklungshilfeminister hatte einen ersten Anfang mit dem Lieferkettengesetz gemacht. Ein Anfang? Im Rahmen der Fortschreibung des Finanzplanes wird eine Absenkung des BMZ-Haushaltes vorangetrieben. Das gesparte Geld soll in den Rüstungsetat, in die Streitwagen fließen, die im Schilfmeer untergegangen sind. Jetzt – bedingt durch den Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine – sind es noch viel mehr Gelder die in die Streitwagen fließen. Auch sie werden im Schilfmeer untergehen.
Nochmals: Gott hat sich an unsere Freiheit gebunden und braucht uns als Flucht-Helfer. Das schwarze Tuch ist zerrissen. Das Meer hat sich geteilt. Christus hat den Tod überwunden. Gott befreit! Gott geht uns voraus: „am Tage in einer Wolkensäule, um uns den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um uns zu leuchten.“ Wohin wir unsere Füße setzen, Gott ist zuvor schon da gewesen! Gott erscheint als eine gehende Säule, ein bleibendes Da-Sein.
Gott ist nicht der höchste Garant der bestehenden Verhältnisse, sondern der Andere. Damit es weiter gehen kann, darf es nicht immer so weiter gehen.
Wer Gottes Gegenwart erfahren will, muss sich auf den Weg machen und ihm folgen. Gott selbst geht uns voran. Mit der Wolken- und Feuersäule stehen die „guten Mächte“, von denen Dietrich Bonhoeffer schreibt, dem ganzen Volk sichtbar vor Augen: „Dein Licht scheint in der Nacht.“ Dieses Licht scheint auch für uns. Denn wenn wir als Christen glauben, dass der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs der Vater von Jesus Christus ist, dann vertrauen wir auch auf den Gott, der Israel aus Ägypten geführt habt.
Bei der Aufrichtung seiner guten Herrschaft auf Erden für alle Menschen geht Gott den Umweg über seinen Sohn und wird Mensch.
Gott richtet nicht einfach seine Herrschaft auf Erden auf. Denn so, wie wir Menschen sind, die wir uns von Gott abwenden und gegen seinen Willen leben, hätten wir zum Reich Gottes überhaupt keinen Zugang gehabt.
Wir hätten draußen bleiben müssen – oder wären von Gottes Siegeszug in der Welt überrollt, vielleicht sogar vernichtet worden. Deshalb geht Gott den Umweg über seinen Sohn: In Jesus wird Gott Mensch. Jesus stirbt am Kreuz für unsere Schuld. Und durch die Auferweckung Jesu Christi von den Toten überwindet Gott den Tod als letzten Feind, der uns Menschen gefangen hält. Durch diese Heilstat in Jesus befreit Gott uns Menschen aus der Sklaverei der Sünde und des Todes – so, wie er Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat.
In der Geschichte Israels zeigte es sich immer wieder – und bis heute ist dies eine gültige Erfahrung: Gottes Wege zu gehen ist nicht immer bequem, es ist mitunter recht mühselig, doch in den entscheidenden Situationen steht Gott zu denen, die ihm vertrauen.
Wir müssen uns bewusst werden, dass unser Leben von anderwärts seinen Reichtum hat, nicht aus uns und nicht durch uns. Nicht durch Erfolg, Konsum und Drogen erfüllbar. Nein: Jesus grenzte sich aus und ab vom Römischen Reich, von der Welt. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ Das bedeutet, das Beste kommt erst noch: In der horizontalen Erstreckung der Geschichte ist das Reich Gottes – gemäß der apokalyptischen Erwartung – das letzte und entscheidende Reich in der Abfolge der Weltreiche.
Für Putin, Trump und Xi Jinping und die Mörder von Butscha, Idlib und vielen anderen Orten der Welt gilt – wie für uns auch – Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.
ich mag weder an Anderen noch an mir die “narzisstische Differenz” der Linken, aber bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung mit dem Ansatz und Inhalt des Artikels: diese wiederholte Aufzählung der Namen und Orte empfinde ich allein schon als zutiefst einseitiges “westliches Framing” (Trump ist dabei kein Widerspruch, er ist dient ja wie Putin als der leibhaftige Antichrist für die amerikanischen Demokraten und unsere ihnen nachdackelnden Politiker und Medien – wenn auch als negative Projektionsfigur für mich nachvollziehbarer) . Und theologisch kann ich mit einem “Richter- Christus” nichts anfangen…. ein liebender Mensch oder gar “ER” trauern angesichts der Nicht- Liebesfähigen anstatt zu verurteilen ….
Für mich ist das leider eine stark protestantisch geprägte ? bürgerliche Sicht der vermeintlich Guten – so analysiert Mensch zu kurz und spaltet letztlich doch wieder…
Merke: kein einzelner Mensch darf in Zukunft der Welt sagen, was die Welt in Zukunft zu tun oder zu lassen hat. Eigentlich selbstverständlich. Und dennoch: Warum lässt die Weltgemeinschaft das zu?
Und worauf ich heute noch hoffe: Das Gott bald radikal zuschlägt. Und er wird es tun. Ob ich Angst davor habe? Nein, ich habe keine Angst mehr vor dem Tod.
Der schmeißt ja wirklich alles durcheinander von der Religion bis zu Putin….
Leider vermisse ich die BERGPREDIGT!
FRIEDEN in der UKRAINE mit!!! RUßLAND, und NIE wieder Faschismus und Krieg !
Ich erinnere mit tiefer Hochachtung und grenzenloser Liebe an alle WIDERSTANDSKÄMPFER die gegen den Faschismus unter Einsatz ihres wertvollen Lebens gekämpft haben.
Interessant ist aus meiner Sicht zu diesem o.g. Text eine weitere Erinnerung an Menschen die gestorben sind, die ich schätze und achte über den Tod hinaus, denn sie haben mit Geschichte geschrieben und sich laut und deutlich in die Politik zu Lebzeiten, auch die Politik der Kirchen eingemischt: Uta-Ranke-Heinemann, eine geistreiche, kluge und scharfzüngige Kirchenkritikerin, wie auch Hans Küng, der es sich nicht hat nehmen lassen sich kritisch mit der katholischen Kirche substantiell auseinanderzusetzen. Beide hat man zu Lebzeiten bekämpft bis hin zu einem Unterrichtsverbot für Hans Küng, dass einem Berufsverbot gleich kommt.
Marx spricht: “Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu VERÄNDERN!”