Kein Unglück, sondern ein Verbrechen

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

Sechzehnter Bericht zu „Patenschaft für Panagiota“. Ihr wisst, dass uns während der letzten Wochen vor allem der Fortbestand unserer Hilfsmöglichkeiten für verarmte GriechInnen zu interessieren hatte. Heute aber rücke ich in den Mittelpunkt meiner Berichterstattung das furchtbare Zugunglück, das Griechenland, am 28. Februar ereilte. Ihr werdet sehen, warum (und die Überschrift zum heutigen Bericht spricht es eigentlich schon aus): es ist von einem Verbrechen, von einem Staatsverbrechen, in diesem Land zu berichten. Und es wäre Feigheit von uns, wenn wir Verbrechen nicht Verbrechen nennen würden. Wir sehen uns der Wahrheit verpflichtet. So ist es stets gewesen, und so bleibt es auch. Holdger Platta

 

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

um es gleich vorweg zu sagen: auch bei mir wird heute das entsetzliche Eisenbahnunglück in Griechenland im Mittelpunkt stehen. Das wenigstens wurde ja auch in den bundesdeutschen Massenmedien relativ umfassend mitgeteilt: am Dienstagabend, den 28. Februar, stießen zwei Züge auf der Strecke Athen-Thessaloniki aufeinander, 57 Menschen kamen uns Leben. Dass aber mehr dahintersteckt als lediglich „menschliches“ Einzelversagen, mehr als nur ein „Unglück“, das nicht zu verhindern gewesen wäre, sondern ein Verbrechen – ein Staatsverbrechen –, darum wird es in meinem heutigen Bericht vor allem gehen. Zu Beginn aber noch meine Auskünfte zur neuesten Spendenentwicklung bei unserer Hilfsaktion.

Tatsächlich, ich sehe es so: nach dem Spendenergebnis aus der Vorwoche mit 70,- Euro handelt es sich bei den 140,- Euro, die während der letzten sieben Tage an uns überwiesen wurden, um einen klaren, um einen bedeutsamen Zuwachs. Vier SpenderInnen sorgten dafür – im Unterschied zur Vorwoche mit zwei UnterstützerInnen. Und noch eindeutiger fiel das Ergebnis für unsere Website, für HdS,  aus. Da gingen in der letzten Woche 208,- Euro auf unserem Konto ein, in den sieben Tagen davor waren es nur 41,11 Euro gewesen. Neun SpenderInnen bescherten uns für HdS das gute Ergebnis während der letzten Woche, in den sieben Tagen davor waren es nur drei HelferInnen gewesen. Wir alle vom Aktionsteam danken den UnterstützerInnen sehr! Und hoffen natürlich, ebenso inständig wie stark, dass es auch so bleiben möge. Dass unsere beiden Projekte – die Hilfe für notleidende GriechInnen und „Hinter-den-Schlagzeilen“ – beharrliches Engagement benötigen: diese objektive Erforderlichkeit und dieser subjektive Appell von uns scheinen nicht ohne Wirkung geblieben zu sein.

Aber was ist in diesem kaputtreglementierten Griechenland los? Und was mit einer bundesdeutschen Berichterstattung, die darüber kaum bis gar nicht die Menschen zu informieren gewillt war? Ich spreche vom oben bereits erwähnten Eisenbahnunglück auf der Gleisstrecke zwischen den beiden größten Städten in Griechenland.

Längst nicht alles werde ich Euch heute berichten können. Von den wichtigsten Fakten allerdings doch. Vor allem anderen:

Die erste Ausrede, vorgebracht “selbstverständlich” von der griechischen Regierung, hatte nicht lange Bestand, selbst in der griechischen veröffentlichten Meinung nicht – die Behauptung nämlich, daß lediglich ein einzelner Bahnhofsvorsteher Schuld an diesem Unglück gewesen sei. Die Wahrheit ist:

Nach wie vor – trotz jahrelanger Warnungen von Experten und Gewerkschaftern – verfügt diese Hochgeschwindigkeitsstrecke nicht über ein funktionierendes elektronisches Warnsystem, das automatisch beide Züge zum Halten bringt, die auf demselben Gleis aufeinander zurasen (hier, am 28. Februar, waren es ein Personenzug gewesen, mit der Geschwindigkeit 150 km/Stunde unterwegs, und ein Güterzug mit etwa 100 km Stundengeschwindigkeit). Aufs bitterste kommentierte ein Vertreter der Eisenbahngewerkschaft die Ankündigung des Premierministers Kyriakos Mitsotakis von den griechischen Christdemokraten, von der „Nea Dimokratia“ /ND), unmittelbar ausgesprochen nach dem Unglücksfall am 28. Februar um 20:25 Uhr, die Ankündigung nämlich, er wolle am kommenden Tag in Thessaloniki die „Zentrale Fernsteuerung und Signalstelle des nordgriechischen Eisenbahnnetzes“ besuchen. Der Kommentar des Gewerkschafters auf Facebook: Mitsotakis wolle etwas besichtigen, was gar nicht existiert! Und selbst die eher zurückhaltende „Griechenland Zeitung“ (GZ) diagnostizierte am 8. März dieses Jahres: „chronische Schlamperei, eine fehlgeschlagene Investitionspolitik, wirtschaftliche Ineffizienz und nicht zu rechtfertigende Sparmaßnahmen“ (Hervorhebung im letzten Satz von mir. HP).

Was ich nunmehr schon ungezählte Male dieser Regierung vorgeworfen habe, die Tatsache nämlich, dass sie sich fürs Wohl und Wehe der Menschen in Griechenland in keinerlei Weise einsetzt: hier ist sie sogar zur blutigen, zur tödlichen Tatsache geworden.

Es verwundert von daher nicht, dass zum einen – immerhin das! – der griechische Transportminister keine vierundzwanzig Stunden nach dieser menschengemachten Großkatastrophe zurücktrat, unter Tränen sogar, und dass die griechische Staatsanwaltschaft „gründliche“ Untersuchungen angekündigt hat (man wird sehen, was aus diesem Versprechen wird!). Ebenso wenig verwundert allerdings, dass Kyriakos Mitsotakis, der ND-Chef, der nunmehr um seine Wiederwahl bangt, den eigentlich anberaumten Urnengang mit Datum 9. April zunächst einmal verschoben hat, vielleicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Jedenfalls hätte in diesen Tagen, wenn dieser Termin noch wirklich eingehalten werden sollte, das Parlament bereits aufgelöst werden müssen (nun ja: bis zum kommenden Sonntag, bis zum 19. März, hat Mitsotakis dafür noch Zeit. Vielleicht, vielleicht geschieht’s ja noch!).

Es ist unmöglich, an dieser Stelle auch nur annähernd umfassend wiederzugeben, wie die griechische Öffentlichkeit – auch politisch! – auf diese menschengemachte Eisenbahnkatastrophe reagiert hat. Zig Gewerkschaften organisierten inzwischen Demonstrationen gegen die griechische Regierung, Studierende, Schüler, Lehrer, Familien mit Kindern schlossen sich diesen Demonstrationen an. Universitäten und Schulen wurden besetzt, selbst zu Streikaktionen kam es, ferne Inseln wie Samos und Lesbos nicht ausgenommen. Und Mitsotakis?

Nun, der ultrakonservative Politiker rang sich fünf Tage nach der Großkatastrophe im Tempe-Tal immerhin zu einer „Entschuldigung“ durch. Doch selbst diese „Reue-Bekundung“ ging nicht ohne zwei Tricksereien ab:

  • Zum einen bat Kyriakos ausdrücklich um Entschuldigung im Namen „aller Regierungen, die das Land seit Jahren regieren“. Er badet seine Hände also in Kollektivschuld.
  • Und zum anderen forderte Kyriakos Mitsotakis einen Untersuchungsausschuß, der das Versagen aller politischen Parteien während der letzten zwanzig Jahre aufdecken solle – aber bitteschön erst nach den Wahlen in Griechenland.

Neue Zahlen zu Umfrageergebnissen in Griechenland, an denen Veränderungen bei den Parteienpräferenzen, die inzwischen eingetreten sein könnten, ablesbar wären, liegen mir noch nicht vor. Ich werde sie aber nachreichen, wenn sie mir vorliegen sollten. Mein Zwischenfazit, oben schon angedeutet, jedenfalls ist:

Ein weiteres Mal wird in Griechenland nicht nur eine angebliche Schlamperei deutlich, die angeblich alle GriechInnen beträfe. Es wird deutlich, dass hier eine Regierung an den Hebeln der Macht sitzt – jetzt zumindest noch -, der buchstäblich das Leben ihrer „Untertanen“ egal ist. Das Zugunglück ist mehr als nur ein Unglück. Das Zugunglück ist, wie es Studierende in Thessaloniki bei einer Demonstration aufs klarste und aufs richtigste formuliert haben, ein Verbrechen. Und Verbrecher, das gilt auch für Griechenland, gehören in den Knast, nicht auf eine Regierungsbank! Wir jedenfalls, wir Helfer und Außenstehende, können nur Mittrauer formulieren – und Mitempörung auch! Wenig genug, aber etwas mehr als nichts. Und wir können eines tun: um so energischer noch unsere Hilfe und unseren auch politischen Beistand vergrößern in Griechenland! In diesem Sinne also, liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser: unterstützt uns auch weiterhin! Ihr werdet in uns Bündnispartner haben, auch in der Zukunft, die bundesdeutsches Verschweigen, was Staatsverbrechen in Griechenland betrifft, nicht mitmachen wird.

Selbst wenn die Wahrheit anderenorts hinter den Schlagzeilen bleibt. Auf „Hinter-den-Schlagzeilen“ wird die Wahrheit ausgesprochen, bis in die Schlagzeilen hinein. Wie eben auch beim heutigen Bericht; es war ein Verbrechen, was da am 28. Februar in Griechenland geschah, nicht nur ein Unglück!

Und damit zu meiner Schlussbitte wie stets: spendet weiter an uns. Also:

Wer von Euch uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „Panagiota“ auf das Konto:

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21 GOE
Inhaber: IHW

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an Volker Töbel, entweder unter der Postanschrift Tewaagstraße 12, 44141 Dortmund, oder unter der Mailadresse vtoebel@web.de.

Mit herzlichen Grüßen
Euer Holdger Platta

 

 

 

 

 

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